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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
über diesen Punkt selbst bemerkt haben, ist die Elephantiasis, und diese war1774.
Septem-
ber.

sehr gemein. Dennoch habe ich sie bey keinem in so hohen Grade angetroffen,
daß das Leben des Patienten darüber in Gefahr gewesen wäre. Viele und
mannigfaltige Krankheiten sind gemeiniglich nur Folgen der Ausschweifung und
Völlerey; die kann aber, bey so armseligen und rohen Menschen als die hiesigen
sind, nicht wohl statt finden. Graue Haare und Runzeln, die gewöhnlichen Be-
gleiter des hohen Alters, waren hier nichts seltenes; aber unmöglich war es,
sich über einen so abstracten Begrif als das Alter ist, mit ihnen zu erklären,
und hätten wir es gekonnt, so ist noch die Frage, ob sie selbst von der Zahl ihrer Le-
bensjahre hätten Rechenschaft geben können? Waren wir doch nicht einmal im
Stande uns bey den Tahitiern nach der Dauer der Lebenszeit zu erkundigen,
ohnerachtet wir von der dortigen Sprache ungleich mehr als von der hiesigen
wußten, von welcher wir nur einzelne Wörter aufgeschnappt hatten. -- Doch
es ist billig, daß ich einlenke, und in der Erzählung unserer Reisebegebenheiten
fortfahre.

Wir steuerten nunmehro, zwischen Nord und West, längst den Felsen-
tiefen herunter, womit Neu-Caledonia auf diesem Striche umgeben ist. Es
war darauf abgesehn, die Lage der Küste zu bestimmen, welche nach vorge-
dachter Richtung hinzulaufen schien. In der Gegend der Insel Balabia
zog sich das Rief nach Norden und war, an einigen Stellen, 6 Seemeilen weit
von der Küste entfernt. Fregatten-Vögel (man of war virds) Tölpel (boo-
bies
) und tropische Vögel schwärmten jetzt häufig um das Schiff her.

Am 15ten entdeckten wir, daß am Westende von Neu-Caledonia,
nach Norden hin, drey Inseln liegen; da sich aber das Rief weit von selbigen
gegen Osten in die See erstrekte, und wir keine Oefnung bemerkten, durch wel-
che man hätte innerhalb herein segeln können; so mußten wir die Gestalt und
Größe dieser Inseln unerforscht lassen. Der Schätzung nach mochte die be-
trächtlichste derselben etwa sieben Seemeilen lang seyn. Am 15ten wurden
wir, vier Meilen vom Rief, von einer Windstille überfallen, und die Wellen
welche sehr hoch giengen, trieben uns gerade auf die Felsen hin. Die Gefahr
war so dringend, daß, um ihr zu entgehen, unverzüglich zwey Boote ausgesetzt
wurden und die Leute sich's sehr sauer werden lassen mußten, uns an Stricken

U u 2

in den Jahren 1772 bis 1775.
uͤber dieſen Punkt ſelbſt bemerkt haben, iſt die Elephantiaſis, und dieſe war1774.
Septem-
ber.

ſehr gemein. Dennoch habe ich ſie bey keinem in ſo hohen Grade angetroffen,
daß das Leben des Patienten daruͤber in Gefahr geweſen waͤre. Viele und
mannigfaltige Krankheiten ſind gemeiniglich nur Folgen der Ausſchweifung und
Voͤllerey; die kann aber, bey ſo armſeligen und rohen Menſchen als die hieſigen
ſind, nicht wohl ſtatt finden. Graue Haare und Runzeln, die gewoͤhnlichen Be-
gleiter des hohen Alters, waren hier nichts ſeltenes; aber unmoͤglich war es,
ſich uͤber einen ſo abſtracten Begrif als das Alter iſt, mit ihnen zu erklaͤren,
und haͤtten wir es gekonnt, ſo iſt noch die Frage, ob ſie ſelbſt von der Zahl ihrer Le-
bensjahre haͤtten Rechenſchaft geben koͤnnen? Waren wir doch nicht einmal im
Stande uns bey den Tahitiern nach der Dauer der Lebenszeit zu erkundigen,
ohnerachtet wir von der dortigen Sprache ungleich mehr als von der hieſigen
wußten, von welcher wir nur einzelne Woͤrter aufgeſchnappt hatten. — Doch
es iſt billig, daß ich einlenke, und in der Erzaͤhlung unſerer Reiſebegebenheiten
fortfahre.

