Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
hatte er den Rücken gewandt, so flüsterte sie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Die-1774.
May.

ser ließ sichs darauf sehr angelegen seyn, meines Vaters Aufmerksamkeit durch
allerley Fragen an sich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abgesehen
sey. Da nun die gute Prinzeßinn meynte, daß man ihr nicht auf die Finger
sähe, so nahm sie ganz behende ein Paar Sparren-Nägel fort, und verbarg
solche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain Cook wieder herein kam,
erzählte ihm zwar mein Vater den schlauen Streich, den Ihro Durchlaucht aus-
geführt hatten: Allein sie hielten es beyde fürs beste, sich anzustellen, als wären
sie nichts davon gewahr worden. Sie hatte schon bey mehreren Gelegenheiten eine
unwiderstehliche Neigung blicken lassen, eins und das andre heimlich zu entwenden.
Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abgeschlagen; sondern ihr fast allezeit
mehr geschenkt, als sie gefordert. Es war also seltsam genug, daß sie darauf
verfiel, das zu entwenden, was sie auf eine weit anständigere Weise hätte er-
langen können; vielleicht fand sie aber deshalb ein besonders Wohlgefallen an
gestohlnen Sachen, weil sie diese blos ihrer eignen Geschicklichkeit zu ver-
danken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahitischen Mädchen nicht zu viel
nachgeredet; so muß sie überhaupt sehr viel auf verstohlne Freuden halten, denn
sie gaben ihr Schuld, daß sie sich des Nachts wider Wissen ihres Bruders, mit
den gemeinsten Tautaus zu thun machte. Verhält sich's würklich also, so wäre es
sonderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur
ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzeßinnen und Vornehmen darinn eine
Ausnahme statt finden sollte, da diese doch sonst gemeiniglich vor allen an-
dern gewohnt sind, ihrem Willen ohne Einschränkung zu folgen. Aber so ist es:
die menschlichen Leidenschaften sind allenthalben dieselben. Sclaven und Fürsten
haben einerley Instincte; folglich muß die Geschichte ihrer Wirkungen auch
überall, in jedem Lande, eine und eben dieselbige bleiben.

Am andern Morgen kam O-Tuh in aller Frühe nach Point Ve-
nus
, und gab dem Serjeanten der allda campirenden See-Soldaten Nach-
richt, daß jemand seiner Unterthanen unsrer Schildwacht die Muskete ge-
stohlen und mit selbiger entlaufen sey; zu gleicher Zeit fertigte er an seinen
Bruder T'Erih-Watau, der seit gestern Abend noch bey uns am Bord war,
einen Boten ab und ließ ihn abrufen, worauf uns dieser auch, gleich nach dem

K 2

in den Jahren 1772 bis 1775.
hatte er den Ruͤcken gewandt, ſo fluͤſterte ſie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Die-1774.
May.

ſer ließ ſichs darauf ſehr angelegen ſeyn, meines Vaters Aufmerkſamkeit durch
allerley Fragen an ſich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abgeſehen
ſey. Da nun die gute Prinzeßinn meynte, daß man ihr nicht auf die Finger
ſaͤhe, ſo nahm ſie ganz behende ein Paar Sparren-Naͤgel fort, und verbarg
ſolche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain Cook wieder herein kam,
erzaͤhlte ihm zwar mein Vater den ſchlauen Streich, den Ihro Durchlaucht aus-
gefuͤhrt hatten: Allein ſie hielten es beyde fuͤrs beſte, ſich anzuſtellen, als waͤren
ſie nichts davon gewahr worden. Sie hatte ſchon bey mehreren Gelegenheiten eine
unwiderſtehliche Neigung blicken laſſen, eins und das andre heimlich zu entwenden.
Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abgeſchlagen; ſondern ihr faſt allezeit
mehr geſchenkt, als ſie gefordert. Es war alſo ſeltſam genug, daß ſie darauf
verfiel, das zu entwenden, was ſie auf eine weit anſtaͤndigere Weiſe haͤtte er-
langen koͤnnen; vielleicht fand ſie aber deshalb ein beſonders Wohlgefallen an
geſtohlnen Sachen, weil ſie dieſe blos ihrer eignen Geſchicklichkeit zu ver-
danken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahitiſchen Maͤdchen nicht zu viel
nachgeredet; ſo muß ſie uͤberhaupt ſehr viel auf verſtohlne Freuden halten, denn
ſie gaben ihr Schuld, daß ſie ſich des Nachts wider Wiſſen ihres Bruders, mit
den gemeinſten Tautaus zu thun machte. Verhaͤlt ſich’s wuͤrklich alſo, ſo waͤre es
ſonderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur
ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzeßinnen und Vornehmen darinn eine
Ausnahme ſtatt finden ſollte, da dieſe doch ſonſt gemeiniglich vor allen an-
dern gewohnt ſind, ihrem Willen ohne Einſchraͤnkung zu folgen. Aber ſo iſt es:
die menſchlichen Leidenſchaften ſind allenthalben dieſelben. Sclaven und Fuͤrſten
haben einerley Inſtincte; folglich muß die Geſchichte ihrer Wirkungen auch
uͤberall, in jedem Lande, eine und eben dieſelbige bleiben.

