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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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ging, ließ er die Beiden in Bewegung zurück: in zwei
Monaten etwa könne man zur Operation schreiten,
hatte er erklärt. Das wäre schon an sich eine auf¬
regende Mittheilung gewesen, ward es noch viel mehr
durch das dunkle Räthsel, das dahinter stand: wird
die gute oder schlimme Möglichkeit jetzt eintreten.
Hätte er doch lieber noch geschwiegen! Alfred konnte
kaum mehr schlafen, -- war in ewiger Unruhe und
erschreckte seine Gefährtin durch die schnellsten Ueber¬
gänge der Stimmung. Er sah es nicht, wie bleich
sie ward in diesen Tagen, wie ihre Hände zitterten
und wie oft ihre Augen mit einem seltsamen, bohren¬
den Blick in seinem Antlitz zu forschen schienen. Sie
hatte ihre Stimme ganz in der Gewalt und blieb
immer dieselbe tröstende, lindernde Freundin. Nie
hatte ihr Gesang herzbewegender geklungen, als in
dieser langen Zeit.

Ein Besuch unterbrach die Stille.

An einem feuchten grauen Morgen, wie sie im
August an diesen Seen schon vorkommen, erschien
ohne Anmeldung ein Paar in der "Fischerliesel,"
das nach den jungen Herrschaften fragte und von dem
stiefelwichsenden Jungen in den Wald geführt ward,
zu dem Blinden und seiner Marianne.

Alfred lag in einer Hängematte, Marianne saß
mit einem Buch auf einem Baumstumpf daneben.
Ein freundlicher Zuruf schon von Weitem meldete

ging, ließ er die Beiden in Bewegung zurück: in zwei
Monaten etwa könne man zur Operation ſchreiten,
hatte er erklärt. Das wäre ſchon an ſich eine auf¬
regende Mittheilung geweſen, ward es noch viel mehr
durch das dunkle Räthſel, das dahinter ſtand: wird
die gute oder ſchlimme Möglichkeit jetzt eintreten.
Hätte er doch lieber noch geſchwiegen! Alfred konnte
kaum mehr ſchlafen, — war in ewiger Unruhe und
erſchreckte ſeine Gefährtin durch die ſchnellſten Ueber¬
gänge der Stimmung. Er ſah es nicht, wie bleich
ſie ward in dieſen Tagen, wie ihre Hände zitterten
und wie oft ihre Augen mit einem ſeltſamen, bohren¬
den Blick in ſeinem Antlitz zu forſchen ſchienen. Sie
hatte ihre Stimme ganz in der Gewalt und blieb
immer dieſelbe tröſtende, lindernde Freundin. Nie
hatte ihr Geſang herzbewegender geklungen, als in
dieſer langen Zeit.

Ein Beſuch unterbrach die Stille.

An einem feuchten grauen Morgen, wie ſie im
Auguſt an dieſen Seen ſchon vorkommen, erſchien
ohne Anmeldung ein Paar in der „Fiſcherlieſel,“
das nach den jungen Herrſchaften fragte und von dem
ſtiefelwichſenden Jungen in den Wald geführt ward,
zu dem Blinden und ſeiner Marianne.

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mit einem Buch auf einem Baumſtumpf daneben.
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[121/0137] ging, ließ er die Beiden in Bewegung zurück: in zwei Monaten etwa könne man zur Operation ſchreiten, hatte er erklärt. Das wäre ſchon an ſich eine auf¬ regende Mittheilung geweſen, ward es noch viel mehr durch das dunkle Räthſel, das dahinter ſtand: wird die gute oder ſchlimme Möglichkeit jetzt eintreten. Hätte er doch lieber noch geſchwiegen! Alfred konnte kaum mehr ſchlafen, — war in ewiger Unruhe und erſchreckte ſeine Gefährtin durch die ſchnellſten Ueber¬ gänge der Stimmung. Er ſah es nicht, wie bleich ſie ward in dieſen Tagen, wie ihre Hände zitterten und wie oft ihre Augen mit einem ſeltſamen, bohren¬ den Blick in ſeinem Antlitz zu forſchen ſchienen. Sie hatte ihre Stimme ganz in der Gewalt und blieb immer dieſelbe tröſtende, lindernde Freundin. Nie hatte ihr Geſang herzbewegender geklungen, als in dieſer langen Zeit. Ein Beſuch unterbrach die Stille. An einem feuchten grauen Morgen, wie ſie im Auguſt an dieſen Seen ſchon vorkommen, erſchien ohne Anmeldung ein Paar in der „Fiſcherlieſel,“ das nach den jungen Herrſchaften fragte und von dem ſtiefelwichſenden Jungen in den Wald geführt ward, zu dem Blinden und ſeiner Marianne. Alfred lag in einer Hängematte, Marianne ſaß mit einem Buch auf einem Baumſtumpf daneben. Ein freundlicher Zuruf ſchon von Weitem meldete

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/137>, abgerufen am 04.05.2024.