Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1774.
März.
sind volcanisch. Und eben so konnte sie auch durch neuere volcanische Ausbrüche
wieder zu Grunde gerichtet werden. Alle Bäume und Pflanzen, alle zahmen
Thiere, ja ein großer Theil ihrer Bewohner, können in dieser fürchterlichen Re-
volution vernichtet worden seyn: und auf diese Art mußten Hunger und Elend,
leider! nur allzu mächtige Verfolger derer werden, welche dem Erdbrande ent-
giengen. Die kleinen geschnitzten Menschen-Figuren, deren wir oben er-
wähnt haben, und die Hand einer Tänzerinn, welche Maheine fand, können
wir bis jetzt noch, eben so wenig erklären: denn sie sind aus einer Art Holz ge-
macht, welches heutiges Tages nicht mehr auf der Insel anzutreffen ist. Alles,
was uns auch hiebey einfallen konnte, war dies: daß sie in weit frühern Zeiten
verfertigt worden, und bey der allgemeinen Katastrophe, die mit diesem Lande
vorgegangen zu seyn scheint, entweder durch einen bloßen Zufall, oder durch
eine besondre Sorgfalt so lange sey erhalten worden. Alle Weibsleute, welche
wir in den verschiednen Theilen der Insel gesehen haben, machten zusammen nicht
dreyßig aus, und doch hatten unsre Leute die ganze Insel, fast von einem Ende
bis zum andern, durchstreift, und nicht die geringste Wahrscheinlichkeit gefun-
den, daß sich die übrigen etwa in einem oder dem andern entlegnen District der
Insel versteckt hätten. Waren ihrer würklich nicht mehr als dreyßig oder vier-
zig, gegen sechs oder siebenhundert Männer, so muß die ganze Nation bald
aussterben, oder alles, was man bisher über die Mehrheit der Männer (Po-
lyandrie
) angenommen hat, muß unrichtig seyn. Die mehresten Frauensper-
sonen, welche uns zu Gesicht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen,
daß sie an einen einzigen Mann gewöhnt wären; sondern sie schienen vielmehr
ganz des Geistes der Messalina oder der Kleopatra zu seyn: Bey dem allen ist
doch dies unglückliche Verhältniß zwischen beyden Geschlechtern ein so sonderba-
res Phänomen, daß wir es noch nicht für so ganz ausgemacht und richtig halten
können, und daß wir lieber jedes Argument, so man uns dagegen beybrin-
gen mögte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch so großen Schwürigkei-
ten verknüpfet wäre. Zwar hat keine einzige unsrer Partheyen irgendwo ein
entferntes oder abgesondertes Thal gefunden, in welchen sich vielleicht die übri-
gen Weiber, während unsers Hierseyns verborgen haben könnten; allein wir
müssen den Leser an die Höhlen erinnern, deren wir oben erwähnt haben, und

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
ſind volcaniſch. Und eben ſo konnte ſie auch durch neuere volcaniſche Ausbruͤche
wieder zu Grunde gerichtet werden. Alle Baͤume und Pflanzen, alle zahmen
Thiere, ja ein großer Theil ihrer Bewohner, koͤnnen in dieſer fuͤrchterlichen Re-
volution vernichtet worden ſeyn: und auf dieſe Art mußten Hunger und Elend,
leider! nur allzu maͤchtige Verfolger derer werden, welche dem Erdbrande ent-
giengen. Die kleinen geſchnitzten Menſchen-Figuren, deren wir oben er-
waͤhnt haben, und die Hand einer Taͤnzerinn, welche Maheine fand, koͤnnen
wir bis jetzt noch, eben ſo wenig erklaͤren: denn ſie ſind aus einer Art Holz ge-
macht, welches heutiges Tages nicht mehr auf der Inſel anzutreffen iſt. Alles,
was uns auch hiebey einfallen konnte, war dies: daß ſie in weit fruͤhern Zeiten
verfertigt worden, und bey der allgemeinen Kataſtrophe, die mit dieſem Lande
vorgegangen zu ſeyn ſcheint, entweder durch einen bloßen Zufall, oder durch
eine beſondre Sorgfalt ſo lange ſey erhalten worden. Alle Weibsleute, welche
wir in den verſchiednen Theilen der Inſel geſehen haben, machten zuſammen nicht
dreyßig aus, und doch hatten unſre Leute die ganze Inſel, faſt von einem Ende
bis zum andern, durchſtreift, und nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit gefun-
