Man hat dafür gehalten, daß alle Gegenden des Erdbodens, selbst die ödesten und wildesten dem Menschen zum Aufenthalt dienen könnten. Ehe wir nach der Insel Georgien kamen, hatten wir gegen diese Meynung nichts einzu- wenden, weil sogar die eiskalten Küsten von Tierra del Fuego von einer Art Menschen bewohnt waren, die wenigstens einigen, wenn gleich noch so geringen Borzug vor den unvernünftigen Thieren voraus hatten. Allein, in Vergleich mit Süd-Georgien, ist das Clima von Tierra del Fuego gelinde, denn wir haben wenigstens einen Unterschied von zehn Graden am Thermometer bemerkt. Ueberdem hat es den Vortheil, so viel Holz und Strauchwerk hervorzubringen, als die Einwohner zur höchsten Noth bedürfen, um sich gegen die rauhe Witterung schützen, sich zu erwärmen, und ihre Speisen zu bereiten. In Neu-Georgien hingegen fehlt es durchaus an Holz, ja an irgend einer andern brennbaren Ma- terie, und daher ist es meines Erachtens unmöglich, daß Menschen, und zwar nicht etwa dumme, erstarrte Pescherähs, sondern selbst die erfahrensten, und mit allen Hülfsmitteln bekannten Europäer, dort würden ausdauren können. Schon der Sommer ist in dieser neuen Insel so entsetzlich kalt, daß das Ther- mometer während unserer Anwesenheit nicht zehn Grade über den Gefrierpunct stieg; und ob wir gleich mit Recht vermuthen können, daß im Winter die Kälte nicht in eben dem Verhältniß zunimmt, als in unsrer Halbkugel, so muß doch wenigstens ein Unterschied von 20 bis 30 Graden statt finden. Höchstens würde es also ein Mensch den Sommer über allhier ausstehen können, die Winter- kälte hingegen würde ihn ohnfehlbar tödten, dafern er nämlich keine andre Mittel hätte, sich ihrer zu erwehren, als die das Land hervorbringt. Außerdem, daß Süd-Georgien auf solche Art für Menschen unbewohnbar ist, so hat es allen Anschein nach, auch nicht das geringste Product, um deswillen europäische Schiffe nur zuweilen dorthin gehen sollten. Seebären und Seelöwen, deren Thran-Oel ein Handels-Artikel ist, findet man weit häufiger auf den wüsten Küsten von Süd-Amerika, auf den Falklands- und Neujahrs-Eilanden, und an allen diesen Orten sind sie mit weit minder Gefahr zu bekommen. Sollten die Wallfische des nördlichen Eismeeres vermittelst unsrer jährlichen Fischereyen jemahls ganz ausgerottet werden, so würde es Zeit seyn, dergleichen in der andern Halbkugel, wo sie bekanntermaaßen häufig sind, aufzusuchen. Doch auch alsdenn wäre es
unnütz
Forſter’s Reiſe um die Welt
1775. Januar.
Man hat dafuͤr gehalten, daß alle Gegenden des Erdbodens, ſelbſt die oͤdeſten und wildeſten dem Menſchen zum Aufenthalt dienen koͤnnten. Ehe wir nach der Inſel Georgien kamen, hatten wir gegen dieſe Meynung nichts einzu- wenden, weil ſogar die eiskalten Kuͤſten von Tierra del Fuego von einer Art Menſchen bewohnt waren, die wenigſtens einigen, wenn gleich noch ſo geringen Borzug vor den unvernuͤnftigen Thieren voraus hatten. Allein, in Vergleich mit Suͤd-Georgien, iſt das Clima von Tierra del Fuego gelinde, denn wir haben wenigſtens einen Unterſchied von zehn Graden am Thermometer bemerkt. Ueberdem hat es den Vortheil, ſo viel Holz und Strauchwerk hervorzubringen, als die Einwohner zur hoͤchſten Noth beduͤrfen, um ſich gegen die rauhe Witterung ſchuͤtzen, ſich zu erwaͤrmen, und ihre Speiſen zu bereiten. In Neu-Georgien hingegen fehlt es durchaus an Holz, ja an irgend einer andern brennbaren Ma- terie, und daher iſt es meines Erachtens unmoͤglich, daß Menſchen, und zwar nicht etwa dumme, erſtarrte Peſcheraͤhs, ſondern ſelbſt die erfahrenſten, und mit allen Huͤlfsmitteln bekannten Europaͤer, dort wuͤrden ausdauren koͤnnen. Schon der Sommer iſt in dieſer neuen Inſel ſo entſetzlich kalt, daß das Ther- mometer waͤhrend unſerer Anweſenheit nicht zehn Grade uͤber den Gefrierpunct ſtieg; und ob wir gleich mit