Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

brochen wie sich kreuzende Schwerter zuckten die Blitze.
Mir war ganz ruhig dabei, während Papa und
Mama sich um mich und das Nachhausekommen sorg¬
ten. Seitdem nun ist der Scirocco verschwunden, es
weht eine reine Luft, aber es ist kalt; die Berge in
der Ferne sind alle mit Neuschnee bedeckt, und wir
haben unsre wärmsten Kleider angezogen. Es ist, als
wollte es Herbst werden und war doch eben erst
Frühling. Ich habe Sehnsucht nach Euch, trotz all'
dem Schönen, das uns hier umgibt. Habt Ihr mich
noch so lieb wie als ich wegging? Schreibt Edmund
Dir schon viel über Eure Einrichtung, meine Evy?
Ich will recht bei der Aussteuer helfen, wenn wir
zurück sind, schade, daß ich so wenig Handarbeit ver¬
stehe. Von Albert's Buch haben wir längere Zeit
nichts gehört, schick' uns doch die Anzeigen, liebe
Irene. Wir freuten uns so, als wir die Broschüre
in Bozen in einem Schaufenster liegen sahen!
Historisches aus Tyrol muß ja auch die Tyroler in¬
teressiren. Wir gehen heute wieder zu Assunta von
Tizian. Das ist doch das allerschönste Bild. Ich
denke mich ganz hinein, und manchmal kommt es mir
vor, als sei es der Maria schmerzlich, in den Him¬
mel aufzusteigen, wenn sich doch so viele Hände von
der Erde ihr nachstrecken. Ich lege Euch eine un¬
aufgezogene Photographie des Bildes ein, sie ist aber

brochen wie ſich kreuzende Schwerter zuckten die Blitze.
Mir war ganz ruhig dabei, während Papa und
Mama ſich um mich und das Nachhauſekommen ſorg¬
ten. Seitdem nun iſt der Scirocco verſchwunden, es
weht eine reine Luft, aber es iſt kalt; die Berge in
der Ferne ſind alle mit Neuſchnee bedeckt, und wir
haben unſre wärmſten Kleider angezogen. Es iſt, als
wollte es Herbſt werden und war doch eben erſt
Frühling. Ich habe Sehnſucht nach Euch, trotz all'
dem Schönen, das uns hier umgibt. Habt Ihr mich
noch ſo lieb wie als ich wegging? Schreibt Edmund
Dir ſchon viel über Eure Einrichtung, meine Evy?
Ich will recht bei der Ausſteuer helfen, wenn wir
zurück ſind, ſchade, daß ich ſo wenig Handarbeit ver¬
ſtehe. Von Albert's Buch haben wir längere Zeit
nichts gehört, ſchick' uns doch die Anzeigen, liebe
Irene. Wir freuten uns ſo, als wir die Broſchüre
in Bozen in einem Schaufenſter liegen ſahen!
