Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Forster's Reise um die Welt

1774.
Decem-
ber.

Jenseit des Cap Noir, welches unter 54° 30' Südlicher Breite und
37° 33' westlicher Länge liegt, schien das Land mehr zusammen zu hangen,
und des andern Morgens fanden wir die Küste überall fest und unge-
theilt; die Berge wurden schon dicht an der See merklich höher als zuvor und
waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab,
und erstarb gegen Mittag gänzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenschein, die Luft
ziemlich gelinde blieb. Wasservögel von mancherley Art flatterten ums Schiff
und im Wasser gaukelten Seekälber umher. Nachmittags kam ein Trupp von
ohngefähr dreyßig Nordkaper (Grampusses) mehrentheils paarweise, ange-
schwommen, die sich, bey dem schönen Wetter, ebenfalls lustig machten. Gegen
Abend entstand Ostwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage
aber wieder gänzlich nachließ. An diesem stürmischen Vorgebürge, dessen
bloßer Nahme, seit Ansons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden
ist, hatten wir die hestigsten Stürme, nicht aber eine so milde Witterung er-
wartet. Desto mehr freute es uns, vermittelst einer ganz entgegengesetzten Er-
fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu können, denn die Wissenschaften und
das menschliche Geschlecht überhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge-
wurzelte Vorurtheile und Irrthümer ausgerottet werden. Das Thermometer
stand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarschaft so gewaltiger Schnee-
Massen, für eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die ersten
Entdecker dieser Küste, nannten sie die Küste der Verwüstung (Coast of De-
solation
) oder die öde Küste, und diese Benennung kommt ihr mit vollem Rech-
te zu. Man sieht überall nichts als ungeheure Berge, mit schroffen, Schnee-
bedeckten Gipfeln! Kaum die zunächst an der See gelegnen Felsen sind davon ent-
blößt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Ansehen, ohne Gras
oder Gebüsch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen
kleine, grün bewachsene Eylande vorhanden sind. In eine dieser Oesnungen oder
Buchten liefen wir, mit Hülfe eines gelinden Ostwindes, heut gegen Abend ein.
An der Westseite der Einfahrt stand eine gewaltige senkrechte Felsenmauer, die
Capitain Cook, York-Münster benannte, weil er zwischen ihr und jenem gothi-
schen Gebäude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30'
Südlicher Breite und 70° 28' westlicher Länge. Seitdem wir uns dicht an der

