Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1774.
May.
Grundgesetz derselben zuwider handeln und gegen eine so tief gepflanzte Em-
pfindung sich habe verhärten können? Doch -- die leidige Gewohnheit


That monster custom, who all sense doth eat
Of habits evil

Shakespeare.

entkräftet nach und nach alles Gefühl und übertäubt zuletzt gar die Vorwürfe
des Gewissens. -- So bald wir ohnläugbare Gewißheit davon hatten, daß eine
so widernatürliche Barbarey unter den Errioys würklich ausgeübet werde, ver-
wiesen wir es unserm jungen Freunde Maheine, daß er sichs zur Ehre rechne,
einer so verabscheuungswürdigen Gesellschaft anzugehören. Wir suchten ihm
die Grausamkeit dieses Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen kei-
nen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir
nur in seiner Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu überzeu-
gen, daß es Unrecht sey, und er versprach, seine Kinder nicht umzubrin-
gen, ja sich von der Gesellschaft überhaupt gänzlich loszumachen, sobald er Va-
ter seyn würde. Es gereichte uns einigermaßen zum Trost bey dieser Ge-
legenheit von ihm zu vernehmen, daß die Errioys selten Kinder bekämen. Sie
müssen also ihre Weiber und Beyschläferinnen wohl aus der Classe der gemeinsten
lüderlichen Dirnen hernehmen, und, sowohl aus diesem Grunde, als wegen ih-
rer ausgelaßnen Wollust, selten in den Fall gerathen, ein unglückliches Kind
aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zurückkunft nach England Gelegenheit, mich
über die Errioys mit O-Mai zu besprechen. Ich stellte ihm vor, wie sehr
es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Gesellschaft von Kindermör-
dern unter sich zu dulden. Allein, er versicherte mich, daß der größere Theil
der Nation keinesweges Antheil an dieser Grausamkeit nähme. Die Kinder
müßten zwar, den einmal eingeführten Gesetzen nach, ums Leben gebracht wer-
den, und zur Entschädigung für diesen bittern Zwang, habe man den Mitgliedern
dieser Gesellschaft, besondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zugestanden:
Demohnerachtet gäben die Mütter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder.
Die Männer und andre Errioys überredeten sie daher, die Kinder wegzugeben;
wenn aber Bitten nicht helfen wollten, so würde zuweilen Gewalt gebraucht.

Vor

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Grundgeſetz derſelben zuwider handeln und gegen eine ſo tief gepflanzte Em-
pfindung ſich habe verhaͤrten koͤnnen? Doch — die leidige Gewohnheit


That monſter cuſtom, who all ſenſe doth eat
Of habits evil

Shakespeare.

entkraͤftet nach und nach alles Gefuͤhl und uͤbertaͤubt zuletzt gar die Vorwuͤrfe
des Gewiſſens. — So bald wir ohnlaͤugbare Gewißheit davon hatten, daß eine
ſo widernatuͤrliche Barbarey unter den Errioys wuͤrklich ausgeuͤbet werde, ver-
wieſen wir es unſerm jungen Freunde Maheine, daß er ſichs zur Ehre rechne,
einer ſo verabſcheuungswuͤrdigen Geſellſchaft anzugehoͤren. Wir ſuchten ihm
die Grauſamkeit dieſes Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen kei-
nen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir
nur in ſeiner Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu uͤberzeu-
gen, daß es Unrecht ſey, und er verſprach, ſeine Kinder nicht umzubrin-
gen, ja ſich von der Geſellſchaft uͤberhaupt gaͤnzlich loszumachen, ſobald er Va-
ter ſeyn wuͤrde. Es gereichte uns einigermaßen zum Troſt bey dieſer Ge-
legenheit von ihm zu vernehmen, daß die Errioys ſelten Kinder bekaͤmen. Sie
muͤſſen alſo ihre Weiber und Beyſchlaͤferinnen wohl aus der Claſſe der gemeinſten
luͤderlichen Dirnen hernehmen, und, ſowohl aus dieſem Grunde, als wegen ih-
rer ausgelaßnen Wolluſt, ſelten in den Fall gerathen, ein ungluͤckliches Kind
aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zuruͤckkunft nach England Gelegenheit, mich
uͤber die Errioys mit O-Mai zu beſprechen. Ich ſtellte ihm vor, wie ſehr
es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Geſellſchaft von Kindermoͤr-
dern unter ſich zu dulden. Allein, er verſicherte mich, daß der groͤßere Theil
der Nation keinesweges Antheil an dieſer Grauſamkeit naͤhme. Die Kinder
muͤßten zwar, den einmal eingefuͤhrten Geſetzen nach, ums Leben gebracht wer-
den, und zur Entſchaͤdigung fuͤr dieſen bittern Zwang, habe man den Mitgliedern
dieſer Geſellſchaft, beſondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zugeſtanden:
Demohnerachtet gaͤben die Muͤtter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder.
Die Maͤnner und andre Errioys uͤberredeten ſie daher, die Kinder wegzugeben;
wenn aber Bitten nicht helfen wollten, ſo wuͤrde zuweilen Gewalt gebraucht.

