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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"Hinreichend für Sie und allenfalls für Ihr
Kind. Aber für eine zweite, vielleicht zahlreiche Fa¬
milie? Und gesetzt den, wenn auch unwahrscheinlichen
Fall der Heimkehr Doctor Fabers: er würde seine
Schenkung nicht zurücknehmen und er dürfte es nicht.
Aber müßte es eine Natur, wie die unseres Taube,
nicht zu Boden drücken, seine und der Seinigen Exi¬
stenz von dem Treugute des Getäuschten abhängig zu
sehen? Indessen, diese beiden möglichen Zwischenfälle
ungerechnet -- kennen Sie das Leben eines Lehrers
auf dem Lande, liebe Dorothee?"

Es hatte diese Besprechung auf dem Rückwege
vom Kloster stattgefunden. Unmerklich aber waren
wir von unserem Begleiter seitwärts durch ein Nach¬
bardorf geführt worden und standen bei den letzten
Worten vor einem Häuschen, dessen Bestimmung ein
vieltöniger stockernder Chorus mit obligaten Donner¬
schlägen des Vorbeters verkündigte. Ein Schulhaus
und keines von den bescheidensten seiner Zeit, denn
von den Schäden des siebenjährigen Krieges ausgeheilt,
stand es auch jetzt noch unversehrt unter Dach und Fach.

Dessenungeachtet, wir konnten es nicht leugnen,
für ein idyllisches Stillleben war die Wohnstube, in
welche wir vorüberstreifend blickten, doch ein wenig

„Hinreichend für Sie und allenfalls für Ihr
Kind. Aber für eine zweite, vielleicht zahlreiche Fa¬
milie? Und geſetzt den, wenn auch unwahrſcheinlichen
Fall der Heimkehr Doctor Fabers: er würde ſeine
Schenkung nicht zurücknehmen und er dürfte es nicht.
Aber müßte es eine Natur, wie die unſeres Taube,
nicht zu Boden drücken, ſeine und der Seinigen Exi¬
ſtenz von dem Treugute des Getäuſchten abhängig zu
ſehen? Indeſſen, dieſe beiden möglichen Zwiſchenfälle
ungerechnet — kennen Sie das Leben eines Lehrers
auf dem Lande, liebe Dorothee?“

Es hatte dieſe Beſprechung auf dem Rückwege
vom Kloſter ſtattgefunden. Unmerklich aber waren
wir von unſerem Begleiter ſeitwärts durch ein Nach¬
bardorf geführt worden und ſtanden bei den letzten
Worten vor einem Häuschen, deſſen Beſtimmung ein
vieltöniger ſtockernder Chorus mit obligaten Donner¬
ſchlägen des Vorbeters verkündigte. Ein Schulhaus
und keines von den beſcheidenſten ſeiner Zeit, denn
von den Schäden des ſiebenjährigen Krieges ausgeheilt,
ſtand es auch jetzt noch unverſehrt unter Dach und Fach.

Deſſenungeachtet, wir konnten es nicht leugnen,
für ein idylliſches Stillleben war die Wohnſtube, in
welche wir vorüberſtreifend blickten, doch ein wenig

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[60/0064] „Hinreichend für Sie und allenfalls für Ihr Kind. Aber für eine zweite, vielleicht zahlreiche Fa¬ milie? Und geſetzt den, wenn auch unwahrſcheinlichen Fall der Heimkehr Doctor Fabers: er würde ſeine Schenkung nicht zurücknehmen und er dürfte es nicht. Aber müßte es eine Natur, wie die unſeres Taube, nicht zu Boden drücken, ſeine und der Seinigen Exi¬ ſtenz von dem Treugute des Getäuſchten abhängig zu ſehen? Indeſſen, dieſe beiden möglichen Zwiſchenfälle ungerechnet — kennen Sie das Leben eines Lehrers auf dem Lande, liebe Dorothee?“ Es hatte dieſe Beſprechung auf dem Rückwege vom Kloſter ſtattgefunden. Unmerklich aber waren wir von unſerem Begleiter ſeitwärts durch ein Nach¬ bardorf geführt worden und ſtanden bei den letzten Worten vor einem Häuschen, deſſen Beſtimmung ein vieltöniger ſtockernder Chorus mit obligaten Donner¬ ſchlägen des Vorbeters verkündigte. Ein Schulhaus und keines von den beſcheidenſten ſeiner Zeit, denn von den Schäden des ſiebenjährigen Krieges ausgeheilt, ſtand es auch jetzt noch unverſehrt unter Dach und Fach. Deſſenungeachtet, wir konnten es nicht leugnen, für ein idylliſches Stillleben war die Wohnſtube, in welche wir vorüberſtreifend blickten, doch ein wenig

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/64>, abgerufen am 23.04.2024.