Am andern Morgen kam O-Tuh in aller Fruͤhe nach Point Ve-
nus
, und gab dem Serjeanten der allda campirenden See-Soldaten Nach-
richt, daß jemand ſeiner Unterthanen unſrer Schildwacht die Muskete ge-
ſtohlen und mit ſelbiger entlaufen ſey; zu gleicher Zeit fertigte er an ſeinen
Bruder T’Erih-Watau, der ſeit geſtern Abend noch bey uns am Bord war,
einen Boten ab und ließ ihn abrufen, worauf uns dieſer auch, gleich nach dem

K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
hatte er den Ru&#x0364;cken gewandt, &#x017F;o flu&#x0364;&#x017F;terte &#x017F;ie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Die-<note place="right">1774.<lb/>
May.</note><lb/>
&#x017F;er ließ &#x017F;ichs darauf &#x017F;ehr angelegen &#x017F;eyn, meines Vaters Aufmerk&#x017F;amkeit durch<lb/>
allerley Fragen an &#x017F;ich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abge&#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;ey. Da nun die gute Prinzeßinn meynte, daß man ihr nicht auf die Finger<lb/>
&#x017F;a&#x0364;he, &#x017F;o nahm &#x017F;ie ganz behende ein Paar Sparren-Na&#x0364;gel fort, und verbarg<lb/>
&#x017F;olche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain <hi rendition="#fr"><persName>Cook</persName></hi> wieder herein kam,<lb/>
erza&#x0364;hlte ihm zwar mein Vater den &#x017F;chlauen Streich, den Ihro Durchlaucht aus-<lb/>
gefu&#x0364;hrt hatten: Allein &#x017F;ie hielten es beyde fu&#x0364;rs be&#x017F;te, &#x017F;ich anzu&#x017F;tellen, als wa&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;ie nichts davon gewahr worden. Sie hatte &#x017F;chon bey mehreren Gelegenheiten eine<lb/>
unwider&#x017F;tehliche Neigung blicken la&#x017F;&#x017F;en, eins und das andre heimlich zu entwenden.<lb/>
Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abge&#x017F;chlagen; &#x017F;ondern ihr fa&#x017F;t allezeit<lb/>
mehr ge&#x017F;chenkt, als &#x017F;ie gefordert. Es war al&#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am genug, daß &#x017F;ie darauf<lb/>
verfiel, das zu entwenden, was &#x017F;ie auf eine weit an&#x017F;ta&#x0364;ndigere Wei&#x017F;e ha&#x0364;tte er-<lb/>
langen ko&#x0364;nnen; vielleicht fand &#x017F;ie aber deshalb ein be&#x017F;onders Wohlgefallen an<lb/>
ge&#x017F;tohlnen Sachen, weil &#x017F;ie die&#x017F;e blos ihrer eignen Ge&#x017F;chicklichkeit zu ver-<lb/>
danken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahiti&#x017F;chen Ma&#x0364;dchen nicht zu viel<lb/>
nachgeredet; &#x017F;o muß &#x017F;ie u&#x0364;berhaupt &#x017F;ehr viel auf ver&#x017F;tohlne Freuden halten, denn<lb/>
&#x017F;ie gaben ihr Schuld, daß &#x017F;ie &#x017F;ich des Nachts wider Wi&#x017F;&#x017F;en ihres Bruders, mit<lb/>
den gemein&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Tautaus</hi> zu thun machte. Verha&#x0364;lt &#x017F;ich&#x2019;s wu&#x0364;rklich al&#x017F;o, &#x017F;o wa&#x0364;re es<lb/>
&#x017F;onderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur<lb/>
ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzeßinnen und Vornehmen darinn eine<lb/>
Ausnahme &#x017F;tatt finden &#x017F;ollte, da die&#x017F;e doch &#x017F;on&#x017F;t gemeiniglich vor allen an-<lb/>
dern gewohnt &#x017F;ind, ihrem Willen ohne Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung zu folgen. Aber &#x017F;o i&#x017F;t es:<lb/>
die men&#x017F;chlichen Leiden&#x017F;chaften &#x017F;ind allenthalben die&#x017F;elben. Sclaven und Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
