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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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von Eleganz und Behagen; alles, was ich kürzlich
während der preußischen Besatzung über ihre gesell¬
schaftliche Stellung gehört hatte, sprach von Sicher¬
heit und Ehren: Sie war ein geliebtes, ein glückli¬
ches Weib, und wie verlassen, wie elend hatte ich vor
wenigen Minuten vor mir selber gestanden.

Und dennoch, -- denn wer beschriebe jenen heim¬
lichen Zug von Zwang, der gleich einem eisernen
Stirnband die Unglücklichsten unter uns kennzeichnet?
oder gäbe es einen wehethuenderen Ausdruck, als den
der Angst in einem Kinderauge? -- und dennoch tönte
eine Stimme aus meinem Innersten heraus: dieses
schöne, gesegnete Weib ist elender, gottverlassener
als Du!

Und als hätte diese Stimme ein Echo erweckt,
so flüsterten jetzt die bleichen Lippen: "Hardine, ich
bin elender als Du!"

Der Krampf war gelöst; sie athmete und be¬
wegte sich frei; aber sie sprang nicht in die Höhe,
wie sonst; sie erröthete nicht, senkte und hob nicht die
Lider, schmiegte sich nicht an meine Kniee, an meinen
Arm, reichte mir nicht einmal die Hand. Sie ließ
das müde Auge in dem meinen ruhen und erhob sich
langsam, wie in gewohnter, peinvoller Zurückhaltung.

von Eleganz und Behagen; alles, was ich kürzlich
während der preußiſchen Beſatzung über ihre geſell¬
ſchaftliche Stellung gehört hatte, ſprach von Sicher¬
heit und Ehren: Sie war ein geliebtes, ein glückli¬
ches Weib, und wie verlaſſen, wie elend hatte ich vor
wenigen Minuten vor mir ſelber geſtanden.

Und dennoch, — denn wer beſchriebe jenen heim¬
lichen Zug von Zwang, der gleich einem eiſernen
Stirnband die Unglücklichſten unter uns kennzeichnet?
oder gäbe es einen wehethuenderen Ausdruck, als den
der Angſt in einem Kinderauge? — und dennoch tönte
eine Stimme aus meinem Innerſten heraus: dieſes
ſchöne, geſegnete Weib iſt elender, gottverlaſſener
als Du!

Und als hätte dieſe Stimme ein Echo erweckt,
ſo flüſterten jetzt die bleichen Lippen: „Hardine, ich
bin elender als Du!“

Der Krampf war gelöſt; ſie athmete und be¬
wegte ſich frei; aber ſie ſprang nicht in die Höhe,
wie ſonſt; ſie erröthete nicht, ſenkte und hob nicht die
Lider, ſchmiegte ſich nicht an meine Kniee, an meinen
Arm, reichte mir nicht einmal die Hand. Sie ließ
das müde Auge in dem meinen ruhen und erhob ſich
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[132/0136] von Eleganz und Behagen; alles, was ich kürzlich während der preußiſchen Beſatzung über ihre geſell¬ ſchaftliche Stellung gehört hatte, ſprach von Sicher¬ heit und Ehren: Sie war ein geliebtes, ein glückli¬ ches Weib, und wie verlaſſen, wie elend hatte ich vor wenigen Minuten vor mir ſelber geſtanden. Und dennoch, — denn wer beſchriebe jenen heim¬ lichen Zug von Zwang, der gleich einem eiſernen Stirnband die Unglücklichſten unter uns kennzeichnet? oder gäbe es einen wehethuenderen Ausdruck, als den der Angſt in einem Kinderauge? — und dennoch tönte eine Stimme aus meinem Innerſten heraus: dieſes ſchöne, geſegnete Weib iſt elender, gottverlaſſener als Du! Und als hätte dieſe Stimme ein Echo erweckt, ſo flüſterten jetzt die bleichen Lippen: „Hardine, ich bin elender als Du!“ Der Krampf war gelöſt; ſie athmete und be¬ wegte ſich frei; aber ſie ſprang nicht in die Höhe, wie ſonſt; ſie erröthete nicht, ſenkte und hob nicht die Lider, ſchmiegte ſich nicht an meine Kniee, an meinen Arm, reichte mir nicht einmal die Hand. Sie ließ das müde Auge in dem meinen ruhen und erhob ſich langſam, wie in gewohnter, peinvoller Zurückhaltung.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/136>, abgerufen am 25.04.2024.