Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

den grünen und braunen Eidechsen gesehen habe, die
jetzt hier überall an den Mauern herumschnellen. Da
stöhnte er so entsetzlich auf, daß es mir fast ängstlich
wurde, obgleich ich nachher lachen mußte. "Das Un¬
geziefer nennen Sie auch noch reizend?" rief er ver¬
zweifelt, "na, da hört aber doch Alles auf! Solch'
Viehzeug gibt es Gottlob in Neustadt-Eberswalde
nicht, und da mag es auch Niemand leiden und
nennt es reizend!" Er schob seinen Teller weg.
"Und der alte Kalbsbraten ist auch ganz ohne Sauce,
solchen hab' ich nu schon jeden Tag gekriegt, dieses
Elend mit dem bischen Essen, und nu verderben Sie
mir noch ganz den Appetit mit Ihren Eidechsen!"
Er sah aus, als wollte er weinen, ich fragte ihn, ob
ihn die Füße sehr schmerzten. Da antwortete er
wieder nichts, blickte aber einer Dame nach, die ge¬
rade vom Tisch aufstand und flüsterte ganz vergnügt:
"Ist das 'ne Italienerin? Ist sie verheirathet? Ist
sie schon lange hier? Einen Ring trägt sie nicht,
was? Haben Sie's nicht bemerkt?" Und plötzlich
zog er einen Kneifer heraus und guckte der Dame
dadurch nach, ganz neugierig und lustig, und als sie
hinausging, ging er auch hinaus, kam aber bald
wieder herein, und sagte ganz laut zu mir: "Sie
trägt keinen Ring!" wobei er mich strafend an¬
blickte. Ist das nicht ein sonderbarer Mensch?
Mama sagt, er sehnt sich gewiß so sehr nach seiner

den grünen und braunen Eidechſen geſehen habe, die
jetzt hier überall an den Mauern herumſchnellen. Da
ſtöhnte er ſo entſetzlich auf, daß es mir faſt ängſtlich
wurde, obgleich ich nachher lachen mußte. „Das Un¬
geziefer nennen Sie auch noch reizend?“ rief er ver¬
zweifelt, „na, da hört aber doch Alles auf! Solch'
Viehzeug gibt es Gottlob in Neuſtadt-Eberswalde
nicht, und da mag es auch Niemand leiden und
nennt es reizend!“ Er ſchob ſeinen Teller weg.
„Und der alte Kalbsbraten iſt auch ganz ohne Sauce,
ſolchen hab' ich nu ſchon jeden Tag gekriegt, dieſes
Elend mit dem bischen Eſſen, und nu verderben Sie
mir noch ganz den Appetit mit Ihren Eidechſen!“
Er ſah aus, als wollte er weinen, ich fragte ihn, ob
ihn die Füße ſehr ſchmerzten. Da antwortete er
wieder nichts, blickte aber einer Dame nach, die ge¬
rade vom Tiſch aufſtand und flüſterte ganz vergnügt:
„Iſt das 'ne Italienerin? Iſt ſie verheirathet? Iſt
ſie ſchon lange hier? Einen Ring trägt ſie nicht,
was? Haben Sie's nicht bemerkt?“ Und plötzlich
zog er einen Kneifer heraus und guckte der Dame
dadurch nach, ganz neugierig und luſtig, und als ſie
hinausging, ging er auch hinaus, kam aber bald
wieder herein, und ſagte ganz laut zu mir: „Sie
trägt keinen Ring!“ wobei er mich ſtrafend an¬
blickte. Iſt das nicht ein ſonderbarer Menſch?
