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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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wo damals der Sarg des Majors gestanden, steht
heute eine Wiege. Angstvolle Geberden und zornige
Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für
einen Betrunkenen oder Tollen hält.

Indessen waren auch die Nachbarn, die vor den
Thüren Dämmerstunde feierten, auf des Fremden
seltsames Gebahren aufmerksam geworden. Der Lärm
lockte spielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei,
eine dichte Gruppe bildete sich vor dem Thor. Die
Frauen näherten sich dem abgezehrten Mädchen, das
sich ermattet neben demselben niedergekauert hatte. --
"Wie heißt Du, Kleine?" fragte eine Nachbarin. --
"Hardine," lispelte das Kind mit schwacher Stimme.
-- "Ist der Mann Dein Vater?" -- Das Kind
nickte. -- "Wie heißt er?" -- Das Kind schüttelte
sein Haupt. -- "Was will er? Wen sucht er in diesem
Hause?" -- "Fräulein Hardinen."

"Fräulein Hardinen!" die Nachbarn steckten bei
dem Namen die Köpfe zusammen. Als aber nun auch
der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von
Gesellen und Lehrlingen, aus dem Hause zurückkehrte
und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬
stand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬

wo damals der Sarg des Majors geſtanden, ſteht
heute eine Wiege. Angſtvolle Geberden und zornige
Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für
einen Betrunkenen oder Tollen hält.

Indeſſen waren auch die Nachbarn, die vor den
Thüren Dämmerſtunde feierten, auf des Fremden
ſeltſames Gebahren aufmerkſam geworden. Der Lärm
lockte ſpielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei,
eine dichte Gruppe bildete ſich vor dem Thor. Die
Frauen näherten ſich dem abgezehrten Mädchen, das
ſich ermattet neben demſelben niedergekauert hatte. —
„Wie heißt Du, Kleine?“ fragte eine Nachbarin. —
„Hardine,“ lispelte das Kind mit ſchwacher Stimme.
— „Iſt der Mann Dein Vater?“ — Das Kind
nickte. — „Wie heißt er?“ — Das Kind ſchüttelte
ſein Haupt. — „Was will er? Wen ſucht er in dieſem
Hauſe?“ — „Fräulein Hardinen.“

„Fräulein Hardinen!“ die Nachbarn ſteckten bei
dem Namen die Köpfe zuſammen. Als aber nun auch
der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von
Geſellen und Lehrlingen, aus dem Hauſe zurückkehrte
und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬
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[47/0054] wo damals der Sarg des Majors geſtanden, ſteht heute eine Wiege. Angſtvolle Geberden und zornige Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für einen Betrunkenen oder Tollen hält. Indeſſen waren auch die Nachbarn, die vor den Thüren Dämmerſtunde feierten, auf des Fremden ſeltſames Gebahren aufmerkſam geworden. Der Lärm lockte ſpielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei, eine dichte Gruppe bildete ſich vor dem Thor. Die Frauen näherten ſich dem abgezehrten Mädchen, das ſich ermattet neben demſelben niedergekauert hatte. — „Wie heißt Du, Kleine?“ fragte eine Nachbarin. — „Hardine,“ lispelte das Kind mit ſchwacher Stimme. — „Iſt der Mann Dein Vater?“ — Das Kind nickte. — „Wie heißt er?“ — Das Kind ſchüttelte ſein Haupt. — „Was will er? Wen ſucht er in dieſem Hauſe?“ — „Fräulein Hardinen.“ „Fräulein Hardinen!“ die Nachbarn ſteckten bei dem Namen die Köpfe zuſammen. Als aber nun auch der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von Geſellen und Lehrlingen, aus dem Hauſe zurückkehrte und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬ ſtand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/54>, abgerufen am 25.11.2024.