Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895."Wir! ich verstehe nicht - -" machte er höflich. "Wer wir?" "Wir Frauen." "Ah." Sie maßen sich eine Weile, sein anfangs geringschätziger Blick wurde ernst, dann unsicher. "Glauben Sie das im vollen Ernst?" Eine so achtungsvolle Manier mit der ganz feinen Nuance der Autorität, wie sie etwa der Arzt dem Patienten gegenüber hat! Die Malerin machte kein Hehl aus ihrer Erregung, sie fächelte sich mit der gefalteten Serviette und trank hastig ihren Thee aus. "Wir werden uns die Schönheit nicht nehmen lassen, wir werden nicht dulden, daß Sie uns die Welt grau und kalt machen. Und übrigens - Sie könnten's ja nicht, wenn Sie auch wollten! Es ist ja alles so schön, so unendlich reich, so überquellend herrlich! Die Sonne, unsre liebe schöne alte Sonne! Ist ja eigentlich genug für einen Menschen, daß er die hat! Und den Frühling, bedenken Sie doch! Und die Menschengesichter, haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Da sind immer nur zwei Augen, Nase, Mund, Wangen, Stirn, Haaransatz - und dazu diese Mannigfaltigkeit des Ganzen! Keine Künstler mehr? Sollen die Menschen der Zukunft taub und blind werden? Was nie versagt, soll versagen? Ach nein, das glauben Sie ja selber nicht, sonst müßten Sie trüb und gebückt „Wir! ich verstehe nicht – –“ machte er höflich. „Wer wir?“ „Wir Frauen.“ „Ah.“ Sie maßen sich eine Weile, sein anfangs geringschätziger Blick wurde ernst, dann unsicher. „Glauben Sie das im vollen Ernst?“ Eine so achtungsvolle Manier mit der ganz feinen Nuance der Autorität, wie sie etwa der Arzt dem Patienten gegenüber hat! Die Malerin machte kein Hehl aus ihrer Erregung, sie fächelte sich mit der gefalteten Serviette und trank hastig ihren Thee aus. „Wir werden uns die Schönheit nicht nehmen lassen, wir werden nicht dulden, daß Sie uns die Welt grau und kalt machen. Und übrigens – Sie könnten’s ja nicht, wenn Sie auch wollten! Es ist ja alles so schön, so unendlich reich, so überquellend herrlich! Die Sonne, unsre liebe schöne alte Sonne! Ist ja eigentlich genug für einen Menschen, daß er die hat! Und den Frühling, bedenken Sie doch! Und die Menschengesichter, haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Da sind immer nur zwei Augen, Nase, Mund, Wangen, Stirn, Haaransatz – und dazu diese Mannigfaltigkeit des Ganzen! Keine Künstler mehr? Sollen die Menschen der Zukunft taub und blind werden? Was nie versagt, soll versagen? Ach nein, das glauben Sie ja selber nicht, sonst müßten Sie trüb und gebückt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0121" n="113"/> <p>„<hi rendition="#g">Wir</hi>! ich verstehe nicht – –“ machte er höflich. „Wer wir?“</p> <p>„Wir Frauen.“</p> <p>„Ah.“ Sie maßen sich eine Weile, sein anfangs geringschätziger Blick wurde ernst, dann unsicher. „Glauben Sie das im vollen Ernst?“</p> <p>Eine so achtungsvolle Manier mit der ganz feinen Nuance der Autorität, wie sie etwa der Arzt dem Patienten gegenüber hat! Die Malerin machte kein Hehl aus ihrer Erregung, sie fächelte sich mit der gefalteten Serviette und trank hastig ihren Thee aus.</p> <p>„Wir werden uns die Schönheit nicht nehmen lassen, wir werden nicht dulden, daß Sie uns die Welt grau und kalt machen. Und übrigens – Sie könnten’s ja nicht, wenn Sie auch wollten! Es ist ja alles so schön, so unendlich reich, so überquellend herrlich! Die Sonne, unsre liebe schöne alte Sonne! Ist ja eigentlich genug für einen Menschen, daß er die hat! Und den Frühling, bedenken Sie doch! Und die Menschengesichter, haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Da sind immer nur zwei Augen, Nase, Mund, Wangen, Stirn, Haaransatz – und dazu diese Mannigfaltigkeit des Ganzen! Keine Künstler mehr? Sollen die Menschen der Zukunft taub und blind werden? Was nie versagt, soll versagen? Ach nein, das glauben Sie ja selber nicht, sonst müßten Sie trüb und gebückt </p> </div> </body> </text> </TEI> [113/0121]
„Wir! ich verstehe nicht – –“ machte er höflich. „Wer wir?“
„Wir Frauen.“
„Ah.“ Sie maßen sich eine Weile, sein anfangs geringschätziger Blick wurde ernst, dann unsicher. „Glauben Sie das im vollen Ernst?“
Eine so achtungsvolle Manier mit der ganz feinen Nuance der Autorität, wie sie etwa der Arzt dem Patienten gegenüber hat! Die Malerin machte kein Hehl aus ihrer Erregung, sie fächelte sich mit der gefalteten Serviette und trank hastig ihren Thee aus.
„Wir werden uns die Schönheit nicht nehmen lassen, wir werden nicht dulden, daß Sie uns die Welt grau und kalt machen. Und übrigens – Sie könnten’s ja nicht, wenn Sie auch wollten! Es ist ja alles so schön, so unendlich reich, so überquellend herrlich! Die Sonne, unsre liebe schöne alte Sonne! Ist ja eigentlich genug für einen Menschen, daß er die hat! Und den Frühling, bedenken Sie doch! Und die Menschengesichter, haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Da sind immer nur zwei Augen, Nase, Mund, Wangen, Stirn, Haaransatz – und dazu diese Mannigfaltigkeit des Ganzen! Keine Künstler mehr? Sollen die Menschen der Zukunft taub und blind werden? Was nie versagt, soll versagen? Ach nein, das glauben Sie ja selber nicht, sonst müßten Sie trüb und gebückt
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