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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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War auch die Beglaubigung des Kirchenbuches zu
Grunde gegangen, dem Geistlichen durfte auf Befragen
die Wahrheit nicht verhehlt werden; ein Mensch mehr
wußte um Dorotheens so ängstlich gewahrtes Geheim¬
niß; neugierige Spürversuche, Fraubasereien, irgend ein
unberechenbarer Zufall leiteten auf die richtige Fährte
und der immerhin interessante Zusammenhang drang
über unseren stillen Waldwinkel hinaus in der Leute
Mund. --

Alles dies führte ich Dorotheen zu Gemüthe, so¬
bald ich für etliche Herbstwochen im Elternhause ein¬
gekehrt war. Ich fand sie in nachdenklicher Stim¬
mung, vorbereitet durch den Prediger, wie Se. Hoch¬
würden, der nunmehrige Probst und Director hier
zum letzten Male genannt werden soll.

Niemals hatte Dorothee seit ihrem Unglück sich
in jugendliche Kreise gemischt, niemals mit einem Blick
oder Wort die Huldigungen der Bürgersöhne, wenn
sie ihr zufällig begegneten, ermuntert und so die Be¬
werbungen, an denen es ihr nicht gefehlt haben würde,
von vornherein abgeschnitten. Niemals aber auch
hatte sie gegen mich den Namen des Einziggeliebten
genannt. Dennoch, so oft ich sie in der Einsamkeit
überraschte, spürte ich an ihrem Wesen, an den insich¬

War auch die Beglaubigung des Kirchenbuches zu
Grunde gegangen, dem Geiſtlichen durfte auf Befragen
die Wahrheit nicht verhehlt werden; ein Menſch mehr
wußte um Dorotheens ſo ängſtlich gewahrtes Geheim¬
niß; neugierige Spürverſuche, Fraubaſereien, irgend ein
unberechenbarer Zufall leiteten auf die richtige Fährte
und der immerhin intereſſante Zuſammenhang drang
über unſeren ſtillen Waldwinkel hinaus in der Leute
Mund. —

Alles dies führte ich Dorotheen zu Gemüthe, ſo¬
bald ich für etliche Herbſtwochen im Elternhauſe ein¬
gekehrt war. Ich fand ſie in nachdenklicher Stim¬
mung, vorbereitet durch den Prediger, wie Se. Hoch¬
würden, der nunmehrige Probſt und Director hier
zum letzten Male genannt werden ſoll.

Niemals hatte Dorothee ſeit ihrem Unglück ſich
in jugendliche Kreiſe gemiſcht, niemals mit einem Blick
oder Wort die Huldigungen der Bürgerſöhne, wenn
ſie ihr zufällig begegneten, ermuntert und ſo die Be¬
werbungen, an denen es ihr nicht gefehlt haben würde,
von vornherein abgeſchnitten. Niemals aber auch
hatte ſie gegen mich den Namen des Einziggeliebten
genannt. Dennoch, ſo oft ich ſie in der Einſamkeit
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[56/0060] War auch die Beglaubigung des Kirchenbuches zu Grunde gegangen, dem Geiſtlichen durfte auf Befragen die Wahrheit nicht verhehlt werden; ein Menſch mehr wußte um Dorotheens ſo ängſtlich gewahrtes Geheim¬ niß; neugierige Spürverſuche, Fraubaſereien, irgend ein unberechenbarer Zufall leiteten auf die richtige Fährte und der immerhin intereſſante Zuſammenhang drang über unſeren ſtillen Waldwinkel hinaus in der Leute Mund. — Alles dies führte ich Dorotheen zu Gemüthe, ſo¬ bald ich für etliche Herbſtwochen im Elternhauſe ein¬ gekehrt war. Ich fand ſie in nachdenklicher Stim¬ mung, vorbereitet durch den Prediger, wie Se. Hoch¬ würden, der nunmehrige Probſt und Director hier zum letzten Male genannt werden ſoll. Niemals hatte Dorothee ſeit ihrem Unglück ſich in jugendliche Kreiſe gemiſcht, niemals mit einem Blick oder Wort die Huldigungen der Bürgerſöhne, wenn ſie ihr zufällig begegneten, ermuntert und ſo die Be¬ werbungen, an denen es ihr nicht gefehlt haben würde, von vornherein abgeſchnitten. Niemals aber auch hatte ſie gegen mich den Namen des Einziggeliebten genannt. Dennoch, ſo oft ich ſie in der Einſamkeit überraſchte, ſpürte ich an ihrem Weſen, an den inſich¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/60>, abgerufen am 29.03.2024.