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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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neu und geistvoll zu Einem, der nicht blos eine be¬
schauliche, sondern eine wirkende Stellung in ihrem
Bereiche eingenommen hat.

Der Besuch in der Heimath verkürzte sich daher
von Jahr zu Jahr; in den letzten bis auf wenige
Tage. Meine Gegenwart in Reckenburg wurde immer
unentbehrlicher; freilich auch immer undankbarer und
gebundener. Alles stockte, Allem drohte der Verfall
unter der wahnsinnigen Goldsucht der Greisin. Die
bewährten Diener und Gehülfen versagten ihren Dienst;
ich mußte kämpfen um jeden Thaler, den ich aus den
Erträgen den gierigen Händen vorenthielt, ja ich mußte
zur Täuschung, zum offenbaren Betrug meine Zuflucht
nehmen: heimlich Korn verkaufen, um die Arbeiter zu
bezahlen, daß die Aecker nicht brach liegen blieben;
heimlich Holz fällen lassen, um die Forstwärter zu be¬
solden, daß das überhand nehmende Wild nicht Saaten
und Schonungen vernichte.

Wenn ich diese dämonische Selbstzerstörung, die
Entartung der trefflichsten Anlagen vor Augen sah,
oder die von Geschlecht zu Geschlecht wachsende Ver¬
wilderung der Gemeinde, welche seit jenem Brande
selber des schützenden Daches über dem Gotteshause
entbehrte, wenn ich ihre Reden erhaschte von dem Beelze¬

neu und geiſtvoll zu Einem, der nicht blos eine be¬
ſchauliche, ſondern eine wirkende Stellung in ihrem
Bereiche eingenommen hat.

Der Beſuch in der Heimath verkürzte ſich daher
von Jahr zu Jahr; in den letzten bis auf wenige
Tage. Meine Gegenwart in Reckenburg wurde immer
unentbehrlicher; freilich auch immer undankbarer und
gebundener. Alles ſtockte, Allem drohte der Verfall
unter der wahnſinnigen Goldſucht der Greiſin. Die
bewährten Diener und Gehülfen verſagten ihren Dienſt;
ich mußte kämpfen um jeden Thaler, den ich aus den
Erträgen den gierigen Händen vorenthielt, ja ich mußte
zur Täuſchung, zum offenbaren Betrug meine Zuflucht
nehmen: heimlich Korn verkaufen, um die Arbeiter zu
bezahlen, daß die Aecker nicht brach liegen blieben;
heimlich Holz fällen laſſen, um die Forſtwärter zu be¬
ſolden, daß das überhand nehmende Wild nicht Saaten
und Schonungen vernichte.

Wenn ich dieſe dämoniſche Selbſtzerſtörung, die
Entartung der trefflichſten Anlagen vor Augen ſah,
oder die von Geſchlecht zu Geſchlecht wachſende Ver¬
wilderung der Gemeinde, welche ſeit jenem Brande
ſelber des ſchützenden Daches über dem Gotteshauſe
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[111/0115] neu und geiſtvoll zu Einem, der nicht blos eine be¬ ſchauliche, ſondern eine wirkende Stellung in ihrem Bereiche eingenommen hat. Der Beſuch in der Heimath verkürzte ſich daher von Jahr zu Jahr; in den letzten bis auf wenige Tage. Meine Gegenwart in Reckenburg wurde immer unentbehrlicher; freilich auch immer undankbarer und gebundener. Alles ſtockte, Allem drohte der Verfall unter der wahnſinnigen Goldſucht der Greiſin. Die bewährten Diener und Gehülfen verſagten ihren Dienſt; ich mußte kämpfen um jeden Thaler, den ich aus den Erträgen den gierigen Händen vorenthielt, ja ich mußte zur Täuſchung, zum offenbaren Betrug meine Zuflucht nehmen: heimlich Korn verkaufen, um die Arbeiter zu bezahlen, daß die Aecker nicht brach liegen blieben; heimlich Holz fällen laſſen, um die Forſtwärter zu be¬ ſolden, daß das überhand nehmende Wild nicht Saaten und Schonungen vernichte. Wenn ich dieſe dämoniſche Selbſtzerſtörung, die Entartung der trefflichſten Anlagen vor Augen ſah, oder die von Geſchlecht zu Geſchlecht wachſende Ver¬ wilderung der Gemeinde, welche ſeit jenem Brande ſelber des ſchützenden Daches über dem Gotteshauſe entbehrte, wenn ich ihre Reden erhaſchte von dem Beelze¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/115>, abgerufen am 29.03.2024.