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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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bub, dem das Gespenst im Goldthurm seine Seele
verschrieben habe, Reden, vor deren Logik die Gegen¬
rede verhallte wie leerer Wind, da fragte ich mich oft¬
mals mit höhnendem Grimm, warum nicht in jedem
Tollhaus eine Station für Geiznarren errichtet sei?
und noch öfter kämpfte ich mit der Versuchung, eine
gerichtliche Curatel für meine unzurechnungsfähige
Verwandtin zu beantragen.

Aber ich kämpfte sie nieder. Die Frau, die so
kraftvoll gelebt hatte, um so kümmerlich zu versiechen,
stand in ihrem zehnten Jahrzehnt und nicht auf das
Zeugniß hin der Letzten, die ihren Namen trug, sollte
sie in den Registern ihres Landes als eine Thörin
verzeichnet stehen. Noch war ich stark genug gegen die Ver¬
wüstung Stand zu halten, bis ein zögernder Naturlauf die
Verwalterin zur Herrin ihres heimathlichen Grundes ma¬
chen, oder sie für immer von demselben vertreiben mußte.

Jahr um Jahr schlich dahin in diesem Zustande
äußerlicher und innerlicher Latenz, wie der Arzt ein
lähmendes, lastendes Siechthum nennt und der Krise
harrt, die seinen Patienten, sei es im Tode, sei es zu
einem verjüngten Leben befreit.

Und dieses heimlich lauernde Elend verspürte das
einsame Mädchen in dem Waldwinkel von Reckenburg,

bub, dem das Geſpenſt im Goldthurm ſeine Seele
verſchrieben habe, Reden, vor deren Logik die Gegen¬
rede verhallte wie leerer Wind, da fragte ich mich oft¬
mals mit höhnendem Grimm, warum nicht in jedem
Tollhaus eine Station für Geiznarren errichtet ſei?
und noch öfter kämpfte ich mit der Verſuchung, eine
gerichtliche Curatel für meine unzurechnungsfähige
Verwandtin zu beantragen.

Aber ich kämpfte ſie nieder. Die Frau, die ſo
kraftvoll gelebt hatte, um ſo kümmerlich zu verſiechen,
ſtand in ihrem zehnten Jahrzehnt und nicht auf das
Zeugniß hin der Letzten, die ihren Namen trug, ſollte
ſie in den Regiſtern ihres Landes als eine Thörin
verzeichnet ſtehen. Noch war ich ſtark genug gegen die Ver¬
wüſtung Stand zu halten, bis ein zögernder Naturlauf die
Verwalterin zur Herrin ihres heimathlichen Grundes ma¬
chen, oder ſie für immer von demſelben vertreiben mußte.

Jahr um Jahr ſchlich dahin in dieſem Zuſtande
äußerlicher und innerlicher Latenz, wie der Arzt ein
lähmendes, laſtendes Siechthum nennt und der Kriſe
harrt, die ſeinen Patienten, ſei es im Tode, ſei es zu
einem verjüngten Leben befreit.

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[112/0116] bub, dem das Geſpenſt im Goldthurm ſeine Seele verſchrieben habe, Reden, vor deren Logik die Gegen¬ rede verhallte wie leerer Wind, da fragte ich mich oft¬ mals mit höhnendem Grimm, warum nicht in jedem Tollhaus eine Station für Geiznarren errichtet ſei? und noch öfter kämpfte ich mit der Verſuchung, eine gerichtliche Curatel für meine unzurechnungsfähige Verwandtin zu beantragen. Aber ich kämpfte ſie nieder. Die Frau, die ſo kraftvoll gelebt hatte, um ſo kümmerlich zu verſiechen, ſtand in ihrem zehnten Jahrzehnt und nicht auf das Zeugniß hin der Letzten, die ihren Namen trug, ſollte ſie in den Regiſtern ihres Landes als eine Thörin verzeichnet ſtehen. Noch war ich ſtark genug gegen die Ver¬ wüſtung Stand zu halten, bis ein zögernder Naturlauf die Verwalterin zur Herrin ihres heimathlichen Grundes ma¬ chen, oder ſie für immer von demſelben vertreiben mußte. Jahr um Jahr ſchlich dahin in dieſem Zuſtande äußerlicher und innerlicher Latenz, wie der Arzt ein lähmendes, laſtendes Siechthum nennt und der Kriſe harrt, die ſeinen Patienten, ſei es im Tode, ſei es zu einem verjüngten Leben befreit. Und dieſes heimlich lauernde Elend verſpürte das einſame Mädchen in dem Waldwinkel von Reckenburg,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/116>, abgerufen am 26.04.2024.