Harmonie des Tones und stimmt die Seele harmonisch; denn Gedanken wie Gefühle haben Flügel, die über die Unterbrechungen und Mißklänge des Daseyns hinweghelfen; wenn im Gegentheil eine einengende Grü- belei und mattherzige Empfindsamkeit gewis- ser sentimental verschwimmender Dichtungen das Gemüth in ganz kleine Kreise bannen, und dürftige Begriffe, wie Jnsecten, drein umherkriechen lassen. Solche unfruchtbare Lectüre ist es, die nächst der ganz frivolen, wechselsweise Jndifferentismus, peinigend ängstigende Despotie heller Grundsätze in unserer Lesewelt verbreitet.
Auf der andern Seite möchte man ein- wenden, daß, wenn nur das wahrhaft Be- lebende der Poesie, der Gehalt und die Schönheit ihres Wesens allein über den Werth oder Unwerth eines Gedichts bestimmen soll, so könnte der Leselustige nur auf eine sehr geringe Anzahl von Büchern beschränkt sein, was besonders für den Roman, der das ge- sellige Leben so unmittelbar berührt, der seine Gebilde daraus schöpft, und durch sie Ein-
*
Harmonie des Tones und ſtimmt die Seele harmoniſch; denn Gedanken wie Gefuͤhle haben Fluͤgel, die uͤber die Unterbrechungen und Mißklaͤnge des Daſeyns hinweghelfen; wenn im Gegentheil eine einengende Gruͤ- belei und mattherzige Empfindſamkeit gewiſ- ſer ſentimental verſchwimmender Dichtungen das Gemuͤth in ganz kleine Kreiſe bannen, und duͤrftige Begriffe, wie Jnſecten, drein umherkriechen laſſen. Solche unfruchtbare Lectuͤre iſt es, die naͤchſt der ganz frivolen, wechſelsweiſe Jndifferentismus, peinigend aͤngſtigende Despotie heller Grundſaͤtze in unſerer Leſewelt verbreitet.
Auf der andern Seite moͤchte man ein- wenden, daß, wenn nur das wahrhaft Be- lebende der Poeſie, der Gehalt und die Schoͤnheit ihres Weſens allein uͤber den Werth oder Unwerth eines Gedichts beſtimmen ſoll, ſo koͤnnte der Leſeluſtige nur auf eine ſehr geringe Anzahl von Buͤchern beſchraͤnkt ſein, was beſonders fuͤr den Roman, der das ge- ſellige Leben ſo unmittelbar beruͤhrt, der ſeine Gebilde daraus ſchoͤpft, und durch ſie Ein-
*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0071"n="67"/>
Harmonie des Tones und ſtimmt die Seele<lb/>
harmoniſch; denn Gedanken wie Gefuͤhle<lb/>
haben Fluͤgel, die uͤber die Unterbrechungen<lb/>
und Mißklaͤnge des Daſeyns hinweghelfen;<lb/>
wenn im Gegentheil eine einengende Gruͤ-<lb/>
belei und mattherzige Empfindſamkeit gewiſ-<lb/>ſer ſentimental verſchwimmender Dichtungen<lb/>
das Gemuͤth in ganz kleine Kreiſe bannen,<lb/>
und duͤrftige Begriffe, wie Jnſecten, drein<lb/>
umherkriechen laſſen. Solche unfruchtbare<lb/>
Lectuͤre iſt es, die naͤchſt der ganz frivolen,<lb/>
wechſelsweiſe Jndifferentismus, peinigend<lb/>
aͤngſtigende Despotie heller Grundſaͤtze in<lb/>
unſerer Leſewelt verbreitet.</p><lb/><p>Auf der andern Seite moͤchte man ein-<lb/>
wenden, daß, wenn nur das wahrhaft Be-<lb/>
lebende der Poeſie, der Gehalt und die<lb/>
Schoͤnheit ihres Weſens allein uͤber den Werth<lb/>
oder Unwerth eines Gedichts beſtimmen ſoll,<lb/>ſo koͤnnte der Leſeluſtige nur auf eine ſehr<lb/>
geringe Anzahl von Buͤchern beſchraͤnkt ſein,<lb/>
was beſonders fuͤr den Roman, der das ge-<lb/>ſellige Leben ſo unmittelbar beruͤhrt, der ſeine<lb/>
Gebilde daraus ſchoͤpft, und durch ſie Ein-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[67/0071]
Harmonie des Tones und ſtimmt die Seele
harmoniſch; denn Gedanken wie Gefuͤhle
haben Fluͤgel, die uͤber die Unterbrechungen
und Mißklaͤnge des Daſeyns hinweghelfen;
wenn im Gegentheil eine einengende Gruͤ-
belei und mattherzige Empfindſamkeit gewiſ-
ſer ſentimental verſchwimmender Dichtungen
das Gemuͤth in ganz kleine Kreiſe bannen,
und duͤrftige Begriffe, wie Jnſecten, drein
umherkriechen laſſen. Solche unfruchtbare
Lectuͤre iſt es, die naͤchſt der ganz frivolen,
wechſelsweiſe Jndifferentismus, peinigend
aͤngſtigende Despotie heller Grundſaͤtze in
unſerer Leſewelt verbreitet.
Auf der andern Seite moͤchte man ein-
wenden, daß, wenn nur das wahrhaft Be-
lebende der Poeſie, der Gehalt und die
Schoͤnheit ihres Weſens allein uͤber den Werth
oder Unwerth eines Gedichts beſtimmen ſoll,
ſo koͤnnte der Leſeluſtige nur auf eine ſehr
geringe Anzahl von Buͤchern beſchraͤnkt ſein,
was beſonders fuͤr den Roman, der das ge-
ſellige Leben ſo unmittelbar beruͤhrt, der ſeine
Gebilde daraus ſchoͤpft, und durch ſie Ein-
*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/71>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.