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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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ihren Knaben bald unter den Augen des gütigsten Be¬
schützers und in ihrer eigenen Nähe zu wissen, ohne
sich selber einer schmachvollen Enthüllung preiszugeben.
Sie bedeckte ihres Wohlthäters Hände mit Küssen
und Thränen, rief Gottes Segen auf ihn herab und
stellte zum Voraus den Betrag ihrer Hausrente für
den Aufwand eines Halbpensionairs zu seiner Verfügung.

Mir dahingegen bäumte sich die Seele bei der
Vorstellung, das Liebeskind des Fürsten, dem das Erbe
der Reckenburg zugefallen sein würde, in eine Armen¬
anstalt eingeschmuggelt und für eine subalterne Lebens¬
stellung herangebildet zu sehen. Was hatte ich jedoch
Schicklicheres zu rathen und zu bieten? Das Kloster
war wohlberufen, wie die Mehrzahl unserer zu Schul¬
zwecken säcularisirten sächsischen Abteien, war reich
dotirt und stand unter der trefflichen Obhut des ein¬
zigen Menschen, der sich zu einer väterlichen Theil¬
nahme an dem Knaben gezogen fühlte. Mußte ich
nicht schließlich eine höhere Fügung in diesem Wechsel
der Verhältnisse verehren?

So trat ich denn die Rückreise nach Reckenburg
an mit dem Versprechen, im nächsten Frühjahr den
Zögling Muhme Justinens persönlich dem Waisen¬
kloster zuzuführen.


ihren Knaben bald unter den Augen des gütigſten Be¬
ſchützers und in ihrer eigenen Nähe zu wiſſen, ohne
ſich ſelber einer ſchmachvollen Enthüllung preiszugeben.
Sie bedeckte ihres Wohlthäters Hände mit Küſſen
und Thränen, rief Gottes Segen auf ihn herab und
ſtellte zum Voraus den Betrag ihrer Hausrente für
den Aufwand eines Halbpenſionairs zu ſeiner Verfügung.

Mir dahingegen bäumte ſich die Seele bei der
Vorſtellung, das Liebeskind des Fürſten, dem das Erbe
der Reckenburg zugefallen ſein würde, in eine Armen¬
anſtalt eingeſchmuggelt und für eine ſubalterne Lebens¬
ſtellung herangebildet zu ſehen. Was hatte ich jedoch
Schicklicheres zu rathen und zu bieten? Das Kloſter
war wohlberufen, wie die Mehrzahl unſerer zu Schul¬
zwecken ſäculariſirten ſächſiſchen Abteien, war reich
dotirt und ſtand unter der trefflichen Obhut des ein¬
zigen Menſchen, der ſich zu einer väterlichen Theil¬
nahme an dem Knaben gezogen fühlte. Mußte ich
nicht ſchließlich eine höhere Fügung in dieſem Wechſel
der Verhältniſſe verehren?

So trat ich denn die Rückreiſe nach Reckenburg
an mit dem Verſprechen, im nächſten Frühjahr den
Zögling Muhme Juſtinens perſönlich dem Waiſen¬
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[64/0068] ihren Knaben bald unter den Augen des gütigſten Be¬ ſchützers und in ihrer eigenen Nähe zu wiſſen, ohne ſich ſelber einer ſchmachvollen Enthüllung preiszugeben. Sie bedeckte ihres Wohlthäters Hände mit Küſſen und Thränen, rief Gottes Segen auf ihn herab und ſtellte zum Voraus den Betrag ihrer Hausrente für den Aufwand eines Halbpenſionairs zu ſeiner Verfügung. Mir dahingegen bäumte ſich die Seele bei der Vorſtellung, das Liebeskind des Fürſten, dem das Erbe der Reckenburg zugefallen ſein würde, in eine Armen¬ anſtalt eingeſchmuggelt und für eine ſubalterne Lebens¬ ſtellung herangebildet zu ſehen. Was hatte ich jedoch Schicklicheres zu rathen und zu bieten? Das Kloſter war wohlberufen, wie die Mehrzahl unſerer zu Schul¬ zwecken ſäculariſirten ſächſiſchen Abteien, war reich dotirt und ſtand unter der trefflichen Obhut des ein¬ zigen Menſchen, der ſich zu einer väterlichen Theil¬ nahme an dem Knaben gezogen fühlte. Mußte ich nicht ſchließlich eine höhere Fügung in dieſem Wechſel der Verhältniſſe verehren? So trat ich denn die Rückreiſe nach Reckenburg an mit dem Verſprechen, im nächſten Frühjahr den Zögling Muhme Juſtinens perſönlich dem Waiſen¬ kloſter zuzuführen.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/68>, abgerufen am 28.03.2024.