den, daß ſich die uͤbrigen etwa in einem oder dem andern entlegnen Diſtrict der
Inſel verſteckt haͤtten. Waren ihrer wuͤrklich nicht mehr als dreyßig oder vier-
zig, gegen ſechs oder ſiebenhundert Maͤnner, ſo muß die ganze Nation bald
ausſterben, oder alles, was man bisher uͤber die Mehrheit der Maͤnner (Po-
lyandrie
) angenommen hat, muß unrichtig ſeyn. Die mehreſten Frauensper-
ſonen, welche uns zu Geſicht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen,
daß ſie an einen einzigen Mann gewoͤhnt waͤren; ſondern ſie ſchienen vielmehr
ganz des Geiſtes der Meſſalina oder der Kleopatra zu ſeyn: Bey dem allen iſt
doch dies ungluͤckliche Verhaͤltniß zwiſchen beyden Geſchlechtern ein ſo ſonderba-
res Phaͤnomen, daß wir es noch nicht fuͤr ſo ganz ausgemacht und richtig halten
koͤnnen, und daß wir lieber jedes Argument, ſo man uns dagegen beybrin-
gen moͤgte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch ſo großen Schwuͤrigkei-
ten verknuͤpfet waͤre. Zwar hat keine einzige unſrer Partheyen irgendwo ein
entferntes oder abgeſondertes Thal gefunden, in welchen ſich vielleicht die uͤbri-
gen Weiber, waͤhrend unſers Hierſeyns verborgen haben koͤnnten; allein wir
muͤſſen den Leſer an die Hoͤhlen erinnern, deren wir oben erwaͤhnt haben, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0505" n="446"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/>
Ma&#x0364;rz.</note>&#x017F;ind volcani&#x017F;ch. Und eben &#x017F;o konnte &#x017F;ie auch durch neuere volcani&#x017F;che Ausbru&#x0364;che<lb/>
wieder zu Grunde gerichtet werden. Alle Ba&#x0364;ume und Pflanzen, alle zahmen<lb/>
Thiere, ja ein großer Theil ihrer Bewohner, ko&#x0364;nnen in die&#x017F;er fu&#x0364;rchterlichen Re-<lb/>
volution vernichtet worden &#x017F;eyn: und auf die&#x017F;e Art mußten Hunger und Elend,<lb/>
leider! nur allzu ma&#x0364;chtige Verfolger derer werden, welche dem Erdbrande ent-<lb/>
giengen. Die kleinen ge&#x017F;chnitzten Men&#x017F;chen-Figuren, deren wir oben er-<lb/>
wa&#x0364;hnt haben, und die Hand einer Ta&#x0364;nzerinn, welche <hi rendition="#fr"><persName>Maheine</persName></hi> fand, ko&#x0364;nnen<lb/>
wir bis jetzt noch, eben &#x017F;o wenig erkla&#x0364;ren: denn &#x017F;ie &#x017F;ind aus einer Art Holz ge-<lb/>
macht, welches heutiges Tages nicht mehr auf der In&#x017F;el anzutreffen i&#x017F;t. Alles,<lb/>
was uns auch hiebey einfallen konnte, war dies: daß &#x017F;ie in weit fru&#x0364;hern Zeiten<lb/>
verfertigt worden, und bey der allgemeinen Kata&#x017F;trophe, die mit die&#x017F;em Lande<lb/>
vorgegangen zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint, entweder durch einen bloßen Zufall, oder durch<lb/>
eine be&#x017F;ondre Sorgfalt &#x017F;o lange &#x017F;ey erhalten worden. Alle Weibsleute, welche<lb/>
wir in den ver&#x017F;chiednen Theilen der In&#x017F;el ge&#x017F;ehen haben, machten zu&#x017F;ammen nicht<lb/>
dreyßig aus, und doch hatten un&#x017F;re Leute die ganze In&#x017F;el, fa&#x017F;t von einem Ende<lb/>
bis zum andern, durch&#x017F;treift, und nicht die gering&#x017F;te Wahr&#x017F;cheinlichkeit gefun-<lb/>
den, daß &#x017F;ich die u&#x0364;brigen etwa in einem oder dem andern entlegnen Di&#x017F;trict der<lb/>
In&#x017F;el ver&#x017F;teckt ha&#x0364;tten. Waren ihrer wu&#x0364;rklich nicht mehr als dreyßig oder vier-<lb/>
zig, gegen &#x017F;echs oder &#x017F;iebenhundert Ma&#x0364;nner, &#x017F;o muß die ganze Nation bald<lb/>
aus&#x017F;terben, oder alles, was man bisher u&#x0364;ber die Mehrheit der Ma&#x0364;nner (<hi rendition="#fr">Po-<lb/>
lyandrie</hi>) angenommen hat, muß unrichtig &#x017F;eyn. Die mehre&#x017F;ten Frauensper-<lb/>
&#x017F;onen, welche uns zu Ge&#x017F;icht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen,<lb/>
daß &#x017F;ie an einen einzigen Mann gewo&#x0364;hnt wa&#x0364;ren; &#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;chienen vielmehr<lb/>