Wir ſteuerten nunmehro, zwiſchen Nord und Weſt, laͤngſt den Felſen-
tiefen herunter, womit Neu-Caledonia auf dieſem Striche umgeben iſt. Es
war darauf abgeſehn, die Lage der Kuͤſte zu beſtimmen, welche nach vorge-
dachter Richtung hinzulaufen ſchien. In der Gegend der Inſel Balabia
zog ſich das Rief nach Norden und war, an einigen Stellen, 6 Seemeilen weit
von der Kuͤſte entfernt. Fregatten-Voͤgel (man of war virds) Toͤlpel (boo-
bies
) und tropiſche Voͤgel ſchwaͤrmten jetzt haͤufig um das Schiff her.

Am 15ten entdeckten wir, daß am Weſtende von Neu-Caledonia,
nach Norden hin, drey Inſeln liegen; da ſich aber das Rief weit von ſelbigen
gegen Oſten in die See erſtrekte, und wir keine Oefnung bemerkten, durch wel-
che man haͤtte innerhalb herein ſegeln koͤnnen; ſo mußten wir die Geſtalt und
Groͤße dieſer Inſeln unerforſcht laſſen. Der Schaͤtzung nach mochte die be-
traͤchtlichſte derſelben etwa ſieben Seemeilen lang ſeyn. Am 15ten wurden
wir, vier Meilen vom Rief, von einer Windſtille uͤberfallen, und die Wellen
welche ſehr hoch giengen, trieben uns gerade auf die Felſen hin. Die Gefahr
war ſo dringend, daß, um ihr zu entgehen, unverzuͤglich zwey Boote ausgeſetzt
wurden und die Leute ſich’s ſehr ſauer werden laſſen mußten, uns an Stricken

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[339/0357] in den Jahren 1772 bis 1775. uͤber dieſen Punkt ſelbſt bemerkt haben, iſt die Elephantiaſis, und dieſe war ſehr gemein. Dennoch habe ich ſie bey keinem in ſo hohen Grade angetroffen, daß das Leben des Patienten daruͤber in Gefahr geweſen waͤre. Viele und mannigfaltige Krankheiten ſind gemeiniglich nur Folgen der Ausſchweifung und Voͤllerey; die kann aber, bey ſo armſeligen und rohen Menſchen als die hieſigen ſind, nicht wohl ſtatt finden. Graue Haare und Runzeln, die gewoͤhnlichen Be- gleiter des hohen Alters, waren hier nichts ſeltenes; aber unmoͤglich war es, ſich uͤber einen ſo abſtracten Begrif als das Alter iſt, mit ihnen zu erklaͤren, und haͤtten wir es gekonnt, ſo iſt noch die Frage, ob ſie ſelbſt von der Zahl ihrer Le- bensjahre haͤtten Rechenſchaft geben koͤnnen? Waren wir doch nicht einmal im Stande uns bey den Tahitiern nach der Dauer der Lebenszeit zu erkundigen, ohnerachtet wir von der dortigen Sprache ungleich mehr als von der hieſigen wußten, von welcher wir nur einzelne Woͤrter aufgeſchnappt hatten. — Doch es iſt billig, daß ich einlenke, und in der Erzaͤhlung unſerer Reiſebegebenheiten fortfahre. 1774. Septem- ber. Wir ſteuerten nunmehro, zwiſchen Nord und Weſt, laͤngſt den Felſen- tiefen herunter, womit Neu-Caledonia auf dieſem Striche umgeben iſt. Es war darauf abgeſehn, die Lage der Kuͤſte zu beſtimmen, welche nach vorge- dachter Richtung hinzulaufen ſchien. In der Gegend der Inſel Balabia zog ſich das Rief nach Norden und war, an einigen Stellen, 6 Seemeilen weit von der Kuͤſte entfernt. Fregatten-Voͤgel (man of war virds) Toͤlpel (boo- bies) und tropiſche Voͤgel ſchwaͤrmten jetzt haͤufig um das Schiff her. Am 15ten entdeckten wir, daß am Weſtende von Neu-Caledonia, nach Norden hin, drey Inſeln liegen; da ſich aber das Rief weit von ſelbigen gegen Oſten in die See erſtrekte, und wir keine Oefnung bemerkten, durch wel- che man haͤtte innerhalb herein ſegeln koͤnnen; ſo mußten wir die Geſtalt und Groͤße dieſer Inſeln unerforſcht laſſen. Der Schaͤtzung nach mochte die be- traͤchtlichſte derſelben etwa ſieben Seemeilen lang ſeyn. Am 15ten wurden wir, vier Meilen vom Rief, von einer Windſtille uͤberfallen, und die Wellen welche ſehr hoch giengen, trieben uns gerade auf die Felſen hin. Die Gefahr war ſo dringend, daß, um ihr zu entgehen, unverzuͤglich zwey Boote ausgeſetzt wurden und die Leute ſich’s ſehr ſauer werden laſſen mußten, uns an Stricken U u 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/357>, abgerufen am 20.05.2024.