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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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nicht an dem hochragenden Wipfel des schützenden
Eichenbaumes brechen sollten.

Es war einer von den seltenen Tagen, deren
Sonnengold und Farbenspiel wir so dankbar als letzte
Gunst des Jahres genießen. Ludwig und Hardine er¬
stiegen einen Hügel, der, zwischen Garten und Forst,
meilenweit über die Flußaue einen Ausblick bietet.
Die Herbstspinne hatte die Stoppeln der Felder mit
einem silbernen Netze verhüllt, die Zeitlose einen Vi¬
olenschimmer über die noch immer saftgrünen Wiesen
gebreitet. Leise drangen die Glocken der abweidenden
Heerden herauf; die Spätlingsdüfte der Reseda misch¬
ten sich mit der Würze des Waldes, der in allen
Schattirungen des absterbenden Laubes und der immer¬
grünen Nadeln die Landschaft umrahmt. Breit und
ruhig wallte der Strom, ein Spiegel reinster Him¬
melsbläue, bis er fern im Westen im Glänze der sin¬
kenden Sonne verschwand; gegen Morgen aber stand
die feine Sichel des Mondes gleich einem Diadem
über dem schwärzlichen Tannenforst und aus dem
Grunde stiegen schon jene weißen Dunstschleier in die
Höhe, welche an die Ahnungen unserer Seele erinnern,
wenn Sang und Duft der Jugend erloschen sind.

Keine Jahresfärbung steigert die einfachen For¬

nicht an dem hochragenden Wipfel des ſchützenden
Eichenbaumes brechen ſollten.

Es war einer von den ſeltenen Tagen, deren
Sonnengold und Farbenſpiel wir ſo dankbar als letzte
Gunſt des Jahres genießen. Ludwig und Hardine er¬
ſtiegen einen Hügel, der, zwiſchen Garten und Forſt,
meilenweit über die Flußaue einen Ausblick bietet.
Die Herbſtſpinne hatte die Stoppeln der Felder mit
einem ſilbernen Netze verhüllt, die Zeitloſe einen Vi¬
olenſchimmer über die noch immer ſaftgrünen Wieſen
gebreitet. Leiſe drangen die Glocken der abweidenden
Heerden herauf; die Spätlingsdüfte der Reſeda miſch¬
ten ſich mit der Würze des Waldes, der in allen
Schattirungen des abſterbenden Laubes und der immer¬
grünen Nadeln die Landſchaft umrahmt. Breit und
ruhig wallte der Strom, ein Spiegel reinſter Him¬
melsbläue, bis er fern im Weſten im Glänze der ſin¬
kenden Sonne verſchwand; gegen Morgen aber ſtand
die feine Sichel des Mondes gleich einem Diadem
über dem ſchwärzlichen Tannenforſt und aus dem
Grunde ſtiegen ſchon jene weißen Dunſtſchleier in die
Höhe, welche an die Ahnungen unſerer Seele erinnern,
wenn Sang und Duft der Jugend erloſchen ſind.

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[232/0236] nicht an dem hochragenden Wipfel des ſchützenden Eichenbaumes brechen ſollten. Es war einer von den ſeltenen Tagen, deren Sonnengold und Farbenſpiel wir ſo dankbar als letzte Gunſt des Jahres genießen. Ludwig und Hardine er¬ ſtiegen einen Hügel, der, zwiſchen Garten und Forſt, meilenweit über die Flußaue einen Ausblick bietet. Die Herbſtſpinne hatte die Stoppeln der Felder mit einem ſilbernen Netze verhüllt, die Zeitloſe einen Vi¬ olenſchimmer über die noch immer ſaftgrünen Wieſen gebreitet. Leiſe drangen die Glocken der abweidenden Heerden herauf; die Spätlingsdüfte der Reſeda miſch¬ ten ſich mit der Würze des Waldes, der in allen Schattirungen des abſterbenden Laubes und der immer¬ grünen Nadeln die Landſchaft umrahmt. Breit und ruhig wallte der Strom, ein Spiegel reinſter Him¬ melsbläue, bis er fern im Weſten im Glänze der ſin¬ kenden Sonne verſchwand; gegen Morgen aber ſtand die feine Sichel des Mondes gleich einem Diadem über dem ſchwärzlichen Tannenforſt und aus dem Grunde ſtiegen ſchon jene weißen Dunſtſchleier in die Höhe, welche an die Ahnungen unſerer Seele erinnern, wenn Sang und Duft der Jugend erloſchen ſind. Keine Jahresfärbung ſteigert die einfachen For¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/236>, abgerufen am 29.03.2024.