ganz des Gei&#x017F;tes der <persName>Me&#x017F;&#x017F;alina</persName> oder der <persName>Kleopatra</persName> zu &#x017F;eyn: Bey dem allen i&#x017F;t<lb/>
doch dies unglu&#x0364;ckliche Verha&#x0364;ltniß zwi&#x017F;chen beyden Ge&#x017F;chlechtern ein &#x017F;o &#x017F;onderba-<lb/>
res Pha&#x0364;nomen, daß wir es noch nicht fu&#x0364;r &#x017F;o ganz ausgemacht und richtig halten<lb/>
ko&#x0364;nnen, und daß wir lieber jedes Argument, &#x017F;o man uns dagegen beybrin-<lb/>
gen mo&#x0364;gte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch &#x017F;o großen Schwu&#x0364;rigkei-<lb/>
ten verknu&#x0364;pfet wa&#x0364;re. Zwar hat keine einzige un&#x017F;rer Partheyen irgendwo ein<lb/>
entferntes oder abge&#x017F;ondertes Thal gefunden, in welchen &#x017F;ich vielleicht die u&#x0364;bri-<lb/>
gen Weiber, wa&#x0364;hrend un&#x017F;ers Hier&#x017F;eyns verborgen haben ko&#x0364;nnten; allein wir<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en den Le&#x017F;er an die Ho&#x0364;hlen erinnern, deren wir oben erwa&#x0364;hnt haben, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0505] Forſter’s Reiſe um die Welt ſind volcaniſch. Und eben ſo konnte ſie auch durch neuere volcaniſche Ausbruͤche wieder zu Grunde gerichtet werden. Alle Baͤume und Pflanzen, alle zahmen Thiere, ja ein großer Theil ihrer Bewohner, koͤnnen in dieſer fuͤrchterlichen Re- volution vernichtet worden ſeyn: und auf dieſe Art mußten Hunger und Elend, leider! nur allzu maͤchtige Verfolger derer werden, welche dem Erdbrande ent- giengen. Die kleinen geſchnitzten Menſchen-Figuren, deren wir oben er- waͤhnt haben, und die Hand einer Taͤnzerinn, welche Maheine fand, koͤnnen wir bis jetzt noch, eben ſo wenig erklaͤren: denn ſie ſind aus einer Art Holz ge- macht, welches heutiges Tages nicht mehr auf der Inſel anzutreffen iſt. Alles, was uns auch hiebey einfallen konnte, war dies: daß ſie in weit fruͤhern Zeiten verfertigt worden, und bey der allgemeinen Kataſtrophe, die mit dieſem Lande vorgegangen zu ſeyn ſcheint, entweder durch einen bloßen Zufall, oder durch eine beſondre Sorgfalt ſo lange ſey erhalten worden. Alle Weibsleute, welche wir in den verſchiednen Theilen der Inſel geſehen haben, machten zuſammen nicht dreyßig aus, und doch hatten unſre Leute die ganze Inſel, faſt von einem Ende bis zum andern, durchſtreift, und nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit gefun- den, daß ſich die uͤbrigen etwa in einem oder dem andern entlegnen Diſtrict der Inſel verſteckt haͤtten. Waren ihrer wuͤrklich nicht mehr als dreyßig oder vier- zig, gegen ſechs oder ſiebenhundert Maͤnner, ſo muß die ganze Nation bald ausſterben, oder alles, was man bisher uͤber die Mehrheit der Maͤnner (Po- lyandrie) angenommen hat, muß unrichtig ſeyn. Die mehreſten Frauensper- ſonen, welche uns zu Geſicht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen, daß ſie an einen einzigen Mann gewoͤhnt waͤren; ſondern ſie ſchienen vielmehr ganz des Geiſtes der Meſſalina oder der Kleopatra zu ſeyn: Bey dem allen iſt doch dies ungluͤckliche Verhaͤltniß zwiſchen beyden Geſchlechtern ein ſo ſonderba- res Phaͤnomen, daß wir es noch nicht fuͤr ſo ganz ausgemacht und richtig halten koͤnnen, und daß wir lieber jedes Argument, ſo man uns dagegen beybrin- gen moͤgte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch ſo großen Schwuͤrigkei- ten verknuͤpfet waͤre. Zwar hat keine einzige unſrer Partheyen irgendwo ein entferntes oder abgeſondertes Thal gefunden, in welchen ſich vielleicht die uͤbri- gen Weiber, waͤhrend unſers Hierſeyns verborgen haben koͤnnten; allein wir muͤſſen den Leſer an die Hoͤhlen erinnern, deren wir oben erwaͤhnt haben, und 1774. Maͤrz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/505
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/505>, abgerufen am 23.11.2024.