dämchen besucht. Jetzt war er verpflichtet, sich nach dem närrischen Fräulein umzusehen. Es war im Grunde ein recht sonderbarer Auftrag, den ihm der Freund da hinterlassen, und Alfred ging mit nicht sehr behaglichen Empfindungen hinaus. War er doch ein ganz Fremder dort im Hause und hatte sich in jenen Stunden keineswegs wohl gefühlt. Wie sollte er sich dem verzogenen Kinde nähern, ohne falsche Voraussetzungen zu erwecken? Sie nahm es so selbst¬ verständlich hin, daß ihr Jeder seine Huldigungen brachte.
Und wenn er sich's recht überlegte, schien ihm das auch die beste Umgangsform mit ihr zu sein. Er aber sollte vernünftig mit ihr reden und sie be¬ aufsichtigen! Eben das hatte ja auch der Wolff ver¬ sucht, und es war ihm so elend mißlungen. Mit heimlichem Widerstreben dachte Alfred daran, daß sie nun auch ihm irgend einen Spottnamen anhängen und ihn so hitzig behandeln werde wie das "Muckerl". Es war ihm garnicht recht geheuer, als er jetzt die Glocke an der Gartenpforte zog; und als endlich das Mädchen mit einer kleinen Laterne herauskam und ihm meldete, der Herr sei noch nicht daheim, und das Fräulein sei in einer italienischen Stund', zog er ganz erleichtert seine Karte heraus und empfahl sich eilig. Er hatte diese späte Stunde gewählt, um nicht zuviel Arbeitszeit zu verlieren. Denn er hatte das Relief¬
dämchen beſucht. Jetzt war er verpflichtet, ſich nach dem närriſchen Fräulein umzuſehen. Es war im Grunde ein recht ſonderbarer Auftrag, den ihm der Freund da hinterlaſſen, und Alfred ging mit nicht ſehr behaglichen Empfindungen hinaus. War er doch ein ganz Fremder dort im Hauſe und hatte ſich in jenen Stunden keineswegs wohl gefühlt. Wie ſollte er ſich dem verzogenen Kinde nähern, ohne falſche Vorausſetzungen zu erwecken? Sie nahm es ſo ſelbſt¬ verſtändlich hin, daß ihr Jeder ſeine Huldigungen brachte.
Und wenn er ſich's recht überlegte, ſchien ihm das auch die beſte Umgangsform mit ihr zu ſein. Er aber ſollte vernünftig mit ihr reden und ſie be¬ aufſichtigen! Eben das hatte ja auch der Wolff ver¬ ſucht, und es war ihm ſo elend mißlungen. Mit heimlichem Widerſtreben dachte Alfred daran, daß ſie nun auch ihm irgend einen Spottnamen anhängen und ihn ſo hitzig behandeln werde wie das „Muckerl“. Es war ihm garnicht recht geheuer, als er jetzt die Glocke an der Gartenpforte zog; und als endlich das Mädchen mit einer kleinen Laterne herauskam und ihm meldete, der Herr ſei noch nicht daheim, und das Fräulein ſei in einer italieniſchen Stund', zog er ganz erleichtert ſeine Karte heraus und empfahl ſich eilig. Er hatte dieſe ſpäte Stunde gewählt, um nicht zuviel Arbeitszeit zu verlieren. Denn er hatte das Relief¬
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dämchen beſucht. Jetzt war er verpflichtet, ſich nach
dem närriſchen Fräulein umzuſehen. Es war im
Grunde ein recht ſonderbarer Auftrag, den ihm der
Freund da hinterlaſſen, und Alfred ging mit nicht
ſehr behaglichen Empfindungen hinaus. War er doch
ein ganz Fremder dort im Hauſe und hatte ſich in
jenen Stunden keineswegs wohl gefühlt. Wie ſollte
er ſich dem verzogenen Kinde nähern, ohne falſche
Vorausſetzungen zu erwecken? Sie nahm es ſo ſelbſt¬
verſtändlich hin, daß ihr Jeder ſeine Huldigungen
brachte.
Und wenn er ſich's recht überlegte, ſchien ihm
das auch die beſte Umgangsform mit ihr zu ſein.
Er aber ſollte vernünftig mit ihr reden und ſie be¬
aufſichtigen! Eben das hatte ja auch der Wolff ver¬
ſucht, und es war ihm ſo elend mißlungen. Mit
heimlichem Widerſtreben dachte Alfred daran, daß ſie
nun auch ihm irgend einen Spottnamen anhängen
und ihn ſo hitzig behandeln werde wie das „Muckerl“.
Es war ihm garnicht recht geheuer, als er jetzt die
Glocke an der Gartenpforte zog; und als endlich das
Mädchen mit einer kleinen Laterne herauskam und
ihm meldete, der Herr ſei noch nicht daheim, und das
Fräulein ſei in einer italieniſchen Stund', zog er ganz
erleichtert ſeine Karte heraus und empfahl ſich eilig.
Er hatte dieſe ſpäte Stunde gewählt, um nicht zuviel
Arbeitszeit zu verlieren. Denn er hatte das Relief¬
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/70>, abgerufen am 06.05.2024.
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