Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1774.
Septem-
ber.
sie wild könnten herumlaufen lassen. Letztere möchten, wegen des troknen Him-
melsstrichs, vielleicht am besten gedeihen und ein treflicher Artikel für sie werden.

Die Einfalt, welche wir in ihrem häuslichen Leben wahrnehmen, muß
sich wahrscheinlicherweise auch in ihrer politischen Verfaßung offenbaren. Tea-
buma
wurde als Befehlshaber des Districts angesehen, der unserm Ankerplatze
gegen über lag; allein, bey der Armseeligkeit des Landes konnte er wohl auf keine
sonderlichen Vorzüge Anspruch machen, und da noch kein Luxus bekannt ist, so
lebt er vermuthlich um nichts besser, als seine übrigen Landsleute. Auch die
äußern Ehrenbezeugungen, welche ihm bewiesen werden, können nicht viel zu
bedeuten haben; der einzige Umstand dieser Art, woraus sich eine gewisse Unter-
würfigkeit gegen ihn abnehmen lies, bestand darin, daß sie die Geschenke, wel-
che ihnen Herr Pickersgill bey der ersten Zusammenkunft überreichte, durch-
gehends an Ihn ablieferten. Schon der Nahme den sie ihm beylegen, mag
eine Art von Ehrenbezeugung ausmachen, wenigstens scheint das Wörtchen
Tea ein Titul zu seyn welchen sie, ohne Unterschied, dem Namen jedes ange-
sehenen Mannes vorsetzen. Wenn z. E. Hibai dem Capitain eine rechte Ehre
anthun wollte, nannte er ihn Tea-Cook. Die benachbarten Districte stehen
nicht unter Tea-buma, sondern haben vermuthlich ihre eigenen Befehlshaber,
oder vielmehr, jede Familie macht ein eignes Reich aus, das, nach patriarchali-
scher Weise, durch den Aeltesten regiert wird, welches in der Kindheit jeder Gesell-
schaft
von Menschen, immer der Fall seyn muß. Von ihrer Religion dürfen
oder können wir vielmehr gar nichts sagen; innerhalb acht Tagen lies sich davon
wenig in Erfahrung bringen. Wir bemerkten nicht einmal eine Spur von ei-
nem religiösen Gebrauch, vielweniger eine förmliche Ceremonie oder andre
Aeusserung des Aberglaubens. Vermuthlich steht die Einfalt ihrer Begriffe
mit der Einfalt ihres ganzen Charakters in gleichem Verhältniß. Doch wer
weiß? Die geringen Denkmähler bey ihren Grabstellen deuten vielleicht auf ge-
wisse Leichen-Ceremonien! Der Tod macht wenigstens überall eine sehr merk-
würdige Scene für den Menschen aus; die Nachbleibenden ehren ihn gemeinig-
lich durch äussere Handlungen und Traurigkeit pflegt gern auszuschweifen!
-- Was für tödtliche Krankheiten es hier zu Lande geben, und wie groß die
Mortalität etwa seyn möge? ist uns unbekannt. Das einzige, was wir

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ſie wild koͤnnten herumlaufen laſſen. Letztere moͤchten, wegen des troknen Him-
melsſtrichs, vielleicht am beſten gedeihen und ein treflicher Artikel fuͤr ſie werden.

Die Einfalt, welche wir in ihrem haͤuslichen Leben wahrnehmen, muß
ſich wahrſcheinlicherweiſe auch in ihrer politiſchen Verfaßung offenbaren. Tea-
buma
wurde als Befehlshaber des Diſtricts angeſehen, der unſerm Ankerplatze
gegen uͤber lag; allein, bey der Armſeeligkeit des Landes konnte er wohl auf keine
ſonderlichen Vorzuͤge Anſpruch machen, und da noch kein Luxus bekannt iſt, ſo
lebt er vermuthlich um nichts beſſer, als ſeine uͤbrigen Landsleute. Auch die
aͤußern Ehrenbezeugungen, welche ihm bewieſen werden, koͤnnen nicht viel zu
bedeuten haben; der einzige Umſtand dieſer Art, woraus ſich eine gewiſſe Unter-
wuͤrfigkeit gegen ihn abnehmen lies, beſtand darin, daß ſie die Geſchenke, wel-
che ihnen Herr Pickersgill bey der erſten Zuſammenkunft uͤberreichte, durch-
gehends an Ihn ablieferten. Schon der Nahme den ſie ihm beylegen, mag
eine Art von Ehrenbezeugung ausmachen, wenigſtens ſcheint das Woͤrtchen
Tea ein Titul zu ſeyn welchen ſie, ohne Unterſchied, dem Namen jedes ange-
ſehenen Mannes vorſetzen. Wenn z. E. Hibai dem Capitain eine rechte Ehre
anthun wollte, nannte er ihn Tea-Cook. Die benachbarten Diſtricte ſtehen
nicht unter Tea-buma, ſondern haben vermuthlich ihre eigenen Befehlshaber,
oder vielmehr, jede Familie macht ein eignes Reich aus, das, nach patriarchali-
ſcher Weiſe, durch den Aelteſten regiert wird, welches in der Kindheit jeder Geſell-
ſchaft
von Menſchen, immer der Fall ſeyn muß. Von ihrer Religion duͤrfen
oder koͤnnen wir vielmehr gar nichts ſagen; innerhalb acht Tagen lies ſich davon
wenig in Erfahrung bringen. Wir bemerkten nicht einmal eine Spur von ei-
nem religioͤſen Gebrauch, vielweniger eine foͤrmliche Ceremonie oder andre
Aeuſſerung des Aberglaubens. Vermuthlich ſteht die Einfalt ihrer Begriffe
mit der Einfalt ihres ganzen Charakters in gleichem Verhaͤltniß. Doch wer
weiß? Die geringen Denkmaͤhler bey ihren Grabſtellen deuten vielleicht auf ge-
wiſſe Leichen-Ceremonien! Der Tod macht wenigſtens uͤberall eine ſehr merk-
wuͤrdige Scene fuͤr den Menſchen aus; die Nachbleibenden ehren ihn gemeinig-
lich durch aͤuſſere Handlungen und Traurigkeit pflegt gern auszuſchweifen!
