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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Gruppen vor dem Posthause uns gegenüber, immer
angstvoller die Geberden; mir war, als ob alle Blicke
nach unserem Hause gerichtet seien. Ich ertrug es
nicht länger.

Die Mutter saß unbewegt auf dem Schlafstuhle
am Fenster; sie blickte starr auf das Gedränge, aber
sie fragte nach nichts. Ich ließ sie unter Obhut der
Magd. Es dunkelte bereits. Ich lief hinüber nach
der Post; es waren kaum hundert Schritte, in weni¬
gen Minuten konnte ich zurück sein.

Und in wenigen Minuten war ich zurück, die
Botschaft im Herzen, die, ich wußte es, dem einzigen
geliebten Wesen, das mir auf Erden geblieben war,
wie ein Todesurtheil klingen mußte. Der theure
Mann war dahin! gefallen an der Spitze seines Re¬
giments während jenes letzten, unglücklichen Reiter¬
sturmes, der auch dem fürstlichen Führer zum Ver¬
hängniß werden sollte. Wie starrte ich, wie grauste
mich, als ich die Schwelle überschritt, die, so lange
ich denken konnte, zu einer Stätte beglückten Friedens
geführt hatte. Es waren nur wenige Minuten --
und ich fand sie in eine Sterbekammer umgewandelt.

In ihrem Stuhle am Fenster, so wie ich sie ver¬
lassen hatte, lehnte die unglückliche Frau mit schlaffen

Gruppen vor dem Poſthauſe uns gegenüber, immer
angſtvoller die Geberden; mir war, als ob alle Blicke
nach unſerem Hauſe gerichtet ſeien. Ich ertrug es
nicht länger.

Die Mutter ſaß unbewegt auf dem Schlafſtuhle
am Fenſter; ſie blickte ſtarr auf das Gedränge, aber
ſie fragte nach nichts. Ich ließ ſie unter Obhut der
Magd. Es dunkelte bereits. Ich lief hinüber nach
der Poſt; es waren kaum hundert Schritte, in weni¬
gen Minuten konnte ich zurück ſein.

Und in wenigen Minuten war ich zurück, die
Botſchaft im Herzen, die, ich wußte es, dem einzigen
geliebten Weſen, das mir auf Erden geblieben war,
wie ein Todesurtheil klingen mußte. Der theure
Mann war dahin! gefallen an der Spitze ſeines Re¬
giments während jenes letzten, unglücklichen Reiter¬
ſturmes, der auch dem fürſtlichen Führer zum Ver¬
hängniß werden ſollte. Wie ſtarrte ich, wie grauſte
mich, als ich die Schwelle überſchritt, die, ſo lange
ich denken konnte, zu einer Stätte beglückten Friedens
geführt hatte. Es waren nur wenige Minuten —
und ich fand ſie in eine Sterbekammer umgewandelt.

In ihrem Stuhle am Fenſter, ſo wie ich ſie ver¬
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[121/0125] Gruppen vor dem Poſthauſe uns gegenüber, immer angſtvoller die Geberden; mir war, als ob alle Blicke nach unſerem Hauſe gerichtet ſeien. Ich ertrug es nicht länger. Die Mutter ſaß unbewegt auf dem Schlafſtuhle am Fenſter; ſie blickte ſtarr auf das Gedränge, aber ſie fragte nach nichts. Ich ließ ſie unter Obhut der Magd. Es dunkelte bereits. Ich lief hinüber nach der Poſt; es waren kaum hundert Schritte, in weni¬ gen Minuten konnte ich zurück ſein. Und in wenigen Minuten war ich zurück, die Botſchaft im Herzen, die, ich wußte es, dem einzigen geliebten Weſen, das mir auf Erden geblieben war, wie ein Todesurtheil klingen mußte. Der theure Mann war dahin! gefallen an der Spitze ſeines Re¬ giments während jenes letzten, unglücklichen Reiter¬ ſturmes, der auch dem fürſtlichen Führer zum Ver¬ hängniß werden ſollte. Wie ſtarrte ich, wie grauſte mich, als ich die Schwelle überſchritt, die, ſo lange ich denken konnte, zu einer Stätte beglückten Friedens geführt hatte. Es waren nur wenige Minuten — und ich fand ſie in eine Sterbekammer umgewandelt. In ihrem Stuhle am Fenſter, ſo wie ich ſie ver¬ laſſen hatte, lehnte die unglückliche Frau mit ſchlaffen

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/125>, abgerufen am 29.03.2024.