und fein erschienen sein würden ohne das große, schwarzblaue Auge, das mit kühnem Feuer das Ant¬ litz beherrschte. Dazu das lichtblonde Bärtchen über der heiter gekräuselten Oberlippe, die üppige Locken¬ welle, welche dem steifen Zopfband widerstrebte und endlich jene sichere Lässigkeit in Tracht und Haltung, die nur denen natürlich ist, deren Herablassung als Huld betrachtet wird. Mein biederer Vater in seiner Zwangsjacke und standfesten Würde spielte in meinen Augen eine ärgerlich komische Figur neben diesem Liebling der Grazien im bequemen, halbgeöffneten Collet.
Es war der erste Blick, mit dem ich diesen vollen Eindruck erfaßte, und ich begriff während dieses ersten Blicks die Erinnerungslust meiner achtzigjähri¬ gen Reckenburgerin, wenn der Sohn ihres Ungetreuen seinem Vater ähnlich sah: Ja, seltsam -- sollte es ein Ahnen der Zukunft gewesen sein? -- während dieses ersten, kurzen Blickes, surrte es vor meinen Ohren, wie die Todtenklage des Hadrian, die mir der Prediger neulich so beweglich geschildert hatte, denn ein Schönerer als dieser Antinous konnte das kaiserliche Künstlerauge nicht erquickt haben.
Als der Vater meinen Namen nannte, stutzte der Prinz, der noch eben, nachlässig mit dem Spitzentuche
und fein erſchienen ſein würden ohne das große, ſchwarzblaue Auge, das mit kühnem Feuer das Ant¬ litz beherrſchte. Dazu das lichtblonde Bärtchen über der heiter gekräuſelten Oberlippe, die üppige Locken¬ welle, welche dem ſteifen Zopfband widerſtrebte und endlich jene ſichere Läſſigkeit in Tracht und Haltung, die nur denen natürlich iſt, deren Herablaſſung als Huld betrachtet wird. Mein biederer Vater in ſeiner Zwangsjacke und ſtandfeſten Würde ſpielte in meinen Augen eine ärgerlich komiſche Figur neben dieſem Liebling der Grazien im bequemen, halbgeöffneten Collet.
Es war der erſte Blick, mit dem ich dieſen vollen Eindruck erfaßte, und ich begriff während dieſes erſten Blicks die Erinnerungsluſt meiner achtzigjähri¬ gen Reckenburgerin, wenn der Sohn ihres Ungetreuen ſeinem Vater ähnlich ſah: Ja, ſeltſam — ſollte es ein Ahnen der Zukunft geweſen ſein? — während dieſes erſten, kurzen Blickes, ſurrte es vor meinen Ohren, wie die Todtenklage des Hadrian, die mir der Prediger neulich ſo beweglich geſchildert hatte, denn ein Schönerer als dieſer Antinous konnte das kaiſerliche Künſtlerauge nicht erquickt haben.
Als der Vater meinen Namen nannte, ſtutzte der Prinz, der noch eben, nachläſſig mit dem Spitzentuche
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0239"n="232"/>
und fein erſchienen ſein würden ohne das große,<lb/>ſchwarzblaue Auge, das mit kühnem Feuer das Ant¬<lb/>
litz beherrſchte. Dazu das lichtblonde Bärtchen über<lb/>
der heiter gekräuſelten Oberlippe, die üppige Locken¬<lb/>
welle, welche dem ſteifen Zopfband widerſtrebte und<lb/>
endlich jene ſichere Läſſigkeit in Tracht und Haltung,<lb/>
die nur denen natürlich iſt, deren Herablaſſung als<lb/>
Huld betrachtet wird. Mein biederer Vater in ſeiner<lb/>
Zwangsjacke und ſtandfeſten Würde ſpielte in meinen<lb/>
Augen eine ärgerlich komiſche Figur neben dieſem<lb/>
Liebling der Grazien im bequemen, halbgeöffneten Collet.</p><lb/><p>Es war der <hirendition="#g">erſte</hi> Blick, mit dem ich dieſen<lb/>
vollen Eindruck erfaßte, und ich begriff während dieſes<lb/>
erſten Blicks die Erinnerungsluſt meiner achtzigjähri¬<lb/>
gen Reckenburgerin, wenn der Sohn ihres Ungetreuen<lb/>ſeinem Vater ähnlich ſah: Ja, ſeltſam —ſollte es<lb/>
ein Ahnen der Zukunft geweſen ſein? — während<lb/>
dieſes erſten, kurzen Blickes, ſurrte es vor meinen<lb/>
Ohren, wie die Todtenklage des Hadrian, die mir der<lb/>
Prediger neulich ſo beweglich geſchildert hatte, denn ein<lb/>
Schönerer als <hirendition="#g">dieſer</hi> Antinous konnte das kaiſerliche<lb/>
Künſtlerauge nicht erquickt haben.</p><lb/><p>Als der Vater meinen Namen nannte, ſtutzte der<lb/>
Prinz, der noch eben, nachläſſig mit dem Spitzentuche<lb/></p></div></body></text></TEI>
[232/0239]
und fein erſchienen ſein würden ohne das große,
ſchwarzblaue Auge, das mit kühnem Feuer das Ant¬
litz beherrſchte. Dazu das lichtblonde Bärtchen über
der heiter gekräuſelten Oberlippe, die üppige Locken¬
welle, welche dem ſteifen Zopfband widerſtrebte und
endlich jene ſichere Läſſigkeit in Tracht und Haltung,
die nur denen natürlich iſt, deren Herablaſſung als
Huld betrachtet wird. Mein biederer Vater in ſeiner
Zwangsjacke und ſtandfeſten Würde ſpielte in meinen
Augen eine ärgerlich komiſche Figur neben dieſem
Liebling der Grazien im bequemen, halbgeöffneten Collet.
Es war der erſte Blick, mit dem ich dieſen
vollen Eindruck erfaßte, und ich begriff während dieſes
erſten Blicks die Erinnerungsluſt meiner achtzigjähri¬
gen Reckenburgerin, wenn der Sohn ihres Ungetreuen
ſeinem Vater ähnlich ſah: Ja, ſeltſam — ſollte es
ein Ahnen der Zukunft geweſen ſein? — während
dieſes erſten, kurzen Blickes, ſurrte es vor meinen
Ohren, wie die Todtenklage des Hadrian, die mir der
Prediger neulich ſo beweglich geſchildert hatte, denn ein
Schönerer als dieſer Antinous konnte das kaiſerliche
Künſtlerauge nicht erquickt haben.
Als der Vater meinen Namen nannte, ſtutzte der
Prinz, der noch eben, nachläſſig mit dem Spitzentuche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/239>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.