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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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denken konnte bei einer Helferin ihres Zeichens füg¬
lich nicht die Rede sein.

Wir wurden daher ohne Markten handelseinig.

Die Muhme holte am andern Tage ihre Schutz¬
befohlene aus der Stadt ab, nahm sie in Kost und
Pflege und ließ sie, wenn Einer nach ihr fragen sollte
-- unwahrscheinlicher Weise, da "Bauern nicht wie
Stadtbürger wissenschaftlicher Complexion sind" --
für eine Angehörige, die kürzlich Wittwe geworden
war, gelten. Vor allem Andern übernahm sie die
Auseinandersetzung mit dem Prediger, dem die unbe¬
dingte Wahrheit gesagt werden mußte. Daß unser
Uebereinkommen gewissenhaft und mit bestem Gelingen
durchgeführt worden ist, sei zum Voraus berichtet.

Nicht ohne Bewegung ging ich nun dem Wieder¬
sehen der Gräfin entgegen. Mir, der Jugendlichen,
war ja nur ein Traum entwichen, ein flüchtiges Glück,
das ich erst seit unserer Trennung hatte kennen ler¬
nen. Ihr, der Urgreisin, war der Bau eines langen
Lebens in Trümmern gestürzt. Ich mußte auf eine
tiefe Wirkung vorbereitet sein.

Was ich aber gewahren sollte, das war die Ver¬
wüstung eines sengenden Strahls und Gott weiß, un¬
ter welchen Qualen ich lange Jahre hindurch in mei¬

denken konnte bei einer Helferin ihres Zeichens füg¬
lich nicht die Rede ſein.

Wir wurden daher ohne Markten handelseinig.

Die Muhme holte am andern Tage ihre Schutz¬
befohlene aus der Stadt ab, nahm ſie in Koſt und
Pflege und ließ ſie, wenn Einer nach ihr fragen ſollte
— unwahrſcheinlicher Weiſe, da „Bauern nicht wie
Stadtbürger wiſſenſchaftlicher Complexion ſind“ —
für eine Angehörige, die kürzlich Wittwe geworden
war, gelten. Vor allem Andern übernahm ſie die
Auseinanderſetzung mit dem Prediger, dem die unbe¬
dingte Wahrheit geſagt werden mußte. Daß unſer
Uebereinkommen gewiſſenhaft und mit beſtem Gelingen
durchgeführt worden iſt, ſei zum Voraus berichtet.

Nicht ohne Bewegung ging ich nun dem Wieder¬
ſehen der Gräfin entgegen. Mir, der Jugendlichen,
war ja nur ein Traum entwichen, ein flüchtiges Glück,
das ich erſt ſeit unſerer Trennung hatte kennen ler¬
nen. Ihr, der Urgreiſin, war der Bau eines langen
Lebens in Trümmern geſtürzt. Ich mußte auf eine
tiefe Wirkung vorbereitet ſein.

Was ich aber gewahren ſollte, das war die Ver¬
wüſtung eines ſengenden Strahls und Gott weiß, un¬
ter welchen Qualen ich lange Jahre hindurch in mei¬

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[27/0031] denken konnte bei einer Helferin ihres Zeichens füg¬ lich nicht die Rede ſein. Wir wurden daher ohne Markten handelseinig. Die Muhme holte am andern Tage ihre Schutz¬ befohlene aus der Stadt ab, nahm ſie in Koſt und Pflege und ließ ſie, wenn Einer nach ihr fragen ſollte — unwahrſcheinlicher Weiſe, da „Bauern nicht wie Stadtbürger wiſſenſchaftlicher Complexion ſind“ — für eine Angehörige, die kürzlich Wittwe geworden war, gelten. Vor allem Andern übernahm ſie die Auseinanderſetzung mit dem Prediger, dem die unbe¬ dingte Wahrheit geſagt werden mußte. Daß unſer Uebereinkommen gewiſſenhaft und mit beſtem Gelingen durchgeführt worden iſt, ſei zum Voraus berichtet. Nicht ohne Bewegung ging ich nun dem Wieder¬ ſehen der Gräfin entgegen. Mir, der Jugendlichen, war ja nur ein Traum entwichen, ein flüchtiges Glück, das ich erſt ſeit unſerer Trennung hatte kennen ler¬ nen. Ihr, der Urgreiſin, war der Bau eines langen Lebens in Trümmern geſtürzt. Ich mußte auf eine tiefe Wirkung vorbereitet ſein. Was ich aber gewahren ſollte, das war die Ver¬ wüſtung eines ſengenden Strahls und Gott weiß, un¬ ter welchen Qualen ich lange Jahre hindurch in mei¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/31>, abgerufen am 19.04.2024.