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Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.

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Natur schien ihr fremd geworden, sie gehörte nicht mehr zu ihr, sie hatte sie ausgestoßen um der Frevel jener sinnverwirrenden Leidenschaft willen. An ihre Mutter konnte sie nur mit Bangigkeit denken, und nichts hätte sie vermocht, den Fuß in das stille Wäldchen zu setzen, das ihr Grab beschattete. Der Prediger kam wohl von Zeit zu Zeit zu ihr und brachte ihr Blumen, die er mit vieler Liebe aufzog; allein er setzte sie schweigend an ihr Fenster, und ging, ohne ihr düstres Sinnen zu unterbrechen. Einmal indeß, als sie ihm die Hand reichte und ihn mit dankbarem Blick begrüßte, sagte er: es arbeitet recht schwer in Ihrer Seele, ob durch Gottes oder fremde Macht, das muß sich zeigen, ich will's indeß nicht stören, da ich weder etwas nehmen noch geben kann. Doch lassen Sie es bald Tag in sich werden.

Noch am nemlichen Tage rief Luise Marianen zu sich. Ich muß ihn sehn, sagte sie, ich kann nicht eher ruhig sein, darum wollen wir fort, morgen oder heute noch - aber ganz in der Stille; hörst Du? Wohin denn? fragte Mariane zagend. Wohin? wiederholte Luise; kannst Du fragen? nach dem Falkensteine. Mariane schlug freudig in die Hände. Gottlob! rief sie, Gottlob! nun wird alles wieder wie zuvor, nun gehen die schönen Tage wieder an, das wird ein Jubel sein! Die schönen

Natur schien ihr fremd geworden, sie gehörte nicht mehr zu ihr, sie hatte sie ausgestoßen um der Frevel jener sinnverwirrenden Leidenschaft willen. An ihre Mutter konnte sie nur mit Bangigkeit denken, und nichts hätte sie vermocht, den Fuß in das stille Wäldchen zu setzen, das ihr Grab beschattete. Der Prediger kam wohl von Zeit zu Zeit zu ihr und brachte ihr Blumen, die er mit vieler Liebe aufzog; allein er setzte sie schweigend an ihr Fenster, und ging, ohne ihr düstres Sinnen zu unterbrechen. Einmal indeß, als sie ihm die Hand reichte und ihn mit dankbarem Blick begrüßte, sagte er: es arbeitet recht schwer in Ihrer Seele, ob durch Gottes oder fremde Macht, das muß sich zeigen, ich will’s indeß nicht stören, da ich weder etwas nehmen noch geben kann. Doch lassen Sie es bald Tag in sich werden.

Noch am nemlichen Tage rief Luise Marianen zu sich. Ich muß ihn sehn, sagte sie, ich kann nicht eher ruhig sein, darum wollen wir fort, morgen oder heute noch – aber ganz in der Stille; hörst Du? Wohin denn? fragte Mariane zagend. Wohin? wiederholte Luise; kannst Du fragen? nach dem Falkensteine. Mariane schlug freudig in die Hände. Gottlob! rief sie, Gottlob! nun wird alles wieder wie zuvor, nun gehen die schönen Tage wieder an, das wird ein Jubel sein! Die schönen

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Natur schien ihr fremd geworden, sie gehörte nicht mehr zu ihr, sie hatte sie ausgestoßen um der Frevel jener sinnverwirrenden Leidenschaft willen. An ihre Mutter konnte sie nur mit Bangigkeit denken, und nichts hätte sie vermocht, den Fuß in das stille Wäldchen zu setzen, das ihr Grab beschattete. Der Prediger kam wohl von Zeit zu Zeit zu ihr und brachte ihr Blumen, die er mit vieler Liebe aufzog; allein er setzte sie schweigend an ihr Fenster, und ging, ohne ihr düstres Sinnen zu unterbrechen. Einmal indeß, als sie ihm die Hand reichte und ihn mit dankbarem Blick begrüßte, sagte er: es arbeitet recht schwer in Ihrer Seele, ob durch Gottes oder fremde Macht, das muß sich zeigen, ich will&#x2019;s indeß nicht stören, da ich weder etwas nehmen noch geben kann. Doch lassen Sie es bald Tag in sich werden.</p>
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[35/0037] Natur schien ihr fremd geworden, sie gehörte nicht mehr zu ihr, sie hatte sie ausgestoßen um der Frevel jener sinnverwirrenden Leidenschaft willen. An ihre Mutter konnte sie nur mit Bangigkeit denken, und nichts hätte sie vermocht, den Fuß in das stille Wäldchen zu setzen, das ihr Grab beschattete. Der Prediger kam wohl von Zeit zu Zeit zu ihr und brachte ihr Blumen, die er mit vieler Liebe aufzog; allein er setzte sie schweigend an ihr Fenster, und ging, ohne ihr düstres Sinnen zu unterbrechen. Einmal indeß, als sie ihm die Hand reichte und ihn mit dankbarem Blick begrüßte, sagte er: es arbeitet recht schwer in Ihrer Seele, ob durch Gottes oder fremde Macht, das muß sich zeigen, ich will’s indeß nicht stören, da ich weder etwas nehmen noch geben kann. Doch lassen Sie es bald Tag in sich werden. Noch am nemlichen Tage rief Luise Marianen zu sich. Ich muß ihn sehn, sagte sie, ich kann nicht eher ruhig sein, darum wollen wir fort, morgen oder heute noch – aber ganz in der Stille; hörst Du? Wohin denn? fragte Mariane zagend. Wohin? wiederholte Luise; kannst Du fragen? nach dem Falkensteine. Mariane schlug freudig in die Hände. Gottlob! rief sie, Gottlob! nun wird alles wieder wie zuvor, nun gehen die schönen Tage wieder an, das wird ein Jubel sein! Die schönen

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/37>, abgerufen am 19.04.2024.