Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Saat. Uns schmerzt jeder Baum, dessen Alter
der Axt verfällt und wir freuen uns jedes jung auf¬
strebenden Keims; wir führen fremde Colonisten in
die beschränkte Gesellschaft, die unserer Scholle von
Alters her entsproß, unsere Kenntniß wächst, die Er¬
fahrung wird bunter mit jeder Färbung und Form.

Und wie befreunden wir uns mit der thierischen
Creatur; wie forschen wir nach ihren Trieben, Sitten
und Gesetzen, lernen ihre Lebensart verbessern und
ihre Gaben immer reichlicher verwerthen! Seht Eure
Heerden Tag für Tag auf ihrer Trift und Ihr un¬
terscheidet an jedem einförmigen Schaf oder Rind ein
Gesicht und ein Geschick.

Endlich aber, ganz zuletzt, die menschlichen Ge¬
nossen in dieser abgeschiedenen kleinen Welt. Es ist
kein Paradiesesgarten, meine Freunde. Gleichgültiger
als an der weidenden Heerde geht der Fremdling an
den stumpfen, entarteten Gestalten vorüber, schätzt sie
niedriger als das Wild des Waldes in seiner unver¬
kümmerten Schöne und dem ungebrochenen Instinct.
Aber Schritt für Schritt schwinden Ekel und Lange¬
weile, wächst der aufmerkende Trieb. Allmälig wer¬
den sie uns vertraut, die platten Gesichter, denen wir
jede Stunde begegnen, deren mühseliges Tagewerk wir

neue Saat. Uns ſchmerzt jeder Baum, deſſen Alter
der Axt verfällt und wir freuen uns jedes jung auf¬
ſtrebenden Keims; wir führen fremde Coloniſten in
die beſchränkte Geſellſchaft, die unſerer Scholle von
Alters her entſproß, unſere Kenntniß wächſt, die Er¬
fahrung wird bunter mit jeder Färbung und Form.

Und wie befreunden wir uns mit der thieriſchen
Creatur; wie forſchen wir nach ihren Trieben, Sitten
und Geſetzen, lernen ihre Lebensart verbeſſern und
ihre Gaben immer reichlicher verwerthen! Seht Eure
Heerden Tag für Tag auf ihrer Trift und Ihr un¬
terſcheidet an jedem einförmigen Schaf oder Rind ein
Geſicht und ein Geſchick.

Endlich aber, ganz zuletzt, die menſchlichen Ge¬
noſſen in dieſer abgeſchiedenen kleinen Welt. Es iſt
kein Paradieſesgarten, meine Freunde. Gleichgültiger
als an der weidenden Heerde geht der Fremdling an
den ſtumpfen, entarteten Geſtalten vorüber, ſchätzt ſie
niedriger als das Wild des Waldes in ſeiner unver¬
kümmerten Schöne und dem ungebrochenen Inſtinct.
Aber Schritt für Schritt ſchwinden Ekel und Lange¬
weile, wächſt der aufmerkende Trieb. Allmälig wer¬
den ſie uns vertraut, die platten Geſichter, denen wir
jede Stunde begegnen, deren mühſeliges Tagewerk wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="31"/>
neue Saat. Uns &#x017F;chmerzt jeder Baum, de&#x017F;&#x017F;en Alter<lb/>
der Axt verfällt und wir freuen uns jedes jung auf¬<lb/>
&#x017F;trebenden Keims; wir führen fremde Coloni&#x017F;ten in<lb/>
die be&#x017F;chränkte Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die un&#x017F;erer Scholle von<lb/>
Alters her ent&#x017F;proß, un&#x017F;ere Kenntniß wäch&#x017F;t, die Er¬<lb/>
fahrung wird bunter mit jeder Färbung und Form.</p><lb/>
        <p>Und wie befreunden wir uns mit der thieri&#x017F;chen<lb/>
Creatur; wie for&#x017F;chen wir nach ihren Trieben, Sitten<lb/>
und Ge&#x017F;etzen, lernen ihre Lebensart verbe&#x017F;&#x017F;ern und<lb/>
ihre Gaben immer reichlicher verwerthen! Seht Eure<lb/>
Heerden Tag für Tag auf ihrer Trift und Ihr un¬<lb/>
ter&#x017F;cheidet an jedem einförmigen Schaf oder Rind ein<lb/>
Ge&#x017F;icht und ein Ge&#x017F;chick.</p><lb/>
        <p>Endlich aber, ganz zuletzt, die men&#x017F;chlichen Ge¬<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en in die&#x017F;er abge&#x017F;chiedenen kleinen Welt. Es i&#x017F;t<lb/>
kein Paradie&#x017F;esgarten, meine Freunde. Gleichgültiger<lb/>
als an der weidenden Heerde geht der Fremdling an<lb/>
den &#x017F;tumpfen, entarteten Ge&#x017F;talten vorüber, &#x017F;chätzt &#x017F;ie<lb/>
niedriger als das Wild des Waldes in &#x017F;einer unver¬<lb/>
kümmerten Schöne und dem ungebrochenen In&#x017F;tinct.<lb/>
Aber Schritt für Schritt &#x017F;chwinden Ekel und Lange¬<lb/>
weile, wäch&#x017F;t der aufmerkende Trieb. Allmälig wer¬<lb/>
den &#x017F;ie uns vertraut, die platten Ge&#x017F;ichter, denen wir<lb/>
jede Stunde begegnen, deren müh&#x017F;eliges Tagewerk wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0035] neue Saat. Uns ſchmerzt jeder Baum, deſſen Alter der Axt verfällt und wir freuen uns jedes jung auf¬ ſtrebenden Keims; wir führen fremde Coloniſten in die beſchränkte Geſellſchaft, die unſerer Scholle von Alters her entſproß, unſere Kenntniß wächſt, die Er¬ fahrung wird bunter mit jeder Färbung und Form. Und wie befreunden wir uns mit der thieriſchen Creatur; wie forſchen wir nach ihren Trieben, Sitten und Geſetzen, lernen ihre Lebensart verbeſſern und ihre Gaben immer reichlicher verwerthen! Seht Eure Heerden Tag für Tag auf ihrer Trift und Ihr un¬ terſcheidet an jedem einförmigen Schaf oder Rind ein Geſicht und ein Geſchick. Endlich aber, ganz zuletzt, die menſchlichen Ge¬ noſſen in dieſer abgeſchiedenen kleinen Welt. Es iſt kein Paradieſesgarten, meine Freunde. Gleichgültiger als an der weidenden Heerde geht der Fremdling an den ſtumpfen, entarteten Geſtalten vorüber, ſchätzt ſie niedriger als das Wild des Waldes in ſeiner unver¬ kümmerten Schöne und dem ungebrochenen Inſtinct. Aber Schritt für Schritt ſchwinden Ekel und Lange¬ weile, wächſt der aufmerkende Trieb. Allmälig wer¬ den ſie uns vertraut, die platten Geſichter, denen wir jede Stunde begegnen, deren mühſeliges Tagewerk wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/35
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/35>, abgerufen am 03.12.2024.