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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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aber der zuverlässigste Vermittler und Dir der mildeste
Anwalt sein."

Sie war bei diesen Worten wie vom Donner ge¬
rührt und es dauerte eine Weile, bevor sie der kind¬
lichen Beredtsamkeit Herr geworden war, mit welcher
sie meine Rechtsgrundsätze schon einmal aus dem
Felde geschlagen hatte. "Thun Sie es nicht, Fräu¬
lein Hardine!" rief sie außer sich. "Um Gottes Barm¬
herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen
Welt, vor meinem eigenen Vater sogar eine verwor¬
fene, ehrlose Creatur, nur nicht vor den Augen des
arglosen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬
gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen?
Wie sollte ich vor ihr bestehen und fortan unter
einem Dache mit ihr leben? Sie ist so streng, so
stolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben,
Fräulein Hardine, Sie erst recht. Und weiß es erst
Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht
anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch
Sie bekrittelt zu sehen, Sie, die Sie mir ein Engel
gewesen sind, von den eigenen lieben Eltern getadelt,
ich ertrüg' es nicht. -- Und warum das Alles?" fuhr
sie nach einer Pause fort, während welcher ich diesen
unbeachteten Gesichtspunkt hin und her erwogen hatte.

aber der zuverläſſigſte Vermittler und Dir der mildeſte
Anwalt ſein.“

Sie war bei dieſen Worten wie vom Donner ge¬
rührt und es dauerte eine Weile, bevor ſie der kind¬
lichen Beredtſamkeit Herr geworden war, mit welcher
ſie meine Rechtsgrundſätze ſchon einmal aus dem
Felde geſchlagen hatte. „Thun Sie es nicht, Fräu¬
lein Hardine!“ rief ſie außer ſich. „Um Gottes Barm¬
herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen
Welt, vor meinem eigenen Vater ſogar eine verwor¬
fene, ehrloſe Creatur, nur nicht vor den Augen des
argloſen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬
gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen?
Wie ſollte ich vor ihr beſtehen und fortan unter
einem Dache mit ihr leben? Sie iſt ſo ſtreng, ſo
ſtolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben,
Fräulein Hardine, Sie erſt recht. Und weiß es erſt
Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht
anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch
Sie bekrittelt zu ſehen, Sie, die Sie mir ein Engel
geweſen ſind, von den eigenen lieben Eltern getadelt,
ich ertrüg' es nicht. — Und warum das Alles?“ fuhr
ſie nach einer Pauſe fort, während welcher ich dieſen
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[42/0046] aber der zuverläſſigſte Vermittler und Dir der mildeſte Anwalt ſein.“ Sie war bei dieſen Worten wie vom Donner ge¬ rührt und es dauerte eine Weile, bevor ſie der kind¬ lichen Beredtſamkeit Herr geworden war, mit welcher ſie meine Rechtsgrundſätze ſchon einmal aus dem Felde geſchlagen hatte. „Thun Sie es nicht, Fräu¬ lein Hardine!“ rief ſie außer ſich. „Um Gottes Barm¬ herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen Welt, vor meinem eigenen Vater ſogar eine verwor¬ fene, ehrloſe Creatur, nur nicht vor den Augen des argloſen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬ gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen? Wie ſollte ich vor ihr beſtehen und fortan unter einem Dache mit ihr leben? Sie iſt ſo ſtreng, ſo ſtolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben, Fräulein Hardine, Sie erſt recht. Und weiß es erſt Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch Sie bekrittelt zu ſehen, Sie, die Sie mir ein Engel geweſen ſind, von den eigenen lieben Eltern getadelt, ich ertrüg' es nicht. — Und warum das Alles?“ fuhr ſie nach einer Pauſe fort, während welcher ich dieſen unbeachteten Geſichtspunkt hin und her erwogen hatte.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/46>, abgerufen am 28.03.2024.