Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.sang, nun trug sie Flügel und die Schale der Er¬ Da verstummte die Sängerin. Ihm war, als Ohne das Licht zu entzünden, legte er sich in Er hörte, wie sein Zimmernachbar sich herum¬ ſang, nun trug ſie Flügel und die Schale der Er¬ Da verſtummte die Sängerin. Ihm war, als Ohne das Licht zu entzünden, legte er ſich in Er hörte, wie ſein Zimmernachbar ſich herum¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="12"/> ſang, nun trug ſie Flügel und die Schale der Er¬<lb/> quickung in den Händen; und ſie war ſchön wie —<lb/> nein, ihr glich keine der griechiſchen Göttinnen an<lb/> troſtverheißender Milde, an ſinnender Güte! Auf<lb/> ihrem Sockel ſtand — er ſah es deutlich — „Ich bin<lb/> das Mitleid.“ Ach, wenn er das bilden, das hin¬<lb/> ſtellen könnte, wie er es ſah! Sie ſtand ihm ja ſo<lb/> klar, ſo greifbar nah vor Augen. Er wünſchte nur,<lb/> daß es erſt morgen ſei, um gleich anzufangen. Alle<lb/> Einſamkeit war verſchwunden, war belebt von bild¬<lb/> reichen Träumen, über denen ſich ſeine Wangen<lb/> rötheten, ſein Herz hoffnungsvoll klopfte.</p><lb/> <p>Da verſtummte die Sängerin. Ihm war, als<lb/> werde ſeiner Geſtaltenwelt plötzlich das Licht entzogen.<lb/> Es leuchtete wohl noch hie und da eine fließende<lb/> Falte, ein ſchön gebogener Arm, aber das Ganze<lb/> war ſeinen Blicken verhüllt. Eine unbeſchreibliche<lb/> Sehnſucht nach den verklungenen Tönen überkam ihn.<lb/> Er lauſchte mit angehaltenem Athem. Aber nun<lb/> waltete über dem Hauſe nächtliche Stille, oder —<lb/> was man ſo nennt — das Zuſammenhallen all der<lb/> leiſen Geräuſche, die der Tag übertäubt.</p><lb/> <p>Ohne das Licht zu entzünden, legte er ſich in<lb/> das hochgethürmte Bett und träumte mit geſchloſſenen<lb/> Augen weiter, bis an den hellen Morgen.</p><lb/> <p>Er hörte, wie ſein Zimmernachbar ſich herum¬<lb/> warf und brummte, der da habe ihn aufgeweckt.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0028]
ſang, nun trug ſie Flügel und die Schale der Er¬
quickung in den Händen; und ſie war ſchön wie —
nein, ihr glich keine der griechiſchen Göttinnen an
troſtverheißender Milde, an ſinnender Güte! Auf
ihrem Sockel ſtand — er ſah es deutlich — „Ich bin
das Mitleid.“ Ach, wenn er das bilden, das hin¬
ſtellen könnte, wie er es ſah! Sie ſtand ihm ja ſo
klar, ſo greifbar nah vor Augen. Er wünſchte nur,
daß es erſt morgen ſei, um gleich anzufangen. Alle
Einſamkeit war verſchwunden, war belebt von bild¬
reichen Träumen, über denen ſich ſeine Wangen
rötheten, ſein Herz hoffnungsvoll klopfte.
Da verſtummte die Sängerin. Ihm war, als
werde ſeiner Geſtaltenwelt plötzlich das Licht entzogen.
Es leuchtete wohl noch hie und da eine fließende
Falte, ein ſchön gebogener Arm, aber das Ganze
war ſeinen Blicken verhüllt. Eine unbeſchreibliche
Sehnſucht nach den verklungenen Tönen überkam ihn.
Er lauſchte mit angehaltenem Athem. Aber nun
waltete über dem Hauſe nächtliche Stille, oder —
was man ſo nennt — das Zuſammenhallen all der
leiſen Geräuſche, die der Tag übertäubt.
Ohne das Licht zu entzünden, legte er ſich in
das hochgethürmte Bett und träumte mit geſchloſſenen
Augen weiter, bis an den hellen Morgen.
Er hörte, wie ſein Zimmernachbar ſich herum¬
warf und brummte, der da habe ihn aufgeweckt.
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