Vor
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/>
May.</note>Grundge&#x017F;etz der&#x017F;elben zuwider handeln und gegen eine &#x017F;o tief gepflanzte Em-<lb/>
pfindung &#x017F;ich habe verha&#x0364;rten ko&#x0364;nnen? Doch &#x2014; die leidige Gewohnheit</p><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#i"> <hi rendition="#aq">That mon&#x017F;ter cu&#x017F;tom, who all &#x017F;en&#x017F;e doth eat<lb/>
Of habits evil</hi> </hi> </hi> </quote><lb/>
          <bibl> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#k"> <hi rendition="#aq"><persName>Shakespeare</persName>.</hi> </hi> </hi> </hi> </bibl>
        </cit><lb/>
        <p>entkra&#x0364;ftet nach und nach alles Gefu&#x0364;hl und u&#x0364;berta&#x0364;ubt zuletzt gar die Vorwu&#x0364;rfe<lb/>
des Gewi&#x017F;&#x017F;ens. &#x2014; So bald wir ohnla&#x0364;ugbare Gewißheit davon hatten, daß eine<lb/>
&#x017F;o widernatu&#x0364;rliche Barbarey unter den <hi rendition="#fr">Errioys</hi> wu&#x0364;rklich ausgeu&#x0364;bet werde, ver-<lb/>
wie&#x017F;en wir es un&#x017F;erm jungen Freunde <hi rendition="#fr"><persName>Maheine</persName></hi>, daß er &#x017F;ichs zur Ehre rechne,<lb/>
einer &#x017F;o verab&#x017F;cheuungswu&#x0364;rdigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft anzugeho&#x0364;ren. Wir &#x017F;uchten ihm<lb/>
die Grau&#x017F;amkeit die&#x017F;es Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen kei-<lb/>
nen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir<lb/>
nur in &#x017F;einer Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu u&#x0364;berzeu-<lb/>
gen, daß es Unrecht &#x017F;ey, und er ver&#x017F;prach, &#x017F;eine Kinder nicht umzubrin-<lb/>
gen, ja &#x017F;ich von der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft u&#x0364;berhaupt ga&#x0364;nzlich loszumachen, &#x017F;obald er Va-<lb/>
ter &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Es gereichte uns einigermaßen zum Tro&#x017F;t bey die&#x017F;er Ge-<lb/>
legenheit von ihm zu vernehmen, daß die <hi rendition="#fr">Errioys</hi> &#x017F;elten Kinder beka&#x0364;men. Sie<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en al&#x017F;o ihre Weiber und Bey&#x017F;chla&#x0364;ferinnen wohl aus der Cla&#x017F;&#x017F;e der gemein&#x017F;ten<lb/>
lu&#x0364;derlichen Dirnen hernehmen, und, &#x017F;owohl aus die&#x017F;em Grunde, als wegen ih-<lb/>
rer ausgelaßnen Wollu&#x017F;t, &#x017F;elten in den Fall gerathen, ein unglu&#x0364;ckliches Kind<lb/>
aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zuru&#x0364;ckkunft nach <placeName>England</placeName> Gelegenheit, mich<lb/>
u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">Errioys</hi> mit <hi rendition="#fr"><persName>O-Mai</persName></hi> zu be&#x017F;prechen. Ich &#x017F;tellte ihm vor, wie &#x017F;ehr<lb/>
es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Kindermo&#x0364;r-<lb/>
dern unter &#x017F;ich zu dulden. Allein, er ver&#x017F;icherte mich, daß der gro&#x0364;ßere Theil<lb/>
der Nation keinesweges Antheil an die&#x017F;er Grau&#x017F;amkeit na&#x0364;hme. Die Kinder<lb/>
mu&#x0364;ßten zwar, den einmal eingefu&#x0364;hrten Ge&#x017F;etzen nach, ums Leben gebracht wer-<lb/>