Recht vermuthen koͤnnen, daß im Winter die Kaͤlte nicht in eben dem Verhaͤltniß zunimmt, als in unſrer Halbkugel, ſo muß doch wenigſtens ein Unterſchied von 20 bis 30 Graden ſtatt finden. Hoͤchſtens wuͤrde es alſo ein Menſch den Sommer uͤber allhier ausſtehen koͤnnen, die Winter- kaͤlte hingegen wuͤrde ihn ohnfehlbar toͤdten, dafern er naͤmlich keine andre Mittel haͤtte, ſich ihrer zu erwehren, als die das Land hervorbringt. Außerdem, daß Suͤd-Georgien auf ſolche Art fuͤr Menſchen unbewohnbar iſt, ſo hat es allen Anſchein nach, auch nicht das geringſte Product, um deswillen europaͤiſche Schiffe nur zuweilen dorthin gehen ſollten. Seebaͤren und Seeloͤwen, deren Thran-Oel ein Handels-Artikel iſt, findet man weit haͤufiger auf den wuͤſten Kuͤſten von Suͤd-Amerika, auf den Falklands- und Neujahrs-Eilanden, und an allen dieſen Orten ſind ſie mit weit minder Gefahr zu bekommen. Sollten die Wallfiſche des noͤrdlichen Eismeeres vermittelſt unſrer jaͤhrlichen Fiſchereyen jemahls ganz ausgerottet werden, ſo wuͤrde es Zeit ſeyn, dergleichen in der andern Halbkugel, wo ſie bekanntermaaßen haͤufig ſind, aufzuſuchen. Doch auch alsdenn waͤre es
unnuͤtz
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Man hat dafuͤr gehalten, daß alle Gegenden des Erdbodens, ſelbſt die
oͤdeſten und wildeſten dem Menſchen zum Aufenthalt dienen koͤnnten. Ehe wir
nach der Inſel Georgien kamen, hatten wir gegen dieſe Meynung nichts einzu-
wenden, weil ſogar die eiskalten Kuͤſten von Tierra del Fuego von einer Art
Menſchen bewohnt waren, die wenigſtens einigen, wenn gleich noch ſo geringen
Borzug vor den unvernuͤnftigen Thieren voraus hatten. Allein, in Vergleich
mit Suͤd-Georgien, iſt das Clima von Tierra del Fuego gelinde, denn wir
haben wenigſtens einen Unterſchied von zehn Graden am Thermometer bemerkt.
Ueberdem hat es den Vortheil, ſo viel Holz und Strauchwerk hervorzubringen,
als die Einwohner zur hoͤchſten Noth beduͤrfen, um ſich gegen die rauhe Witterung
ſchuͤtzen, ſich zu erwaͤrmen, und ihre Speiſen zu bereiten. In Neu-Georgien
hingegen fehlt es durchaus an Holz, ja an irgend einer andern brennbaren Ma-
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nicht etwa dumme, erſtarrte Peſcheraͤhs, ſondern ſelbſt die erfahrenſten, und
mit allen Huͤlfsmitteln bekannten Europaͤer, dort wuͤrden ausdauren koͤnnen.
Schon der Sommer iſt in dieſer neuen Inſel ſo entſetzlich kalt, daß das Ther-
mometer waͤhrend unſerer Anweſenheit nicht zehn Grade uͤber den Gefrierpunct
ſtieg; und ob wir gleich mit Recht vermuthen koͤnnen, daß im Winter die Kaͤlte
nicht in eben dem Verhaͤltniß zunimmt, als in unſrer Halbkugel, ſo muß doch
wenigſtens ein Unterſchied von 20 bis 30 Graden ſtatt finden. Hoͤchſtens
wuͤrde es alſo ein Menſch den Sommer uͤber allhier ausſtehen koͤnnen, die Winter-
kaͤlte hingegen wuͤrde ihn ohnfehlbar toͤdten, dafern er naͤmlich keine andre Mittel
haͤtte, ſich ihrer zu erwehren, als die das Land hervorbringt. Außerdem, daß
Suͤd-Georgien auf ſolche Art fuͤr Menſchen unbewohnbar iſt, ſo hat es allen
Anſchein nach, auch nicht das geringſte Product, um deswillen europaͤiſche Schiffe
nur zuweilen dorthin gehen ſollten. Seebaͤren und Seeloͤwen, deren Thran-Oel
ein Handels-Artikel iſt, findet man weit haͤufiger auf den wuͤſten Kuͤſten von
Suͤd-Amerika, auf den Falklands- und Neujahrs-Eilanden, und an allen dieſen
Orten ſind ſie mit weit minder Gefahr zu bekommen. Sollten die Wallfiſche
des noͤrdlichen Eismeeres vermittelſt unſrer jaͤhrlichen Fiſchereyen jemahls ganz
ausgerottet werden, ſo wuͤrde es Zeit ſeyn, dergleichen in der andern Halbkugel,
wo ſie bekanntermaaßen haͤufig ſind, aufzuſuchen. Doch auch alsdenn waͤre es
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/434>, abgerufen am 27.11.2024.
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