Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder angesetzt,
als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden
recht begreifen, was er eigentlich meine, und so schrieb
er nur eine flüchtige Karte, die meldete, daß er wohl
angekommen sei. Er begann einen Brief an die
Schwester; wie er sich aber vorstellte, daß grade sie
am wenigsten Verständniß für seine Lust hinaus ge¬
habt, wie sie ihm eifrig zugeredet, des Vaters
"schönes Geschäft" zu übernehmen und die Schwester
ihres Mannes zu heirathen, die wohlhabend und
kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm seine
eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriß den Bogen
mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen
die erste Freundin und Gespielin seiner Kinderjahre.
Nein, er wollte seinem Lehrer schreiben, dem guten
Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch
was? Hatte er denn schon etwas gesehen? Alles,
was er sagen gewollt, zerfloß in Nebel, wenn er des
humoristischen Graukopfs gedachte, wenn er sich des
fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der solch'
einen "blauen Dunst" von seinem ältesten Schüler
aufnehmen würde. Nicht doch, dem schrieb man ernste
Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit.

Alfred legte sein Schreibgeräth in die Schieb¬
lade zurück in eigenthümlicher Enttäuschung. Daß er
hier fremd sein mußte, war natürlich, aber daß er
in der Heimath im Grunde ebenso allein stand, war

erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder angeſetzt,
als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden
recht begreifen, was er eigentlich meine, und ſo ſchrieb
er nur eine flüchtige Karte, die meldete, daß er wohl
angekommen ſei. Er begann einen Brief an die
Schweſter; wie er ſich aber vorſtellte, daß grade ſie
am wenigſten Verſtändniß für ſeine Luſt hinaus ge¬
habt, wie ſie ihm eifrig zugeredet, des Vaters
„ſchönes Geſchäft“ zu übernehmen und die Schweſter
ihres Mannes zu heirathen, die wohlhabend und
kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm ſeine
eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriß den Bogen
mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen
die erſte Freundin und Geſpielin ſeiner Kinderjahre.
Nein, er wollte ſeinem Lehrer ſchreiben, dem guten
Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch
was? Hatte er denn ſchon etwas geſehen? Alles,
was er ſagen gewollt, zerfloß in Nebel, wenn er des
humoriſtiſchen Graukopfs gedachte, wenn er ſich des
fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der ſolch'
einen „blauen Dunſt“ von ſeinem älteſten Schüler
aufnehmen würde. Nicht doch, dem ſchrieb man ernſte
Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit.

Alfred legte ſein Schreibgeräth in die Schieb¬
lade zurück in eigenthümlicher Enttäuſchung. Daß er
hier fremd ſein mußte, war natürlich, aber daß er
in der Heimath im Grunde ebenſo allein ſtand, war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="8"/>
erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder ange&#x017F;etzt,<lb/>
als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden<lb/>
recht begreifen, was er eigentlich meine, und &#x017F;o &#x017F;chrieb<lb/>
er nur eine flüchtige Karte, die meldete, daß er wohl<lb/>
angekommen &#x017F;ei. Er begann einen Brief an die<lb/>
Schwe&#x017F;ter; wie er &#x017F;ich aber vor&#x017F;tellte, daß grade &#x017F;ie<lb/>
am wenig&#x017F;ten Ver&#x017F;tändniß für &#x017F;eine Lu&#x017F;t hinaus ge¬<lb/>
habt, wie &#x017F;ie ihm eifrig zugeredet, des Vaters<lb/>
&#x201E;&#x017F;chönes Ge&#x017F;chäft&#x201C; zu übernehmen und die Schwe&#x017F;ter<lb/>
ihres Mannes zu heirathen, die wohlhabend und<lb/>
kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm &#x017F;eine<lb/>
eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriß den Bogen<lb/>
mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen<lb/>
die er&#x017F;te Freundin und Ge&#x017F;pielin &#x017F;einer Kinderjahre.<lb/>
Nein, er wollte &#x017F;einem Lehrer &#x017F;chreiben, dem guten<lb/>
Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch<lb/>
was? Hatte er denn &#x017F;chon etwas ge&#x017F;ehen? Alles,<lb/>
was er &#x017F;agen gewollt, zerfloß in Nebel, wenn er des<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;chen Graukopfs gedachte, wenn er &#x017F;ich des<lb/>
fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der &#x017F;olch'<lb/>
einen &#x201E;blauen Dun&#x017F;t&#x201C; von &#x017F;einem älte&#x017F;ten Schüler<lb/>
aufnehmen würde. Nicht doch, dem &#x017F;chrieb man ern&#x017F;te<lb/>
Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit.</p><lb/>
        <p>Alfred legte &#x017F;ein Schreibgeräth in die Schieb¬<lb/>
lade zurück in eigenthümlicher Enttäu&#x017F;chung. Daß er<lb/>
hier fremd &#x017F;ein mußte, war natürlich, aber daß er<lb/>
in der Heimath im Grunde eben&#x017F;o allein &#x017F;tand, war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0024] erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder angeſetzt, als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden recht begreifen, was er eigentlich meine, und ſo ſchrieb er nur eine flüchtige Karte, die meldete, daß er wohl angekommen ſei. Er begann einen Brief an die Schweſter; wie er ſich aber vorſtellte, daß grade ſie am wenigſten Verſtändniß für ſeine Luſt hinaus ge¬ habt, wie ſie ihm eifrig zugeredet, des Vaters „ſchönes Geſchäft“ zu übernehmen und die Schweſter ihres Mannes zu heirathen, die wohlhabend und kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm ſeine eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriß den Bogen mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen die erſte Freundin und Geſpielin ſeiner Kinderjahre. Nein, er wollte ſeinem Lehrer ſchreiben, dem guten Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch was? Hatte er denn ſchon etwas geſehen? Alles, was er ſagen gewollt, zerfloß in Nebel, wenn er des humoriſtiſchen Graukopfs gedachte, wenn er ſich des fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der ſolch' einen „blauen Dunſt“ von ſeinem älteſten Schüler aufnehmen würde. Nicht doch, dem ſchrieb man ernſte Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit. Alfred legte ſein Schreibgeräth in die Schieb¬ lade zurück in eigenthümlicher Enttäuſchung. Daß er hier fremd ſein mußte, war natürlich, aber daß er in der Heimath im Grunde ebenſo allein ſtand, war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/24
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/24>, abgerufen am 20.04.2024.