künstlerischen, oder poetischen Production, eine Autorität annehmen wollte. Ja, das Gefühl empört sich bei den Meisten gegen den bloßen Gedanken, seinen Geschmack frem- der Entscheidung zu unterwerfen. Und doch könnte es sein, daß dieser noch auf einer untern Stufe, durch Gewohnheit oder Be- fangenheit festgehalten würde, während sich das Auge schon sehr stolz darüber erhöbe, denn der Sinn schweift verlangend umher, aber das Jnnere faßt nur allmählig und nacheinander das Zusammengehörige auf. Die Erfahrung wird es nicht läugnen, und die Unerfahrenheit wird es erfahren müssen, daß sich Auge und Ohr für die wahre Tiefe und Erhabenheit der Musik, der Mahlerey, Plastik und Architektur erst aufthun, dann erweitern, zarter stimmen und freier erheben müsse, um das Vollständige in sich aufzu- nehmen. Was den rohen Anforderungen ungeübter Sinne genügt, verletzt das ächte Kunstgefühl auf's Aeußerste. Warum sollte dasselbe nicht bei den innern Organen des Verstehens der Fall seyn? Wird die Seele
kuͤnſtleriſchen, oder poetiſchen Production, eine Autoritaͤt annehmen wollte. Ja, das Gefuͤhl empoͤrt ſich bei den Meiſten gegen den bloßen Gedanken, ſeinen Geſchmack frem- der Entſcheidung zu unterwerfen. Und doch koͤnnte es ſein, daß dieſer noch auf einer untern Stufe, durch Gewohnheit oder Be- fangenheit feſtgehalten wuͤrde, waͤhrend ſich das Auge ſchon ſehr ſtolz daruͤber erhoͤbe, denn der Sinn ſchweift verlangend umher, aber das Jnnere faßt nur allmaͤhlig und nacheinander das Zuſammengehoͤrige auf. Die Erfahrung wird es nicht laͤugnen, und die Unerfahrenheit wird es erfahren muͤſſen, daß ſich Auge und Ohr fuͤr die wahre Tiefe und Erhabenheit der Muſik, der Mahlerey, Plaſtik und Architektur erſt aufthun, dann erweitern, zarter ſtimmen und freier erheben muͤſſe, um das Vollſtaͤndige in ſich aufzu- nehmen. Was den rohen Anforderungen ungeuͤbter Sinne genuͤgt, verletzt das aͤchte Kunſtgefuͤhl auf’s Aeußerſte. Warum ſollte daſſelbe nicht bei den innern Organen des Verſtehens der Fall ſeyn? Wird die Seele
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kuͤnſtleriſchen, oder poetiſchen Production,
eine Autoritaͤt annehmen wollte. Ja, das
Gefuͤhl empoͤrt ſich bei den Meiſten gegen
den bloßen Gedanken, ſeinen Geſchmack frem-
der Entſcheidung zu unterwerfen. Und doch
koͤnnte es ſein, daß dieſer noch auf einer
untern Stufe, durch Gewohnheit oder Be-
fangenheit feſtgehalten wuͤrde, waͤhrend ſich
das Auge ſchon ſehr ſtolz daruͤber erhoͤbe,
denn der Sinn ſchweift verlangend umher,
aber das Jnnere faßt nur allmaͤhlig und
nacheinander das Zuſammengehoͤrige auf.
Die Erfahrung wird es nicht laͤugnen, und
die Unerfahrenheit wird es erfahren muͤſſen,
daß ſich Auge und Ohr fuͤr die wahre Tiefe
und Erhabenheit der Muſik, der Mahlerey,
Plaſtik und Architektur erſt aufthun, dann
erweitern, zarter ſtimmen und freier erheben
muͤſſe, um das Vollſtaͤndige in ſich aufzu-
nehmen. Was den rohen Anforderungen
ungeuͤbter Sinne genuͤgt, verletzt das aͤchte
Kunſtgefuͤhl auf’s Aeußerſte. Warum ſollte
daſſelbe nicht bei den innern Organen des
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/67>, abgerufen am 25.11.2024.
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