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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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war es etwas Unbeschreibliches, Unendliches, das man
nur fühlt, nicht sieht. Soll ich sagen ein wogendes
Meer? oder eine blendende Wolke, die von einem
Throne niederwallte und wie mit einem durchsichtigen
Schleier vier Gestalten überwob, die Hand in Hand
auf ihren Knieen lagen und ihre Blicke in die Höhe
richteten? Diese Gestalten aber, ich sah sie so deutlich,
wie ich sie je im Leben gesehen hatte, es wa¬
ren Siegmund Faber, Dorothee, ihr Sohn und ihres
Sohnes Vater. Und eine Fünfte trat zu ihnen, um
zwischen dem Letzten und Ersten die Kette zu schlie¬
ßen, diese Fünfte aber war ich selbst. Der leuchtende
Schleier überwallte auch mich und es flüsterte unter
seiner Hülle wie Luftgesäusel: "Denn welche der
Geist Gottes treibt, die werden Gottes Kinder heißen."

Unter diesem Geflüster erwachte ich, und es
währte eine Weile, bis ich mich besann, daß nur
die Fontaine in der Morgenstille plätscherte, und daß
das leuchtende Meer, das mich umwogte, die aufstei¬
gende Sonne sei, welche die Nebel der Aue über¬
goldete.

Rasch erhob ich mich nun. Mein Puls schlug
ruhig und kräftig, wie alle Tage, wie diese Stunde
noch. Aber es war etwas in mir lebendig geworden,

war es etwas Unbeſchreibliches, Unendliches, das man
nur fühlt, nicht ſieht. Soll ich ſagen ein wogendes
Meer? oder eine blendende Wolke, die von einem
Throne niederwallte und wie mit einem durchſichtigen
Schleier vier Geſtalten überwob, die Hand in Hand
auf ihren Knieen lagen und ihre Blicke in die Höhe
richteten? Dieſe Geſtalten aber, ich ſah ſie ſo deutlich,
wie ich ſie je im Leben geſehen hatte, es wa¬
ren Siegmund Faber, Dorothee, ihr Sohn und ihres
Sohnes Vater. Und eine Fünfte trat zu ihnen, um
zwiſchen dem Letzten und Erſten die Kette zu ſchlie¬
ßen, dieſe Fünfte aber war ich ſelbſt. Der leuchtende
Schleier überwallte auch mich und es flüſterte unter
ſeiner Hülle wie Luftgeſäuſel: „Denn welche der
Geiſt Gottes treibt, die werden Gottes Kinder heißen.“

Unter dieſem Geflüſter erwachte ich, und es
währte eine Weile, bis ich mich beſann, daß nur
die Fontaine in der Morgenſtille plätſcherte, und daß
das leuchtende Meer, das mich umwogte, die aufſtei¬
gende Sonne ſei, welche die Nebel der Aue über¬
goldete.

Raſch erhob ich mich nun. Mein Puls ſchlug
ruhig und kräftig, wie alle Tage, wie dieſe Stunde
noch. Aber es war etwas in mir lebendig geworden,

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[264/0268] war es etwas Unbeſchreibliches, Unendliches, das man nur fühlt, nicht ſieht. Soll ich ſagen ein wogendes Meer? oder eine blendende Wolke, die von einem Throne niederwallte und wie mit einem durchſichtigen Schleier vier Geſtalten überwob, die Hand in Hand auf ihren Knieen lagen und ihre Blicke in die Höhe richteten? Dieſe Geſtalten aber, ich ſah ſie ſo deutlich, wie ich ſie je im Leben geſehen hatte, es wa¬ ren Siegmund Faber, Dorothee, ihr Sohn und ihres Sohnes Vater. Und eine Fünfte trat zu ihnen, um zwiſchen dem Letzten und Erſten die Kette zu ſchlie¬ ßen, dieſe Fünfte aber war ich ſelbſt. Der leuchtende Schleier überwallte auch mich und es flüſterte unter ſeiner Hülle wie Luftgeſäuſel: „Denn welche der Geiſt Gottes treibt, die werden Gottes Kinder heißen.“ Unter dieſem Geflüſter erwachte ich, und es währte eine Weile, bis ich mich beſann, daß nur die Fontaine in der Morgenſtille plätſcherte, und daß das leuchtende Meer, das mich umwogte, die aufſtei¬ gende Sonne ſei, welche die Nebel der Aue über¬ goldete. Raſch erhob ich mich nun. Mein Puls ſchlug ruhig und kräftig, wie alle Tage, wie dieſe Stunde noch. Aber es war etwas in mir lebendig geworden,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/268>, abgerufen am 25.04.2024.