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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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aber einen Keim zu legen, der der Zukunft Früchte
tragen wird. Sind es Nebenschößlinge wie dieser,
jüngere Söhne ohne Land und Macht, aber in fürst¬
licher Blendung, in fürstlicher Absonderung aufge¬
wachsen, so sehen wir sie nur allzuhäufig als taube
Blüthen vom Mutterbaume ab- und dem Gesetze ver¬
fallen, welches jede Kraft, die nicht That wird, zum
Wahne werden läßt. Abenteurer und Tollköpfe, Lüst¬
linge und Sonderlinge, Dilettanten und Pfuscher, Frei¬
geister und Geisterseher rütteln sie für sich selbst an
den Schranken, welche Sitte und Herkommen bis
heute geheiligt haben, ohne für die Freiheit und Wohl¬
fahrt der Anderen eine einzige zu durchbrechen. Höher
hinauf können sie nicht; in die Breite und Tiefe wollen
sie nicht, oder dürfen sie nicht. Sie bleiben eben
Prinzen, das heißt Exceptionen, denen kein Feld des
Ruhmes und der Thatkraft angewiesen ist, als das
blutige Leichenfeld, das auch zur Stunde, und Gott
weiß bis zu welcher Stunde unser kaum erwachtes
Vaterland von Neuem zu erstarren droht."

Das waren nun freilich Belehrungen, welche die
Reckenburger Chimäre ihres blendenden Zaubers ent¬
kleiden durften, und als ich, von Leipzig ab allein, in
meiner bescheidenen Zurückgelegenheit heimwärts ge¬

aber einen Keim zu legen, der der Zukunft Früchte
tragen wird. Sind es Nebenſchößlinge wie dieſer,
jüngere Söhne ohne Land und Macht, aber in fürſt¬
licher Blendung, in fürſtlicher Abſonderung aufge¬
wachſen, ſo ſehen wir ſie nur allzuhäufig als taube
Blüthen vom Mutterbaume ab- und dem Geſetze ver¬
fallen, welches jede Kraft, die nicht That wird, zum
Wahne werden läßt. Abenteurer und Tollköpfe, Lüſt¬
linge und Sonderlinge, Dilettanten und Pfuſcher, Frei¬
geiſter und Geiſterſeher rütteln ſie für ſich ſelbſt an
den Schranken, welche Sitte und Herkommen bis
heute geheiligt haben, ohne für die Freiheit und Wohl¬
fahrt der Anderen eine einzige zu durchbrechen. Höher
hinauf können ſie nicht; in die Breite und Tiefe wollen
ſie nicht, oder dürfen ſie nicht. Sie bleiben eben
Prinzen, das heißt Exceptionen, denen kein Feld des
Ruhmes und der Thatkraft angewieſen iſt, als das
blutige Leichenfeld, das auch zur Stunde, und Gott
weiß bis zu welcher Stunde unſer kaum erwachtes
Vaterland von Neuem zu erſtarren droht.“

Das waren nun freilich Belehrungen, welche die
Reckenburger Chimäre ihres blendenden Zaubers ent¬
kleiden durften, und als ich, von Leipzig ab allein, in
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[217/0224] aber einen Keim zu legen, der der Zukunft Früchte tragen wird. Sind es Nebenſchößlinge wie dieſer, jüngere Söhne ohne Land und Macht, aber in fürſt¬ licher Blendung, in fürſtlicher Abſonderung aufge¬ wachſen, ſo ſehen wir ſie nur allzuhäufig als taube Blüthen vom Mutterbaume ab- und dem Geſetze ver¬ fallen, welches jede Kraft, die nicht That wird, zum Wahne werden läßt. Abenteurer und Tollköpfe, Lüſt¬ linge und Sonderlinge, Dilettanten und Pfuſcher, Frei¬ geiſter und Geiſterſeher rütteln ſie für ſich ſelbſt an den Schranken, welche Sitte und Herkommen bis heute geheiligt haben, ohne für die Freiheit und Wohl¬ fahrt der Anderen eine einzige zu durchbrechen. Höher hinauf können ſie nicht; in die Breite und Tiefe wollen ſie nicht, oder dürfen ſie nicht. Sie bleiben eben Prinzen, das heißt Exceptionen, denen kein Feld des Ruhmes und der Thatkraft angewieſen iſt, als das blutige Leichenfeld, das auch zur Stunde, und Gott weiß bis zu welcher Stunde unſer kaum erwachtes Vaterland von Neuem zu erſtarren droht.“ Das waren nun freilich Belehrungen, welche die Reckenburger Chimäre ihres blendenden Zaubers ent¬ kleiden durften, und als ich, von Leipzig ab allein, in meiner beſcheidenen Zurückgelegenheit heimwärts ge¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/224>, abgerufen am 22.11.2024.