Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.nach Untertürkheim zu den Pflegeeltern, um zu hören, ob die Leiche gefunden sei. Ach, waren das Menschen! Sprachen nichts als von der Undankbarkeit der Todten, die jetzt, da man sie mit Müh und Opfern groß gemacht, statt einer endlich fälligen Gegenleistung sich allem entzog und Kummer und Schande über sie brachte. "Ein Mädle, das arbeiten will," hieß es, "findet immer ihr Brod, und die Emilie hat so ein Schenie fürs Kleidermachen gehabt und fürs Frisiren; warum ist sie nicht Kammerjungfer worden, wie man ihr a'boten hat?" "Aber sie hat nun die Musik im Leibe gehabt, ganz wie unsere Lotte," eiferte Frau Schaible, "in den dunklen Augen, da war eine Künstlerseele, und daß die so jämmerlich hat zu Grunde geh'n müssen" - - "Ja, s'ischt e Kreuz für uns" sagte die Pflegemutter mürrisch und wischte sich das Gesicht. "Jetz' sucht mer besser dronte bei der Fischbruta'stalt. S'ischt no net a' d' Oberfläche komme." Voll Empörung lief Frau Schaible davon, das kleine Notizbuch mit den Abschiedsworten in ihrer Tasche; sie hatte es dem fünfjährigen Max weggenommen, der damit gespielt hatte. "Armes Kind! Armes Kind! Ach, meine Lotte, Gott schütze und bewahre Dich!" Am Sonntag früh kam eine Postkarte, daß die Leiche aufgefunden sei; heute Nachmittag werde sie begraben, nach Untertürkheim zu den Pflegeeltern, um zu hören, ob die Leiche gefunden sei. Ach, waren das Menschen! Sprachen nichts als von der Undankbarkeit der Todten, die jetzt, da man sie mit Müh und Opfern groß gemacht, statt einer endlich fälligen Gegenleistung sich allem entzog und Kummer und Schande über sie brachte. „Ein Mädle, das arbeiten will,“ hieß es, „findet immer ihr Brod, und die Emilie hat so ein Schenie fürs Kleidermachen gehabt und fürs Frisiren; warum ist sie nicht Kammerjungfer worden, wie man ihr a’boten hat?“ „Aber sie hat nun die Musik im Leibe gehabt, ganz wie unsere Lotte,“ eiferte Frau Schaible, „in den dunklen Augen, da war eine Künstlerseele, und daß die so jämmerlich hat zu Grunde geh’n müssen“ – – „Ja, s’ischt e Kreuz für uns“ sagte die Pflegemutter mürrisch und wischte sich das Gesicht. „Jetz’ sucht mer besser dronte bei der Fischbruta’stalt. S’ischt no net a’ d’ Oberfläche komme.“ Voll Empörung lief Frau Schaible davon, das kleine Notizbuch mit den Abschiedsworten in ihrer Tasche; sie hatte es dem fünfjährigen Max weggenommen, der damit gespielt hatte. „Armes Kind! Armes Kind! Ach, meine Lotte, Gott schütze und bewahre Dich!“ Am Sonntag früh kam eine Postkarte, daß die Leiche aufgefunden sei; heute Nachmittag werde sie begraben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0293" n="285"/> nach Untertürkheim zu den Pflegeeltern, um zu hören, ob die Leiche gefunden sei. Ach, waren das Menschen! Sprachen nichts als von der Undankbarkeit der Todten, die jetzt, da man sie mit Müh und Opfern groß gemacht, statt einer endlich fälligen Gegenleistung sich allem entzog und Kummer und Schande über sie brachte. „Ein Mädle, das arbeiten will,“ hieß es, „findet immer ihr Brod, und die Emilie hat so ein Schenie fürs Kleidermachen gehabt und fürs Frisiren; warum ist sie nicht Kammerjungfer worden, wie man ihr a’boten hat?“</p> <p>„Aber sie hat nun die Musik im Leibe gehabt, ganz wie unsere Lotte,“ eiferte Frau Schaible, „in den dunklen Augen, da war eine Künstlerseele, und daß die so jämmerlich hat zu Grunde geh’n müssen“ – – „Ja, s’ischt e Kreuz für uns“ sagte die Pflegemutter mürrisch und wischte sich das Gesicht. „Jetz’ sucht mer besser dronte bei der Fischbruta’stalt. S’ischt no net a’ d’ Oberfläche komme.“</p> <p>Voll Empörung lief Frau Schaible davon, das kleine Notizbuch mit den Abschiedsworten in ihrer Tasche; sie hatte es dem fünfjährigen Max weggenommen, der damit gespielt hatte. „Armes Kind! Armes Kind! Ach, meine Lotte, Gott schütze und bewahre Dich!“</p> <p>Am Sonntag früh kam eine Postkarte, daß die Leiche aufgefunden sei; heute Nachmittag werde sie begraben, </p> </div> </body> </text> </TEI> [285/0293]
nach Untertürkheim zu den Pflegeeltern, um zu hören, ob die Leiche gefunden sei. Ach, waren das Menschen! Sprachen nichts als von der Undankbarkeit der Todten, die jetzt, da man sie mit Müh und Opfern groß gemacht, statt einer endlich fälligen Gegenleistung sich allem entzog und Kummer und Schande über sie brachte. „Ein Mädle, das arbeiten will,“ hieß es, „findet immer ihr Brod, und die Emilie hat so ein Schenie fürs Kleidermachen gehabt und fürs Frisiren; warum ist sie nicht Kammerjungfer worden, wie man ihr a’boten hat?“
„Aber sie hat nun die Musik im Leibe gehabt, ganz wie unsere Lotte,“ eiferte Frau Schaible, „in den dunklen Augen, da war eine Künstlerseele, und daß die so jämmerlich hat zu Grunde geh’n müssen“ – – „Ja, s’ischt e Kreuz für uns“ sagte die Pflegemutter mürrisch und wischte sich das Gesicht. „Jetz’ sucht mer besser dronte bei der Fischbruta’stalt. S’ischt no net a’ d’ Oberfläche komme.“
Voll Empörung lief Frau Schaible davon, das kleine Notizbuch mit den Abschiedsworten in ihrer Tasche; sie hatte es dem fünfjährigen Max weggenommen, der damit gespielt hatte. „Armes Kind! Armes Kind! Ach, meine Lotte, Gott schütze und bewahre Dich!“
Am Sonntag früh kam eine Postkarte, daß die Leiche aufgefunden sei; heute Nachmittag werde sie begraben,
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