Die ersten Ergießungen des Schmerzens sind gewiß nicht wortreich; der einzige Gedanke den man aussprechen kann, gehet auf die Bezeichnung des er- littenen Verlusts und wird unfehlbar die Form einer Klage annehmen. Ob, und in wie fern die Melodie mit der kraftvollen Simplicität obigen Textes in Verhält- niß stehe -- das mögen beßre Kenner der Tonkunst, als ich bin, entscheiden.
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Am Ende fallen sie vom mitlern c zur untern Octave, wie wenn man den Finger auf dem Grifbrett einer Violine herabgleiten läßt. Ehe ich von die- sem Gegenstand zu reden aufhöre, kann ich nicht umhin anzumerken, daß, da die Neu-Seeländer Geschmak für die Musik, und in diesem Betracht vor vielen Völkern der Südsee einen großen Vorzug, haben, ihr Herz nothwendiger- weise guter und milder Empfindungen fähig seyn muß, was auch die spitzfin- dige Beredsamkeit des bloßen Stuben-Philosophen dagegen einwenden mag. Ich läugne nicht, daß sie in ihren Leidenschaften sehr heftig sind, allein, wer will oder kann behaupten, daß heftige Leidenschaften immer nur zu schädlichen oder gar unmenschlichen Ausschweifungen führen?
Seit der letzten Untersuchung bis zum 9ten November stellten wir noch verschiedene kleine Lustfahrten längst dem Ufer an und besuchten alle innerhalb des Havens liegende Eylande. Dies verschafte uns mehr schätzbare Bey- träge zur Kräuter- und Thierkunde dieses Landes, als wir, der frühen Jahrszeit wegen und nach so vielen vorhergegangenen Untersuchungen, erwarten konn- ten. Wir fanden nemlich zehn bis zwölf Pflanzenarten und vier bis fünf Gat- tungen Vögel, die uns zuvor nicht bekannt geworden waren. Die Matrosen ergänzten unterdeß den Vorrath von Trinkwasser, schaften eine Menge Brenn-
holz
*) Man könnte es auch so umschreiben: Er verließ uns und starb der arme Tupaia!
Die erſten Ergießungen des Schmerzens ſind gewiß nicht wortreich; der einzige Gedanke den man ausſprechen kann, gehet auf die Bezeichnung des er- littenen Verluſts und wird unfehlbar die Form einer Klage annehmen. Ob, und in wie fern die Melodie mit der kraftvollen Simplicitaͤt obigen Textes in Verhaͤlt- niß ſtehe — das moͤgen beßre Kenner der Tonkunſt, als ich bin, entſcheiden.
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Am Ende fallen ſie vom mitlern c zur untern Octave, wie wenn man den Finger auf dem Grifbrett einer Violine herabgleiten laͤßt. Ehe ich von die- ſem Gegenſtand zu reden aufhoͤre, kann ich nicht umhin anzumerken, daß, da die Neu-Seelaͤnder Geſchmak fuͤr die Muſik, und in dieſem Betracht vor vielen Voͤlkern der Suͤdſee einen großen Vorzug, haben, ihr Herz nothwendiger- weiſe guter und milder Empfindungen faͤhig ſeyn muß, was auch die ſpitzfin- dige Beredſamkeit des bloßen Stuben-Philoſophen dagegen einwenden mag. Ich laͤugne nicht, daß ſie in ihren Leidenſchaften ſehr heftig ſind, allein, wer will oder kann behaupten, daß heftige Leidenſchaften immer nur zu ſchaͤdlichen oder gar unmenſchlichen Ausſchweifungen fuͤhren?
Seit der letzten Unterſuchung bis zum 9ten November ſtellten wir noch verſchiedene kleine Luſtfahrten laͤngſt dem Ufer an und beſuchten alle innerhalb des Havens liegende Eylande. Dies verſchafte uns mehr ſchaͤtzbare Bey- traͤge zur Kraͤuter- und Thierkunde dieſes Landes, als wir, der fruͤhen Jahrszeit wegen und nach ſo vielen vorhergegangenen Unterſuchungen, erwarten konn- ten. Wir fanden nemlich zehn bis zwoͤlf Pflanzenarten und vier bis fuͤnf Gat- tungen Voͤgel, die uns zuvor nicht bekannt geworden waren. Die Matroſen ergaͤnzten unterdeß den Vorrath von Trinkwaſſer, ſchaften eine Menge Brenn-
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*) Man koͤnnte es auch ſo umſchreiben: Er verließ uns und ſtarb der arme Tupaia!
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[376/0394]
Forſter’s Reiſe um die Welt
Āeghīh, māttĕ, āhwäh̄! Tūpāiā!
Gegangen, todt! oh weh! Tupaia! *)
Die erſten Ergießungen des Schmerzens ſind gewiß nicht wortreich;
der einzige Gedanke den man ausſprechen kann, gehet auf die Bezeichnung des er-
littenen Verluſts und wird unfehlbar die Form einer Klage annehmen. Ob, und
in wie fern die Melodie mit der kraftvollen Simplicitaͤt obigen Textes in Verhaͤlt-
niß ſtehe — das moͤgen beßre Kenner der Tonkunſt, als ich bin, entſcheiden.
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Am Ende fallen ſie vom mitlern c zur untern Octave, wie wenn man
den Finger auf dem Grifbrett einer Violine herabgleiten laͤßt. Ehe ich von die-
ſem Gegenſtand zu reden aufhoͤre, kann ich nicht umhin anzumerken, daß, da die
Neu-Seelaͤnder Geſchmak fuͤr die Muſik, und in dieſem Betracht vor
vielen Voͤlkern der Suͤdſee einen großen Vorzug, haben, ihr Herz nothwendiger-
weiſe guter und milder Empfindungen faͤhig ſeyn muß, was auch die ſpitzfin-
dige Beredſamkeit des bloßen Stuben-Philoſophen dagegen einwenden mag. Ich
laͤugne nicht, daß ſie in ihren Leidenſchaften ſehr heftig ſind, allein, wer will
oder kann behaupten, daß heftige Leidenſchaften immer nur zu ſchaͤdlichen oder
gar unmenſchlichen Ausſchweifungen fuͤhren?
Seit der letzten Unterſuchung bis zum 9ten November ſtellten wir noch
verſchiedene kleine Luſtfahrten laͤngſt dem Ufer an und beſuchten alle innerhalb
des Havens liegende Eylande. Dies verſchafte uns mehr ſchaͤtzbare Bey-
traͤge zur Kraͤuter- und Thierkunde dieſes Landes, als wir, der fruͤhen Jahrszeit
wegen und nach ſo vielen vorhergegangenen Unterſuchungen, erwarten konn-
ten. Wir fanden nemlich zehn bis zwoͤlf Pflanzenarten und vier bis fuͤnf Gat-
tungen Voͤgel, die uns zuvor nicht bekannt geworden waren. Die Matroſen
ergaͤnzten unterdeß den Vorrath von Trinkwaſſer, ſchaften eine Menge Brenn-
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*) Man koͤnnte es auch ſo umſchreiben: Er verließ uns und ſtarb der arme Tupaia!
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/394>, abgerufen am 23.07.2024.
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