— Was fuͤr toͤdtliche Krankheiten es hier zu Lande geben, und wie groß die
Mortalitaͤt etwa ſeyn moͤge? iſt uns unbekannt. Das einzige, was wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0356" n="338"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/>
Septem-<lb/>
ber.</note>&#x017F;ie wild ko&#x0364;nnten herumlaufen la&#x017F;&#x017F;en. Letztere mo&#x0364;chten, wegen des troknen Him-<lb/>
mels&#x017F;trichs, vielleicht am be&#x017F;ten gedeihen und ein treflicher Artikel fu&#x0364;r &#x017F;ie werden.</p><lb/>
        <p>Die Einfalt, welche wir in ihrem ha&#x0364;uslichen Leben wahrnehmen, muß<lb/>
&#x017F;ich wahr&#x017F;cheinlicherwei&#x017F;e auch in ihrer politi&#x017F;chen Verfaßung offenbaren. <hi rendition="#fr"><persName>Tea-<lb/>
buma</persName></hi> wurde als Befehlshaber des Di&#x017F;tricts ange&#x017F;ehen, der un&#x017F;erm Ankerplatze<lb/>
gegen u&#x0364;ber lag; allein, bey der Arm&#x017F;eeligkeit des Landes konnte er wohl auf keine<lb/>
&#x017F;onderlichen Vorzu&#x0364;ge An&#x017F;pruch machen, und da noch kein Luxus bekannt i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
lebt er vermuthlich um nichts be&#x017F;&#x017F;er, als &#x017F;eine u&#x0364;brigen Landsleute. Auch die<lb/>
a&#x0364;ußern Ehrenbezeugungen, welche ihm bewie&#x017F;en werden, ko&#x0364;nnen nicht viel zu<lb/>
bedeuten haben; der einzige Um&#x017F;tand die&#x017F;er Art, woraus &#x017F;ich eine gewi&#x017F;&#x017F;e Unter-<lb/>
wu&#x0364;rfigkeit gegen ihn abnehmen lies, be&#x017F;tand darin, daß &#x017F;ie die Ge&#x017F;chenke, wel-<lb/>
che ihnen Herr <hi rendition="#fr"><persName>Pickersgill</persName></hi> bey der er&#x017F;ten Zu&#x017F;ammenkunft u&#x0364;berreichte, durch-<lb/>
gehends an Ihn ablieferten. Schon der Nahme den &#x017F;ie ihm beylegen, mag<lb/>
eine Art von Ehrenbezeugung ausmachen, wenig&#x017F;tens &#x017F;cheint das Wo&#x0364;rtchen<lb/><hi rendition="#fr">Tea</hi> ein Titul zu &#x017F;eyn welchen &#x017F;ie, ohne Unter&#x017F;chied, dem Namen jedes ange-<lb/>
&#x017F;ehenen Mannes vor&#x017F;etzen. Wenn z. E. <hi rendition="#fr"><persName>Hibai</persName></hi> dem Capitain eine rechte Ehre<lb/>
anthun wollte, nannte er ihn <hi rendition="#fr"><persName>Tea-Cook</persName></hi>. Die benachbarten Di&#x017F;tricte &#x017F;tehen<lb/>
nicht unter <hi rendition="#fr"><persName>Tea-buma</persName></hi>, &#x017F;ondern haben vermuthlich ihre eigenen Befehlshaber,<lb/>
oder vielmehr, jede Familie macht ein eignes Reich aus, das, nach patriarchali-<lb/>
&#x017F;cher Wei&#x017F;e, durch den Aelte&#x017F;ten regiert wird, welches in der Kindheit jeder <choice><sic>Ge&#x017F;ell-<lb/>
fchaft</sic><corr>Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft</corr></choice> von Men&#x017F;chen, immer der Fall &#x017F;eyn muß. Von ihrer Religion du&#x0364;rfen<lb/>
oder ko&#x0364;nnen wir vielmehr gar nichts &#x017F;agen; innerhalb acht Tagen lies &#x017F;ich davon<lb/>
wenig in Erfahrung bringen. Wir bemerkten nicht einmal eine Spur von ei-<lb/>
nem religio&#x0364;&#x017F;en Gebrauch, vielweniger eine fo&#x0364;rmliche Ceremonie oder andre<lb/>
Aeu&#x017F;&#x017F;erung des Aberglaubens. Vermuthlich &#x017F;teht die Einfalt ihrer Begriffe<lb/>
mit der Einfalt ihres ganzen Charakters in gleichem Verha&#x0364;ltniß. Doch wer<lb/>
