Der Patient gehorchte; mit Leo's Hülfe war er bald fertig; der kleine Kammerdiener hatte sich an das Dämmerlicht so gut gewöhnt wie Marianne. Als der Arzt den vor Aufregung Sprachlosen in das helle Nebenzimmer geleitete und Alfred beim Anblick der so lang entbehrten Sonne in heiße Thränen aus¬ brach, flog es auch dem jungen Doktor roth um die Augen.
"Wir bringen es im Ganzen recht selten dazu," sagte er, Alfreds Hand drückend, "und auch bei Ihnen -- was hätten wir machen können, wenn die Netzhaut zerrissen gewesen, wie man anfangs befürch¬ ten mußte? Dann säßen Sie noch jetzt rettungslos im Dunkeln."
"Marianne!" murmelte Alfred unruhig -- "son¬ derbar ist es doch --"
Der Arzt faßte seinen Arm, denn er ging schwan¬ kend und unsicher. Als sie auf die Straße kamen, blieb der Bildhauer stehen, warf staunende Blicke ringsum und erhob dann plötzlich die Arme, als wolle er den sonnigen blauen Himmel, die herbstrothen Bäume, die auf ihn zukamen, an seine Brust schließen.
Ein kleines Mädchen kam daher gelaufen, sah ihn eine Weile schüchtern fragend an und streckte ihm dann das Händchen entgegen.
"Babettle!" rief Alfred, "das Babettle, -- und ich kann es wieder sehen."
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Der Patient gehorchte; mit Leo's Hülfe war er bald fertig; der kleine Kammerdiener hatte ſich an das Dämmerlicht ſo gut gewöhnt wie Marianne. Als der Arzt den vor Aufregung Sprachloſen in das helle Nebenzimmer geleitete und Alfred beim Anblick der ſo lang entbehrten Sonne in heiße Thränen aus¬ brach, flog es auch dem jungen Doktor roth um die Augen.
„Wir bringen es im Ganzen recht ſelten dazu,“ ſagte er, Alfreds Hand drückend, „und auch bei Ihnen — was hätten wir machen können, wenn die Netzhaut zerriſſen geweſen, wie man anfangs befürch¬ ten mußte? Dann ſäßen Sie noch jetzt rettungslos im Dunkeln.“
„Marianne!“ murmelte Alfred unruhig — „ſon¬ derbar iſt es doch —“
Der Arzt faßte ſeinen Arm, denn er ging ſchwan¬ kend und unſicher. Als ſie auf die Straße kamen, blieb der Bildhauer ſtehen, warf ſtaunende Blicke ringsum und erhob dann plötzlich die Arme, als wolle er den ſonnigen blauen Himmel, die herbſtrothen Bäume, die auf ihn zukamen, an ſeine Bruſt ſchließen.
Ein kleines Mädchen kam daher gelaufen, ſah ihn eine Weile ſchüchtern fragend an und ſtreckte ihm dann das Händchen entgegen.
„Babettle!“ rief Alfred, „das Babettle, — und ich kann es wieder ſehen.“
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Der Patient gehorchte; mit Leo's Hülfe war er
bald fertig; der kleine Kammerdiener hatte ſich an
das Dämmerlicht ſo gut gewöhnt wie Marianne.
Als der Arzt den vor Aufregung Sprachloſen in das
helle Nebenzimmer geleitete und Alfred beim Anblick
der ſo lang entbehrten Sonne in heiße Thränen aus¬
brach, flog es auch dem jungen Doktor roth um die
Augen.
„Wir bringen es im Ganzen recht ſelten dazu,“
ſagte er, Alfreds Hand drückend, „und auch bei
Ihnen — was hätten wir machen können, wenn die
Netzhaut zerriſſen geweſen, wie man anfangs befürch¬
ten mußte? Dann ſäßen Sie noch jetzt rettungslos
im Dunkeln.“
„Marianne!“ murmelte Alfred unruhig — „ſon¬
derbar iſt es doch —“
Der Arzt faßte ſeinen Arm, denn er ging ſchwan¬
kend und unſicher. Als ſie auf die Straße kamen,
blieb der Bildhauer ſtehen, warf ſtaunende Blicke
ringsum und erhob dann plötzlich die Arme, als wolle
er den ſonnigen blauen Himmel, die herbſtrothen Bäume,
die auf ihn zukamen, an ſeine Bruſt ſchließen.
Ein kleines Mädchen kam daher gelaufen, ſah
ihn eine Weile ſchüchtern fragend an und ſtreckte ihm
dann das Händchen entgegen.
„Babettle!“ rief Alfred, „das Babettle, — und
ich kann es wieder ſehen.“
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/147>, abgerufen am 16.02.2025.
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