Hiſtoriſches aus Tyrol muß ja auch die Tyroler in¬
tereſſiren. Wir gehen heute wieder zu Aſſunta von
Tizian. Das iſt doch das allerſchönſte Bild. Ich
denke mich ganz hinein, und manchmal kommt es mir
vor, als ſei es der Maria ſchmerzlich, in den Him¬
mel aufzuſteigen, wenn ſich doch ſo viele Hände von
der Erde ihr nachſtrecken. Ich lege Euch eine un¬
aufgezogene Photographie des Bildes ein, ſie iſt aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <p><pb facs="#f0261" n="245"/>
brochen wie &#x017F;ich kreuzende Schwerter zuckten die Blitze.<lb/>
Mir war ganz ruhig dabei, während Papa und<lb/>
Mama &#x017F;ich um mich und das Nachhau&#x017F;ekommen &#x017F;org¬<lb/>
ten. Seitdem nun i&#x017F;t der Scirocco ver&#x017F;chwunden, es<lb/>
weht eine reine Luft, aber es i&#x017F;t kalt; die Berge in<lb/>
der Ferne &#x017F;ind alle mit Neu&#x017F;chnee bedeckt, und wir<lb/>
haben un&#x017F;re wärm&#x017F;ten Kleider angezogen. Es i&#x017F;t, als<lb/>
wollte es Herb&#x017F;t werden und war doch eben er&#x017F;t<lb/>
Frühling. Ich habe Sehn&#x017F;ucht nach Euch, trotz all'<lb/>
dem Schönen, das uns hier umgibt. Habt Ihr mich<lb/>
noch &#x017F;o lieb wie als ich wegging? Schreibt Edmund<lb/>
Dir &#x017F;chon viel über Eure Einrichtung, meine Evy?<lb/>
Ich will recht bei der Aus&#x017F;teuer helfen, wenn wir<lb/>
zurück &#x017F;ind, &#x017F;chade, daß ich &#x017F;o wenig Handarbeit ver¬<lb/>
&#x017F;tehe. Von Albert's Buch haben wir längere Zeit<lb/>
nichts gehört, &#x017F;chick' uns doch die Anzeigen, liebe<lb/>
Irene. Wir freuten uns &#x017F;o, als wir die Bro&#x017F;chüre<lb/>
in Bozen in einem Schaufen&#x017F;ter liegen &#x017F;ahen!<lb/>
Hi&#x017F;tori&#x017F;ches aus Tyrol muß ja auch die Tyroler in¬<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;iren. Wir gehen heute wieder zu A&#x017F;&#x017F;unta von<lb/>
Tizian. Das i&#x017F;t doch das aller&#x017F;chön&#x017F;te Bild. Ich<lb/>
denke mich ganz hinein, und manchmal kommt es mir<lb/>
vor, als &#x017F;ei es der Maria &#x017F;chmerzlich, in den Him¬<lb/>
mel aufzu&#x017F;teigen, wenn &#x017F;ich doch &#x017F;o viele Hände von<lb/>
der Erde ihr nach&#x017F;trecken. Ich lege Euch eine un¬<lb/>
aufgezogene Photographie des Bildes ein, &#x017F;ie i&#x017F;t aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0261] brochen wie ſich kreuzende Schwerter zuckten die Blitze. Mir war ganz ruhig dabei, während Papa und Mama ſich um mich und das Nachhauſekommen ſorg¬ ten. Seitdem nun iſt der Scirocco verſchwunden, es weht eine reine Luft, aber es iſt kalt; die Berge in der Ferne ſind alle mit Neuſchnee bedeckt, und wir haben unſre wärmſten Kleider angezogen. Es iſt, als wollte es Herbſt werden und war doch eben erſt Frühling. Ich habe Sehnſucht nach Euch, trotz all' dem Schönen, das uns hier umgibt. Habt Ihr mich noch ſo lieb wie als ich wegging? Schreibt Edmund Dir ſchon viel über Eure Einrichtung, meine Evy? Ich will recht bei der Ausſteuer helfen, wenn wir zurück ſind, ſchade, daß ich ſo wenig Handarbeit ver¬ ſtehe. Von Albert's Buch haben wir längere Zeit nichts gehört, ſchick' uns doch die Anzeigen, liebe Irene. Wir freuten uns ſo, als wir die Broſchüre in Bozen in einem Schaufenſter liegen ſahen! Hiſtoriſches aus Tyrol muß ja auch die Tyroler in¬ tereſſiren. Wir gehen heute wieder zu Aſſunta von Tizian. Das iſt doch das allerſchönſte Bild. Ich denke mich ganz hinein, und manchmal kommt es mir vor, als ſei es der Maria ſchmerzlich, in den Him¬ mel aufzuſteigen, wenn ſich doch ſo viele Hände von der Erde ihr nachſtrecken. Ich lege Euch eine un¬ aufgezogene Photographie des Bildes ein, ſie iſt aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/261
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/261>, abgerufen am 21.11.2024.