Aus blauem Himmel hatte sie der entsetzliche Schlag getroffen.
Sie lag am Boden in ihren Tageskleidern. Die Arme, quer über dem Bette ausgestreckt, zuckten con¬ vulsivisch, die Augen starrten nach der Thür, ohne daß sie die Eintretende bemerkten. "Fort, fort!" war der einzige Laut, der sich der hastig arbeitenden Brust entrang.
Ich hob sie auf das Bett und setzte mich an ihre Seite. Der Krampf währte eine Weile; endlich ge¬ wahrte sie mich und winkte leidenschaftlich, daß ich mich entferne.
Das Wort brachte sie außer sich. "Nein, nein!" schrie sie auf. "Keinen Arzt! Ich bin gesund. O nur allein, ganz allein!"
Ich zog die Bettvorhänge zusammen, und that, als ob ich mich entferne, setzte mich aber verborgen in den Hintergrund. Allmälig wurde sie ruhiger; ein Thränenstrom machte ihr Luft; ich hörte sie schluch¬ zen, endlich nur noch leise wimmern und seufzen.
Nach einer Stunde etwa richtete sie sich auf, strich den verschobenen Anzug zurecht, trocknete ihre
Aus blauem Himmel hatte ſie der entſetzliche Schlag getroffen.
Sie lag am Boden in ihren Tageskleidern. Die Arme, quer über dem Bette ausgeſtreckt, zuckten con¬ vulſiviſch, die Augen ſtarrten nach der Thür, ohne daß ſie die Eintretende bemerkten. „Fort, fort!“ war der einzige Laut, der ſich der haſtig arbeitenden Bruſt entrang.
Ich hob ſie auf das Bett und ſetzte mich an ihre Seite. Der Krampf währte eine Weile; endlich ge¬ wahrte ſie mich und winkte leidenſchaftlich, daß ich mich entferne.
Das Wort brachte ſie außer ſich. „Nein, nein!“ ſchrie ſie auf. „Keinen Arzt! Ich bin geſund. O nur allein, ganz allein!“
Ich zog die Bettvorhänge zuſammen, und that, als ob ich mich entferne, ſetzte mich aber verborgen in den Hintergrund. Allmälig wurde ſie ruhiger; ein Thränenſtrom machte ihr Luft; ich hörte ſie ſchluch¬ zen, endlich nur noch leiſe wimmern und ſeufzen.
Nach einer Stunde etwa richtete ſie ſich auf, ſtrich den verſchobenen Anzug zurecht, trocknete ihre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0006"n="2"/>
Aus blauem Himmel hatte ſie der entſetzliche Schlag<lb/>
getroffen.</p><lb/><p>Sie lag am Boden in ihren Tageskleidern. Die<lb/>
Arme, quer über dem Bette ausgeſtreckt, zuckten con¬<lb/>
vulſiviſch, die Augen ſtarrten nach der Thür, ohne<lb/>
daß ſie die Eintretende bemerkten. „Fort, fort!“ war<lb/>
der einzige Laut, der ſich der haſtig arbeitenden Bruſt<lb/>
entrang.</p><lb/><p>Ich hob ſie auf das Bett und ſetzte mich an ihre<lb/>
Seite. Der Krampf währte eine Weile; endlich ge¬<lb/>
wahrte ſie mich und winkte leidenſchaftlich, daß ich<lb/>
mich entferne.</p><lb/><p>„Du biſt krank, Dorothee,“ſagte ich. „Ich werde<lb/>
den Arzt rufen laſſen.“</p><lb/><p>Das Wort brachte ſie außer ſich. „Nein, nein!“<lb/>ſchrie ſie auf. „Keinen Arzt! Ich bin geſund. O<lb/>
nur allein, ganz allein!“</p><lb/><p>Ich zog die Bettvorhänge zuſammen, und that,<lb/>
als ob ich mich entferne, ſetzte mich aber verborgen<lb/>
in den Hintergrund. Allmälig wurde ſie ruhiger; ein<lb/>
Thränenſtrom machte ihr Luft; ich hörte ſie ſchluch¬<lb/>
zen, endlich nur noch leiſe wimmern und ſeufzen.</p><lb/><p>Nach einer Stunde etwa richtete ſie ſich auf,<lb/>ſtrich den verſchobenen Anzug zurecht, trocknete ihre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[2/0006]
Aus blauem Himmel hatte ſie der entſetzliche Schlag
getroffen.
Sie lag am Boden in ihren Tageskleidern. Die
Arme, quer über dem Bette ausgeſtreckt, zuckten con¬
vulſiviſch, die Augen ſtarrten nach der Thür, ohne
daß ſie die Eintretende bemerkten. „Fort, fort!“ war
der einzige Laut, der ſich der haſtig arbeitenden Bruſt
entrang.
Ich hob ſie auf das Bett und ſetzte mich an ihre
Seite. Der Krampf währte eine Weile; endlich ge¬
wahrte ſie mich und winkte leidenſchaftlich, daß ich
mich entferne.
„Du biſt krank, Dorothee,“ ſagte ich. „Ich werde
den Arzt rufen laſſen.“
Das Wort brachte ſie außer ſich. „Nein, nein!“
ſchrie ſie auf. „Keinen Arzt! Ich bin geſund. O
nur allein, ganz allein!“
Ich zog die Bettvorhänge zuſammen, und that,
als ob ich mich entferne, ſetzte mich aber verborgen
in den Hintergrund. Allmälig wurde ſie ruhiger; ein
Thränenſtrom machte ihr Luft; ich hörte ſie ſchluch¬
zen, endlich nur noch leiſe wimmern und ſeufzen.
Nach einer Stunde etwa richtete ſie ſich auf,
ſtrich den verſchobenen Anzug zurecht, trocknete ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/6>, abgerufen am 24.01.2021.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2021. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.