den, und zur Ent&#x017F;cha&#x0364;digung fu&#x0364;r die&#x017F;en bittern Zwang, habe man den Mitgliedern<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, be&#x017F;ondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zuge&#x017F;tanden:<lb/>
Demohnerachtet ga&#x0364;ben die Mu&#x0364;tter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder.<lb/>
Die Ma&#x0364;nner und andre <hi rendition="#fr">Errioys</hi> u&#x0364;berredeten &#x017F;ie daher, die Kinder wegzugeben;<lb/>
wenn aber Bitten nicht helfen wollten, &#x017F;o wu&#x0364;rde zuweilen Gewalt gebraucht.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Vor</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0116] Forſter’s Reiſe um die Welt Grundgeſetz derſelben zuwider handeln und gegen eine ſo tief gepflanzte Em- pfindung ſich habe verhaͤrten koͤnnen? Doch — die leidige Gewohnheit 1774. May. That monſter cuſtom, who all ſenſe doth eat Of habits evil Shakespeare. entkraͤftet nach und nach alles Gefuͤhl und uͤbertaͤubt zuletzt gar die Vorwuͤrfe des Gewiſſens. — So bald wir ohnlaͤugbare Gewißheit davon hatten, daß eine ſo widernatuͤrliche Barbarey unter den Errioys wuͤrklich ausgeuͤbet werde, ver- wieſen wir es unſerm jungen Freunde Maheine, daß er ſichs zur Ehre rechne, einer ſo verabſcheuungswuͤrdigen Geſellſchaft anzugehoͤren. Wir ſuchten ihm die Grauſamkeit dieſes Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen kei- nen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir nur in ſeiner Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu uͤberzeu- gen, daß es Unrecht ſey, und er verſprach, ſeine Kinder nicht umzubrin- gen, ja ſich von der Geſellſchaft uͤberhaupt gaͤnzlich loszumachen, ſobald er Va- ter ſeyn wuͤrde. Es gereichte uns einigermaßen zum Troſt bey dieſer Ge- legenheit von ihm zu vernehmen, daß die Errioys ſelten Kinder bekaͤmen. Sie muͤſſen alſo ihre Weiber und Beyſchlaͤferinnen wohl aus der Claſſe der gemeinſten luͤderlichen Dirnen hernehmen, und, ſowohl aus dieſem Grunde, als wegen ih- rer ausgelaßnen Wolluſt, ſelten in den Fall gerathen, ein ungluͤckliches Kind aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zuruͤckkunft nach England Gelegenheit, mich uͤber die Errioys mit O-Mai zu beſprechen. Ich ſtellte ihm vor, wie ſehr es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Geſellſchaft von Kindermoͤr- dern unter ſich zu dulden. Allein, er verſicherte mich, daß der groͤßere Theil der Nation keinesweges Antheil an dieſer Grauſamkeit naͤhme. Die Kinder muͤßten zwar, den einmal eingefuͤhrten Geſetzen nach, ums Leben gebracht wer- den, und zur Entſchaͤdigung fuͤr dieſen bittern Zwang, habe man den Mitgliedern dieſer Geſellſchaft, beſondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zugeſtanden: Demohnerachtet gaͤben die Muͤtter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder. Die Maͤnner und andre Errioys uͤberredeten ſie daher, die Kinder wegzugeben; wenn aber Bitten nicht helfen wollten, ſo wuͤrde zuweilen Gewalt gebraucht. Vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/116
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/116>, abgerufen am 25.11.2024.