Forſter’s Reiſe um die Welt

1774.
Decem-
ber.

Jenſeit des Cap Noir, welches unter 54° 30′ Suͤdlicher Breite und
37° 33′ weſtlicher Laͤnge liegt, ſchien das Land mehr zuſammen zu hangen,
und des andern Morgens fanden wir die Kuͤſte uͤberall feſt und unge-
theilt; die Berge wurden ſchon dicht an der See merklich hoͤher als zuvor und
waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab,
und erſtarb gegen Mittag gaͤnzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenſchein, die Luft
ziemlich gelinde blieb. Waſſervoͤgel von mancherley Art flatterten ums Schiff
und im Waſſer gaukelten Seekaͤlber umher. Nachmittags kam ein Trupp von
ohngefaͤhr dreyßig Nordkaper (Grampuſſes) mehrentheils paarweiſe, ange-
ſchwommen, die ſich, bey dem ſchoͤnen Wetter, ebenfalls luſtig machten. Gegen
Abend entſtand Oſtwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage
aber wieder gaͤnzlich nachließ. An dieſem ſtuͤrmiſchen Vorgebuͤrge, deſſen
bloßer Nahme, ſeit Anſons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden
iſt, hatten wir die heſtigſten Stuͤrme, nicht aber eine ſo milde Witterung er-
wartet. Deſto mehr freute es uns, vermittelſt einer ganz entgegengeſetzten Er-
fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu koͤnnen, denn die Wiſſenſchaften und
das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge-
wurzelte Vorurtheile und Irrthuͤmer ausgerottet werden. Das Thermometer
ſtand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarſchaft ſo gewaltiger Schnee-
Maſſen, fuͤr eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die erſten
Entdecker dieſer Kuͤſte, nannten ſie die Kuͤſte der Verwuͤſtung (Coaſt of De-
ſolation
) oder die oͤde Kuͤſte, und dieſe Benennung kommt ihr mit vollem Rech-
te zu. Man ſieht uͤberall nichts als ungeheure Berge, mit ſchroffen, Schnee-
bedeckten Gipfeln! Kaum die zunaͤchſt an der See gelegnen Felſen ſind davon ent-
bloͤßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Anſehen, ohne Gras
oder Gebuͤſch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen
kleine, gruͤn bewachſene Eylande vorhanden ſind. In eine dieſer Oeſnungen oder
Buchten liefen wir, mit Huͤlfe eines gelinden Oſtwindes, heut gegen Abend ein.
An der Weſtſeite der Einfahrt ſtand eine gewaltige ſenkrechte Felſenmauer, die
Capitain Cook, York-Muͤnſter benannte, weil er zwiſchen ihr und jenem gothi-
ſchen Gebaͤude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30′
Suͤdlicher Breite und 70° 28′ weſtlicher Laͤnge. Seitdem wir uns dicht an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0400" n="382"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi> </fw><lb/>
        <note place="left">1774.<lb/>
Decem-<lb/>
ber.</note>
        <p>Jen&#x017F;eit des <placeName>Cap <hi rendition="#fr">Noir</hi></placeName>, welches unter 54° 30&#x2032; Su&#x0364;dlicher Breite und<lb/>
37° 33&#x2032; we&#x017F;tlicher La&#x0364;nge liegt, &#x017F;chien das Land mehr zu&#x017F;ammen zu hangen,<lb/>
und des andern Morgens fanden wir die Ku&#x0364;&#x017F;te u&#x0364;berall fe&#x017F;t und unge-<lb/>
theilt; die Berge wurden &#x017F;chon dicht an der See merklich ho&#x0364;her als zuvor und<lb/>
waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab,<lb/>
und er&#x017F;tarb gegen Mittag ga&#x0364;nzlich, indeß, bey herrlichem Sonnen&#x017F;chein, die Luft<lb/>
ziemlich gelinde blieb. Wa&#x017F;&#x017F;ervo&#x0364;gel von mancherley Art flatterten ums Schiff<lb/>
und im Wa&#x017F;&#x017F;er gaukelten Seeka&#x0364;lber umher. Nachmittags kam ein Trupp von<lb/>
ohngefa&#x0364;hr dreyßig <hi rendition="#fr">Nordkaper</hi> (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Grampu&#x017F;&#x017F;es</hi></hi>) mehrentheils paarwei&#x017F;e, ange-<lb/>
&#x017F;chwommen, die &#x017F;ich, bey dem &#x017F;cho&#x0364;nen Wetter, ebenfalls lu&#x017F;tig machten. Gegen<lb/>
Abend ent&#x017F;tand O&#x017F;twind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage<lb/>
aber wieder ga&#x0364;nzlich nachließ. An die&#x017F;em &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;chen Vorgebu&#x0364;rge, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bloßer Nahme, &#x017F;eit <hi rendition="#fr"><persName>An&#x017F;ons</persName></hi> Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden<lb/>
i&#x017F;t, hatten wir die he&#x017F;tig&#x017F;ten Stu&#x0364;rme, nicht aber eine &#x017F;o milde Witterung er-<lb/>
wartet. De&#x017F;to mehr freute es uns, vermittel&#x017F;t einer ganz entgegenge&#x017F;etzten Er-<lb/>
fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu ko&#x0364;nnen, denn die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und<lb/>
