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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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beobachtenden Wandersleuten. Trotzdem kam es ihm
vor, als wandle er in einem neuen Land. War es
der Schimmer der Heimath, der ihn blendete? Oder
standen die Wiesen wirklich so viel saftiger, die Felder
so viel reicher und üppiger bebaut? Wuchsen die
Waldbäume so viel gradstämmiger? Trugen die Obst¬
bäume so viel üppigere Frucht? Wie ebenmäßig
waren alle Kreuz- und Querwege chaussirt, wie zweck¬
mäßig geführt und bezeichnet! "Auf denen stockt keine
Kanone und strömte es wie bei Quatrebras!" rief
der alte Soldat. Wie mußte er des hirsch- und holz¬
gerechten Waidmannes, seines Lehrherrn gedenken, als
er die stattlichen Dammböcke, das kräftige Edelwild
in den uralten Tannenforsten über die Umhegungen
lugen sah, während hier und dort um den Trinkquell
die Thiere lagerten und die Kälber sie lustig umsprangen.
"Ja hier ist gut sein!" rief der arme Landstreicher
aus. "Schau Dich doch um, dummes Kind. Alles
das gehört Deiner Großmutter Hardine!"

Weniger ansprechend indessen als das Land,
dünkten ihm die Leute in der Reckenburger Flur. Es
war Erntezeit und ein reges Leben auf den Feldern.
Da sah er denn einen Menschenschlag, nicht groß und
stattlich wie Prinz Gustel in seiner Erinnerung stand,

beobachtenden Wandersleuten. Trotzdem kam es ihm
vor, als wandle er in einem neuen Land. War es
der Schimmer der Heimath, der ihn blendete? Oder
ſtanden die Wieſen wirklich ſo viel ſaftiger, die Felder
ſo viel reicher und üppiger bebaut? Wuchſen die
Waldbäume ſo viel gradſtämmiger? Trugen die Obſt¬
bäume ſo viel üppigere Frucht? Wie ebenmäßig
waren alle Kreuz- und Querwege chauſſirt, wie zweck¬
mäßig geführt und bezeichnet! „Auf denen ſtockt keine
Kanone und ſtrömte es wie bei Quatrebras!“ rief
der alte Soldat. Wie mußte er des hirſch- und holz¬
gerechten Waidmannes, ſeines Lehrherrn gedenken, als
er die ſtattlichen Dammböcke, das kräftige Edelwild
in den uralten Tannenforſten über die Umhegungen
lugen ſah, während hier und dort um den Trinkquell
die Thiere lagerten und die Kälber ſie luſtig umſprangen.
„Ja hier iſt gut ſein!“ rief der arme Landſtreicher
aus. „Schau Dich doch um, dummes Kind. Alles
das gehört Deiner Großmutter Hardine!“

Weniger anſprechend indeſſen als das Land,
dünkten ihm die Leute in der Reckenburger Flur. Es
war Erntezeit und ein reges Leben auf den Feldern.
Da ſah er denn einen Menſchenſchlag, nicht groß und
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[54/0061] beobachtenden Wandersleuten. Trotzdem kam es ihm vor, als wandle er in einem neuen Land. War es der Schimmer der Heimath, der ihn blendete? Oder ſtanden die Wieſen wirklich ſo viel ſaftiger, die Felder ſo viel reicher und üppiger bebaut? Wuchſen die Waldbäume ſo viel gradſtämmiger? Trugen die Obſt¬ bäume ſo viel üppigere Frucht? Wie ebenmäßig waren alle Kreuz- und Querwege chauſſirt, wie zweck¬ mäßig geführt und bezeichnet! „Auf denen ſtockt keine Kanone und ſtrömte es wie bei Quatrebras!“ rief der alte Soldat. Wie mußte er des hirſch- und holz¬ gerechten Waidmannes, ſeines Lehrherrn gedenken, als er die ſtattlichen Dammböcke, das kräftige Edelwild in den uralten Tannenforſten über die Umhegungen lugen ſah, während hier und dort um den Trinkquell die Thiere lagerten und die Kälber ſie luſtig umſprangen. „Ja hier iſt gut ſein!“ rief der arme Landſtreicher aus. „Schau Dich doch um, dummes Kind. Alles das gehört Deiner Großmutter Hardine!“ Weniger anſprechend indeſſen als das Land, dünkten ihm die Leute in der Reckenburger Flur. Es war Erntezeit und ein reges Leben auf den Feldern. Da ſah er denn einen Menſchenſchlag, nicht groß und ſtattlich wie Prinz Guſtel in ſeiner Erinnerung ſtand,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/61>, abgerufen am 25.11.2024.