weiß? Die geringen Denkma&#x0364;hler bey ihren Grab&#x017F;tellen deuten vielleicht auf ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Leichen-Ceremonien! Der Tod macht wenig&#x017F;tens u&#x0364;berall eine &#x017F;ehr merk-<lb/>
wu&#x0364;rdige Scene fu&#x0364;r den Men&#x017F;chen aus; die Nachbleibenden ehren ihn gemeinig-<lb/>
lich durch a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Handlungen und Traurigkeit pflegt gern auszu&#x017F;chweifen!<lb/>
&#x2014; Was fu&#x0364;r to&#x0364;dtliche Krankheiten es hier zu Lande geben, und wie groß die<lb/>
Mortalita&#x0364;t etwa &#x017F;eyn mo&#x0364;ge? i&#x017F;t uns unbekannt. Das einzige, was wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0356] Forſter’s Reiſe um die Welt ſie wild koͤnnten herumlaufen laſſen. Letztere moͤchten, wegen des troknen Him- melsſtrichs, vielleicht am beſten gedeihen und ein treflicher Artikel fuͤr ſie werden. 1774. Septem- ber. Die Einfalt, welche wir in ihrem haͤuslichen Leben wahrnehmen, muß ſich wahrſcheinlicherweiſe auch in ihrer politiſchen Verfaßung offenbaren. Tea- buma wurde als Befehlshaber des Diſtricts angeſehen, der unſerm Ankerplatze gegen uͤber lag; allein, bey der Armſeeligkeit des Landes konnte er wohl auf keine ſonderlichen Vorzuͤge Anſpruch machen, und da noch kein Luxus bekannt iſt, ſo lebt er vermuthlich um nichts beſſer, als ſeine uͤbrigen Landsleute. Auch die aͤußern Ehrenbezeugungen, welche ihm bewieſen werden, koͤnnen nicht viel zu bedeuten haben; der einzige Umſtand dieſer Art, woraus ſich eine gewiſſe Unter- wuͤrfigkeit gegen ihn abnehmen lies, beſtand darin, daß ſie die Geſchenke, wel- che ihnen Herr Pickersgill bey der erſten Zuſammenkunft uͤberreichte, durch- gehends an Ihn ablieferten. Schon der Nahme den ſie ihm beylegen, mag eine Art von Ehrenbezeugung ausmachen, wenigſtens ſcheint das Woͤrtchen Tea ein Titul zu ſeyn welchen ſie, ohne Unterſchied, dem Namen jedes ange- ſehenen Mannes vorſetzen. Wenn z. E. Hibai dem Capitain eine rechte Ehre anthun wollte, nannte er ihn Tea-Cook. Die benachbarten Diſtricte ſtehen nicht unter Tea-buma, ſondern haben vermuthlich ihre eigenen Befehlshaber, oder vielmehr, jede Familie macht ein eignes Reich aus, das, nach patriarchali- ſcher Weiſe, durch den Aelteſten regiert wird, welches in der Kindheit jeder Geſell- ſchaft von Menſchen, immer der Fall ſeyn muß. Von ihrer Religion duͤrfen oder koͤnnen wir vielmehr gar nichts ſagen; innerhalb acht Tagen lies ſich davon wenig in Erfahrung bringen. Wir bemerkten nicht einmal eine Spur von ei- nem religioͤſen Gebrauch, vielweniger eine foͤrmliche Ceremonie oder andre Aeuſſerung des Aberglaubens. Vermuthlich ſteht die Einfalt ihrer Begriffe mit der Einfalt ihres ganzen Charakters in gleichem Verhaͤltniß. Doch wer weiß? Die geringen Denkmaͤhler bey ihren Grabſtellen deuten vielleicht auf ge- wiſſe Leichen-Ceremonien! Der Tod macht wenigſtens uͤberall eine ſehr merk- wuͤrdige Scene fuͤr den Menſchen aus; die Nachbleibenden ehren ihn gemeinig- lich durch aͤuſſere Handlungen und Traurigkeit pflegt gern auszuſchweifen! — Was fuͤr toͤdtliche Krankheiten es hier zu Lande geben, und wie groß die Mortalitaͤt etwa ſeyn moͤge? iſt uns unbekannt. Das einzige, was wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/356
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/356>, abgerufen am 20.05.2024.