das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht u&#x0364;berhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge-<lb/>
wurzelte Vorurtheile und Irrthu&#x0364;mer ausgerottet werden. Das Thermometer<lb/>
&#x017F;tand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbar&#x017F;chaft &#x017F;o <choice><sic>gewaltigen</sic><corr>gewaltiger</corr></choice> Schnee-<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en, fu&#x0364;r eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die er&#x017F;ten<lb/>
Entdecker die&#x017F;er Ku&#x0364;&#x017F;te, nannten &#x017F;ie die <placeName>Ku&#x0364;&#x017F;te der Verwu&#x0364;&#x017F;tung</placeName> (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq"><placeName>Coa&#x017F;t of De-<lb/>
&#x017F;olation</placeName></hi></hi>) oder die <hi rendition="#fr">o&#x0364;de Ku&#x0364;&#x017F;te</hi>, und die&#x017F;e Benennung kommt ihr mit vollem Rech-<lb/>
te zu. Man &#x017F;ieht u&#x0364;berall nichts als ungeheure Berge, mit &#x017F;chroffen, Schnee-<lb/>
bedeckten Gipfeln! Kaum die zuna&#x0364;ch&#x017F;t an der See gelegnen Fel&#x017F;en &#x017F;ind davon ent-<lb/>
blo&#x0364;ßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren An&#x017F;ehen, ohne Gras<lb/>
oder Gebu&#x0364;&#x017F;ch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen<lb/>
kleine, gru&#x0364;n bewach&#x017F;ene Eylande vorhanden &#x017F;ind. In eine die&#x017F;er Oe&#x017F;nungen oder<lb/>
Buchten liefen wir, mit Hu&#x0364;lfe eines gelinden O&#x017F;twindes, heut gegen Abend ein.<lb/>
An der We&#x017F;t&#x017F;eite der Einfahrt &#x017F;tand eine gewaltige &#x017F;enkrechte Fel&#x017F;enmauer, die<lb/>
Capitain <hi rendition="#fr"><persName>Cook</persName>, York-Mu&#x0364;n&#x017F;ter</hi> benannte, weil er zwi&#x017F;chen ihr und jenem gothi-<lb/>
&#x017F;chen Geba&#x0364;ude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30&#x2032;<lb/>
Su&#x0364;dlicher Breite und 70° 28&#x2032; we&#x017F;tlicher La&#x0364;nge. Seitdem wir uns dicht an der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0400] Forſter’s Reiſe um die Welt Jenſeit des Cap Noir, welches unter 54° 30′ Suͤdlicher Breite und 37° 33′ weſtlicher Laͤnge liegt, ſchien das Land mehr zuſammen zu hangen, und des andern Morgens fanden wir die Kuͤſte uͤberall feſt und unge- theilt; die Berge wurden ſchon dicht an der See merklich hoͤher als zuvor und waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab, und erſtarb gegen Mittag gaͤnzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenſchein, die Luft ziemlich gelinde blieb. Waſſervoͤgel von mancherley Art flatterten ums Schiff und im Waſſer gaukelten Seekaͤlber umher. Nachmittags kam ein Trupp von ohngefaͤhr dreyßig Nordkaper (Grampuſſes) mehrentheils paarweiſe, ange- ſchwommen, die ſich, bey dem ſchoͤnen Wetter, ebenfalls luſtig machten. Gegen Abend entſtand Oſtwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage aber wieder gaͤnzlich nachließ. An dieſem ſtuͤrmiſchen Vorgebuͤrge, deſſen bloßer Nahme, ſeit Anſons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden iſt, hatten wir die heſtigſten Stuͤrme, nicht aber eine ſo milde Witterung er- wartet. Deſto mehr freute es uns, vermittelſt einer ganz entgegengeſetzten Er- fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu koͤnnen, denn die Wiſſenſchaften und das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge- wurzelte Vorurtheile und Irrthuͤmer ausgerottet werden. Das Thermometer ſtand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarſchaft ſo gewaltiger Schnee- Maſſen, fuͤr eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die erſten Entdecker dieſer Kuͤſte, nannten ſie die Kuͤſte der Verwuͤſtung (Coaſt of De- ſolation) oder die oͤde Kuͤſte, und dieſe Benennung kommt ihr mit vollem Rech- te zu. Man ſieht uͤberall nichts als ungeheure Berge, mit ſchroffen, Schnee- bedeckten Gipfeln! Kaum die zunaͤchſt an der See gelegnen Felſen ſind davon ent- bloͤßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Anſehen, ohne Gras oder Gebuͤſch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen kleine, gruͤn bewachſene Eylande vorhanden ſind. In eine dieſer Oeſnungen oder Buchten liefen wir, mit Huͤlfe eines gelinden Oſtwindes, heut gegen Abend ein. An der Weſtſeite der Einfahrt ſtand eine gewaltige ſenkrechte Felſenmauer, die Capitain Cook, York-Muͤnſter benannte, weil er zwiſchen ihr und jenem gothi- ſchen Gebaͤude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30′ Suͤdlicher Breite und 70° 28′ weſtlicher Laͤnge. Seitdem wir uns dicht an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/400
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/400>, abgerufen am 20.05.2024.