haben einerley In&#x017F;tincte; folglich muß die Ge&#x017F;chichte ihrer Wirkungen auch<lb/>
u&#x0364;berall, in jedem Lande, eine und eben die&#x017F;elbige bleiben.</p><lb/>
        <p>Am andern Morgen kam <hi rendition="#fr"><persName>O-Tuh</persName></hi> in aller Fru&#x0364;he nach <hi rendition="#fr"><placeName>Point Ve-<lb/>
nus</placeName></hi>, und gab dem Serjeanten der allda campirenden See-Soldaten Nach-<lb/>
richt, daß jemand &#x017F;einer Unterthanen un&#x017F;rer Schildwacht die Muskete ge-<lb/>
&#x017F;tohlen und mit &#x017F;elbiger entlaufen &#x017F;ey; zu gleicher Zeit fertigte er an &#x017F;einen<lb/>
Bruder T&#x2019;<hi rendition="#fr"><persName>Erih-Watau</persName></hi>, der &#x017F;eit ge&#x017F;tern Abend noch bey uns am Bord war,<lb/>
einen Boten ab und ließ ihn abrufen, worauf uns die&#x017F;er auch, gleich nach dem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0087] in den Jahren 1772 bis 1775. hatte er den Ruͤcken gewandt, ſo fluͤſterte ſie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Die- ſer ließ ſichs darauf ſehr angelegen ſeyn, meines Vaters Aufmerkſamkeit durch allerley Fragen an ſich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abgeſehen ſey. Da nun die gute Prinzeßinn meynte, daß man ihr nicht auf die Finger ſaͤhe, ſo nahm ſie ganz behende ein Paar Sparren-Naͤgel fort, und verbarg ſolche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain Cook wieder herein kam, erzaͤhlte ihm zwar mein Vater den ſchlauen Streich, den Ihro Durchlaucht aus- gefuͤhrt hatten: Allein ſie hielten es beyde fuͤrs beſte, ſich anzuſtellen, als waͤren ſie nichts davon gewahr worden. Sie hatte ſchon bey mehreren Gelegenheiten eine unwiderſtehliche Neigung blicken laſſen, eins und das andre heimlich zu entwenden. Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abgeſchlagen; ſondern ihr faſt allezeit mehr geſchenkt, als ſie gefordert. Es war alſo ſeltſam genug, daß ſie darauf verfiel, das zu entwenden, was ſie auf eine weit anſtaͤndigere Weiſe haͤtte er- langen koͤnnen; vielleicht fand ſie aber deshalb ein beſonders Wohlgefallen an geſtohlnen Sachen, weil ſie dieſe blos ihrer eignen Geſchicklichkeit zu ver- danken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahitiſchen Maͤdchen nicht zu viel nachgeredet; ſo muß ſie uͤberhaupt ſehr viel auf verſtohlne Freuden halten, denn ſie gaben ihr Schuld, daß ſie ſich des Nachts wider Wiſſen ihres Bruders, mit den gemeinſten Tautaus zu thun machte. Verhaͤlt ſich’s wuͤrklich alſo, ſo waͤre es ſonderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzeßinnen und Vornehmen darinn eine Ausnahme ſtatt finden ſollte, da dieſe doch ſonſt gemeiniglich vor allen an- dern gewohnt ſind, ihrem Willen ohne Einſchraͤnkung zu folgen. Aber ſo iſt es: die menſchlichen Leidenſchaften ſind allenthalben dieſelben. Sclaven und Fuͤrſten haben einerley Inſtincte; folglich muß die Geſchichte ihrer Wirkungen auch uͤberall, in jedem Lande, eine und eben dieſelbige bleiben. 1774. May. Am andern Morgen kam O-Tuh in aller Fruͤhe nach Point Ve- nus, und gab dem Serjeanten der allda campirenden See-Soldaten Nach- richt, daß jemand ſeiner Unterthanen unſrer Schildwacht die Muskete ge- ſtohlen und mit ſelbiger entlaufen ſey; zu gleicher Zeit fertigte er an ſeinen Bruder T’Erih-Watau, der ſeit geſtern Abend noch bey uns am Bord war, einen Boten ab und ließ ihn abrufen, worauf uns dieſer auch, gleich nach dem K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/87
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/87>, abgerufen am 24.11.2024.