und war gewissermaßen die komische Person auf unsrer Reise. Jetzt aber hat er versucht, sich unserm arg¬ losen Klärchen auf eine unbeschreiblich unzarte Art zu nähern, und das arme Kind ist ganz außer sich. Leider wohnt er wieder in demselben Hotel wie wir, und als er gestern Abend Klärchen allein im Lese¬ zimmer traf, hat er es unbegreiflicher Weise gewagt, einen Kuß von ihr zu verlangen. Ihr könnt Euch den Schrecken des armen Kindes denken! Sie hat zuerst gesagt: "Aber Sie sind doch nicht mein Gro߬ papa!" Da ist er zornig aufgesprungen und hat ge¬ sagt: "O, ich bin noch nicht so alt, ich kann noch, was mancher Jüngere nicht kann! Meine Kinder sind alle verheirathet, und mit einer jungen Frau lebt man erst recht wieder auf, Sie sind noch ein bischen kindisch, aber das wollt' ich Ihnen bald abgewöhnen. Die Männer, die heirathen wollen, sind heutzutage rar, und 'ne alte Jungfer wollen Sie doch nicht wer¬ den?" Klärchen war ganz in eine Ecke verbarricadirt hinter einem Lehnstuhl und mußte die plumpen Reden anhören, bis zum Glück Leute hereinkamen, und sie, zitternd vor Aufregung und Beschämung, in unser Zimmer stürzte. Und trotzdem dieser Mann nun doch gesehen hatte, wie erschrocken das Kind war, hat er Papa im Garten abgefangen und ihm einen förm¬ lichen Heirathsantrag gemacht. Dies nun weiß Klärchen nicht, und ich bitte Euch, es auch nicht zu
und war gewiſſermaßen die komiſche Perſon auf unſrer Reiſe. Jetzt aber hat er verſucht, ſich unſerm arg¬ loſen Klärchen auf eine unbeſchreiblich unzarte Art zu nähern, und das arme Kind iſt ganz außer ſich. Leider wohnt er wieder in demſelben Hôtel wie wir, und als er geſtern Abend Klärchen allein im Leſe¬ zimmer traf, hat er es unbegreiflicher Weiſe gewagt, einen Kuß von ihr zu verlangen. Ihr könnt Euch den Schrecken des armen Kindes denken! Sie hat zuerſt geſagt: „Aber Sie ſind doch nicht mein Gro߬ papa!“ Da iſt er zornig aufgeſprungen und hat ge¬ ſagt: „O, ich bin noch nicht ſo alt, ich kann noch, was mancher Jüngere nicht kann! Meine Kinder ſind alle verheirathet, und mit einer jungen Frau lebt man erſt recht wieder auf, Sie ſind noch ein bischen kindiſch, aber das wollt' ich Ihnen bald abgewöhnen. Die Männer, die heirathen wollen, ſind heutzutage rar, und 'ne alte Jungfer wollen Sie doch nicht wer¬ den?“ Klärchen war ganz in eine Ecke verbarricadirt hinter einem Lehnſtuhl und mußte die plumpen Reden anhören, bis zum Glück Leute hereinkamen, und ſie, zitternd vor Aufregung und Beſchämung, in unſer Zimmer ſtürzte. Und trotzdem dieſer Mann nun doch geſehen hatte, wie erſchrocken das Kind war, hat er Papa im Garten abgefangen und ihm einen förm¬ lichen Heirathsantrag gemacht. Dies nun weiß Klärchen nicht, und ich bitte Euch, es auch nicht zu
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und war gewiſſermaßen die komiſche Perſon auf unſrer
Reiſe. Jetzt aber hat er verſucht, ſich unſerm arg¬
loſen Klärchen auf eine unbeſchreiblich unzarte Art zu
nähern, und das arme Kind iſt ganz außer ſich.
Leider wohnt er wieder in demſelben Hôtel wie wir,
und als er geſtern Abend Klärchen allein im Leſe¬
zimmer traf, hat er es unbegreiflicher Weiſe gewagt,
einen Kuß von ihr zu verlangen. Ihr könnt Euch
den Schrecken des armen Kindes denken! Sie hat
zuerſt geſagt: „Aber Sie ſind doch nicht mein Gro߬
papa!“ Da iſt er zornig aufgeſprungen und hat ge¬
ſagt: „O, ich bin noch nicht ſo alt, ich kann noch,
was mancher Jüngere nicht kann! Meine Kinder ſind
alle verheirathet, und mit einer jungen Frau lebt
man erſt recht wieder auf, Sie ſind noch ein bischen
kindiſch, aber das wollt' ich Ihnen bald abgewöhnen.
Die Männer, die heirathen wollen, ſind heutzutage
rar, und 'ne alte Jungfer wollen Sie doch nicht wer¬
den?“ Klärchen war ganz in eine Ecke verbarricadirt
hinter einem Lehnſtuhl und mußte die plumpen Reden
anhören, bis zum Glück Leute hereinkamen, und ſie,
zitternd vor Aufregung und Beſchämung, in unſer
Zimmer ſtürzte. Und trotzdem dieſer Mann nun doch
geſehen hatte, wie erſchrocken das Kind war, hat er
Papa im Garten abgefangen und ihm einen förm¬
lichen Heirathsantrag gemacht. Dies nun weiß
Klärchen nicht, und ich bitte Euch, es auch nicht zu
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/264>, abgerufen am 27.11.2024.
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