Mama ſagt, er ſehnt ſich gewiß ſo ſehr nach ſeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="213"/>
den grünen und braunen Eidech&#x017F;en ge&#x017F;ehen habe, die<lb/>
jetzt hier überall an den Mauern herum&#x017F;chnellen. Da<lb/>
&#x017F;töhnte er &#x017F;o ent&#x017F;etzlich auf, daß es mir fa&#x017F;t äng&#x017F;tlich<lb/>
wurde, obgleich ich nachher lachen mußte. &#x201E;Das Un¬<lb/>
geziefer nennen Sie auch noch reizend?&#x201C; rief er ver¬<lb/>
zweifelt, &#x201E;na, da hört aber doch Alles auf! Solch'<lb/>
Viehzeug gibt es Gottlob in Neu&#x017F;tadt-Eberswalde<lb/>
nicht, und da mag es auch Niemand leiden und<lb/>
nennt es reizend!&#x201C; Er &#x017F;chob &#x017F;einen Teller weg.<lb/>
&#x201E;Und der alte Kalbsbraten i&#x017F;t auch ganz ohne Sauce,<lb/>
&#x017F;olchen hab' ich nu &#x017F;chon jeden Tag gekriegt, die&#x017F;es<lb/>
Elend mit dem bischen E&#x017F;&#x017F;en, und nu verderben Sie<lb/>
mir noch ganz den Appetit mit Ihren Eidech&#x017F;en!&#x201C;<lb/>
Er &#x017F;ah aus, als wollte er weinen, ich fragte ihn, ob<lb/>
ihn die Füße &#x017F;ehr &#x017F;chmerzten. Da antwortete er<lb/>
wieder nichts, blickte aber einer Dame nach, die ge¬<lb/>
rade vom Ti&#x017F;ch auf&#x017F;tand und flü&#x017F;terte ganz vergnügt:<lb/>
&#x201E;I&#x017F;t das 'ne Italienerin? I&#x017F;t &#x017F;ie verheirathet? I&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon lange hier? Einen Ring trägt &#x017F;ie nicht,<lb/>
was? Haben Sie's nicht bemerkt?&#x201C; Und plötzlich<lb/>
zog er einen Kneifer heraus und guckte der Dame<lb/>
dadurch nach, ganz neugierig und lu&#x017F;tig, und als &#x017F;ie<lb/>
hinausging, ging er auch hinaus, kam aber bald<lb/>
wieder herein, und &#x017F;agte ganz laut zu mir: &#x201E;Sie<lb/>
trägt <hi rendition="#g">keinen</hi> Ring!&#x201C; wobei er mich &#x017F;trafend an¬<lb/>
blickte. I&#x017F;t das nicht ein &#x017F;onderbarer Men&#x017F;ch?<lb/>
Mama &#x017F;agt, er &#x017F;ehnt &#x017F;ich gewiß &#x017F;o &#x017F;ehr nach &#x017F;einer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0229] den grünen und braunen Eidechſen geſehen habe, die jetzt hier überall an den Mauern herumſchnellen. Da ſtöhnte er ſo entſetzlich auf, daß es mir faſt ängſtlich wurde, obgleich ich nachher lachen mußte. „Das Un¬ geziefer nennen Sie auch noch reizend?“ rief er ver¬ zweifelt, „na, da hört aber doch Alles auf! Solch' Viehzeug gibt es Gottlob in Neuſtadt-Eberswalde nicht, und da mag es auch Niemand leiden und nennt es reizend!“ Er ſchob ſeinen Teller weg. „Und der alte Kalbsbraten iſt auch ganz ohne Sauce, ſolchen hab' ich nu ſchon jeden Tag gekriegt, dieſes Elend mit dem bischen Eſſen, und nu verderben Sie mir noch ganz den Appetit mit Ihren Eidechſen!“ Er ſah aus, als wollte er weinen, ich fragte ihn, ob ihn die Füße ſehr ſchmerzten. Da antwortete er wieder nichts, blickte aber einer Dame nach, die ge¬ rade vom Tiſch aufſtand und flüſterte ganz vergnügt: „Iſt das 'ne Italienerin? Iſt ſie verheirathet? Iſt ſie ſchon lange hier? Einen Ring trägt ſie nicht, was? Haben Sie's nicht bemerkt?“ Und plötzlich zog er einen Kneifer heraus und guckte der Dame dadurch nach, ganz neugierig und luſtig, und als ſie hinausging, ging er auch hinaus, kam aber bald wieder herein, und ſagte ganz laut zu mir: „Sie trägt keinen Ring!“ wobei er mich ſtrafend an¬ blickte. Iſt das nicht ein ſonderbarer Menſch? Mama ſagt, er ſehnt ſich gewiß ſo ſehr nach ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/229
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/229>, abgerufen am 03.10.2024.