Phantasie, wie ihren Gefühlen kein enges Ziel gesteckt haben.
Es ist mir in den meisten Fällen immer sehr sonderbar vorgekommen, welche Scheu ältere Frauen vor Jdealen hegen, und wes- halb sie die Jugend um den Vorzug brin- gen wollen, solche zu träumen, wenn sie dessen fähig ist. Romane lesen wird aus obigem Grunde in der guten Erziehung ver- boten, und es ist einer der Artikel, auf welche Gouvernanten bei Antritt ihrer Funk- tionen schwören müssen, keine der gefährli- chen Schriften ihren Zöglingen in die Hand zu geben. Nichts destoweniger nimmt Nie- mand Anstand, die empfänglichen Gemüther oft sehr unromantische Liebesgeschichten der nächsten Umgebung hören, ja sehen zu las- sen, und mehrfach erlebte ich, daß die be- sonnenen Wächterinnen mit unsäglichem Kitzel und prahlhafter Uebertreibung die Successe einer eben aufgetretenen Tochter in ihrer Ge- genwart rühmten, die Leidenschaften an den Fingern aufzählten, welche das leichtgläu- bige und zugleich ungläubige Kind, denn
Phantaſie, wie ihren Gefuͤhlen kein enges Ziel geſteckt haben.
Es iſt mir in den meiſten Faͤllen immer ſehr ſonderbar vorgekommen, welche Scheu aͤltere Frauen vor Jdealen hegen, und wes- halb ſie die Jugend um den Vorzug brin- gen wollen, ſolche zu traͤumen, wenn ſie deſſen faͤhig iſt. Romane leſen wird aus obigem Grunde in der guten Erziehung ver- boten, und es iſt einer der Artikel, auf welche Gouvernanten bei Antritt ihrer Funk- tionen ſchwoͤren muͤſſen, keine der gefaͤhrli- chen Schriften ihren Zoͤglingen in die Hand zu geben. Nichts deſtoweniger nimmt Nie- mand Anſtand, die empfaͤnglichen Gemuͤther oft ſehr unromantiſche Liebesgeſchichten der naͤchſten Umgebung hoͤren, ja ſehen zu laſ- ſen, und mehrfach erlebte ich, daß die be- ſonnenen Waͤchterinnen mit unſaͤglichem Kitzel und prahlhafter Uebertreibung die Succeſſe einer eben aufgetretenen Tochter in ihrer Ge- genwart ruͤhmten, die Leidenſchaften an den Fingern aufzaͤhlten, welche das leichtglaͤu- bige und zugleich unglaͤubige Kind, denn
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Phantaſie, wie ihren Gefuͤhlen kein enges
Ziel geſteckt haben.
Es iſt mir in den meiſten Faͤllen immer
ſehr ſonderbar vorgekommen, welche Scheu
aͤltere Frauen vor Jdealen hegen, und wes-
halb ſie die Jugend um den Vorzug brin-
gen wollen, ſolche zu traͤumen, wenn ſie
deſſen faͤhig iſt. Romane leſen wird aus
obigem Grunde in der guten Erziehung ver-
boten, und es iſt einer der Artikel, auf
welche Gouvernanten bei Antritt ihrer Funk-
tionen ſchwoͤren muͤſſen, keine der gefaͤhrli-
chen Schriften ihren Zoͤglingen in die Hand
zu geben. Nichts deſtoweniger nimmt Nie-
mand Anſtand, die empfaͤnglichen Gemuͤther
oft ſehr unromantiſche Liebesgeſchichten der
naͤchſten Umgebung hoͤren, ja ſehen zu laſ-
ſen, und mehrfach erlebte ich, daß die be-
ſonnenen Waͤchterinnen mit unſaͤglichem Kitzel
und prahlhafter Uebertreibung die Succeſſe
einer eben aufgetretenen Tochter in ihrer Ge-
genwart ruͤhmten, die Leidenſchaften an den
Fingern aufzaͤhlten, welche das leichtglaͤu-
bige und zugleich unglaͤubige Kind, denn
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/77>, abgerufen am 07.05.2024.
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