hitzköpfigerer Informator so bereitwillig Geduld ge¬ hegt haben würde. Ohne Vermessenheit dahingegen läßt sich behaupten, daß es selten eine Schülerin ge¬ geben haben wird, so lernbegierig und beharrlich, wie die große, ruhige Hardine von Reckenburg, ebenso selten aber auch Eine, die selber ein Taubenblut dann und wann in Verzweiflung bringen konnte. "Jung¬ fer Grundtext" nannte sie der Herr Papa, wenn er gelegentlich Zeuge ward der unermüdlichen Wie? und Wo? und Warum? mit welchen sie den ihr zu Ge¬ bote stehenden Wissensborn bis auf die Grundneige auspumpte.
Lerne was, kannst Du was, heißt's! Ei nun, am Ende ihrer siebenjährigen Studienzeit konnte Schülerin Nummero Eins, in geziemender Bescheiden¬ heit sei es vermeldet, mit deutlicher Handschrift richtig deutsch schreiben, auch die vier Species ohne Fehl im Kopfe wie auf der Tafel rechnen. Sie konnte die Stammtafel des Hauses Wettin und die Reihe der deutschen Kaiser bis auf Leopold II., seit Kurzem re¬ gierende Majestät, insonderheit aber Doctor Martin Luthers großen und kleinen Katechismus am Schnür¬ chen hersagen. Möglich, daß sie zu jener Zeit auch schon gewußt, die Erde drehe sich; wenngleich mir die¬
hitzköpfigerer Informator ſo bereitwillig Geduld ge¬ hegt haben würde. Ohne Vermeſſenheit dahingegen läßt ſich behaupten, daß es ſelten eine Schülerin ge¬ geben haben wird, ſo lernbegierig und beharrlich, wie die große, ruhige Hardine von Reckenburg, ebenſo ſelten aber auch Eine, die ſelber ein Taubenblut dann und wann in Verzweiflung bringen konnte. „Jung¬ fer Grundtext“ nannte ſie der Herr Papa, wenn er gelegentlich Zeuge ward der unermüdlichen Wie? und Wo? und Warum? mit welchen ſie den ihr zu Ge¬ bote ſtehenden Wiſſensborn bis auf die Grundneige auspumpte.
Lerne was, kannſt Du was, heißt's! Ei nun, am Ende ihrer ſiebenjährigen Studienzeit konnte Schülerin Nummero Eins, in geziemender Beſcheiden¬ heit ſei es vermeldet, mit deutlicher Handſchrift richtig deutſch ſchreiben, auch die vier Species ohne Fehl im Kopfe wie auf der Tafel rechnen. Sie konnte die Stammtafel des Hauſes Wettin und die Reihe der deutſchen Kaiſer bis auf Leopold II., ſeit Kurzem re¬ gierende Majeſtät, inſonderheit aber Doctor Martin Luthers großen und kleinen Katechismus am Schnür¬ chen herſagen. Möglich, daß ſie zu jener Zeit auch ſchon gewußt, die Erde drehe ſich; wenngleich mir die¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0107"n="100"/>
hitzköpfigerer Informator ſo bereitwillig Geduld ge¬<lb/>
hegt haben würde. Ohne Vermeſſenheit dahingegen<lb/>
läßt ſich behaupten, daß es ſelten eine Schülerin ge¬<lb/>
geben haben wird, ſo lernbegierig und beharrlich,<lb/>
wie die große, ruhige Hardine von Reckenburg, ebenſo<lb/>ſelten aber auch Eine, die ſelber ein Taubenblut dann<lb/>
und wann in Verzweiflung bringen konnte. „Jung¬<lb/>
fer Grundtext“ nannte ſie der Herr Papa, wenn er<lb/>
gelegentlich Zeuge ward der unermüdlichen Wie? und<lb/>
Wo? und Warum? mit welchen ſie den ihr zu Ge¬<lb/>
bote ſtehenden Wiſſensborn bis auf die Grundneige<lb/>
auspumpte.</p><lb/><p>Lerne was, kannſt Du was, heißt's! Ei nun,<lb/>
am Ende ihrer ſiebenjährigen Studienzeit <hirendition="#g">konnte</hi><lb/>
Schülerin Nummero Eins, in geziemender Beſcheiden¬<lb/>
heit ſei es vermeldet, mit deutlicher Handſchrift richtig<lb/>
deutſch ſchreiben, auch die vier Species ohne Fehl im<lb/>
Kopfe wie auf der Tafel rechnen. Sie <hirendition="#g">konnte</hi> die<lb/>
Stammtafel des Hauſes Wettin und die Reihe der<lb/>
deutſchen Kaiſer bis auf Leopold <hirendition="#aq">II.</hi>, ſeit Kurzem re¬<lb/>
gierende Majeſtät, inſonderheit aber Doctor Martin<lb/>
Luthers großen und kleinen Katechismus am Schnür¬<lb/>
chen herſagen. Möglich, daß ſie zu jener Zeit auch<lb/>ſchon gewußt, die Erde drehe ſich; wenngleich mir die¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[100/0107]
hitzköpfigerer Informator ſo bereitwillig Geduld ge¬
hegt haben würde. Ohne Vermeſſenheit dahingegen
läßt ſich behaupten, daß es ſelten eine Schülerin ge¬
geben haben wird, ſo lernbegierig und beharrlich,
wie die große, ruhige Hardine von Reckenburg, ebenſo
ſelten aber auch Eine, die ſelber ein Taubenblut dann
und wann in Verzweiflung bringen konnte. „Jung¬
fer Grundtext“ nannte ſie der Herr Papa, wenn er
gelegentlich Zeuge ward der unermüdlichen Wie? und
Wo? und Warum? mit welchen ſie den ihr zu Ge¬
bote ſtehenden Wiſſensborn bis auf die Grundneige
auspumpte.
Lerne was, kannſt Du was, heißt's! Ei nun,
am Ende ihrer ſiebenjährigen Studienzeit konnte
Schülerin Nummero Eins, in geziemender Beſcheiden¬
heit ſei es vermeldet, mit deutlicher Handſchrift richtig
deutſch ſchreiben, auch die vier Species ohne Fehl im
Kopfe wie auf der Tafel rechnen. Sie konnte die
Stammtafel des Hauſes Wettin und die Reihe der
deutſchen Kaiſer bis auf Leopold II., ſeit Kurzem re¬
gierende Majeſtät, inſonderheit aber Doctor Martin
Luthers großen und kleinen Katechismus am Schnür¬
chen herſagen. Möglich, daß ſie zu jener Zeit auch
ſchon gewußt, die Erde drehe ſich; wenngleich mir die¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/107>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.