1774. Januar.Unterofficier (Mate) zum Capitain kam und bitterlich klagte, daß er so wenig als seine Leute den Hunger stillen könnten; wobey er zugleich ein Stück von dem verfaulten und stinkenden Zwieback vorzeigte. Auf diese Klage bekamen die Leute endlich ihre volle Portion. Der Capitain besserte sich, so wie wir südlich giengen; die rhevmatischen Kranken aber blieben alle so schlecht als zuvor.
Am 20sten dieses, trafen wir auf diesen Strich unterm 62sten Grade 30 Mi- nuten südlicher Breite die ersten Eis-Inseln an, doch nahm ihre Anzahl nicht zu, als wir weiter nach Süden kamen. Wir giengen also immer weiter und gelangten am 26sten abermals innerhalb des antarctischen Zirkels, wo wir nur einige wenige Eis- stücken sahen. An eben diesem Tage glaubten wir in der Ferne, Berge zu entde- cken; nach Verlauf einiger Stunden aber fanden wir, daß es Wolken waren, die nach und nach verschwanden. Am folgenden Tage um Mittag waren wir unter 67 Grad 52 Minuten südlicher Breite; folglich dem Pole näher als wir je gewesen, und trafen gleichwohl noch kein Eis, das uns weiter zu gehen ge- hindert hätte. Die blauen und kleinen Sturmvögel, imgleichen die Pintade begleiteten uns noch immer; die Albatrosse aber hatten uns seit einiger Zeit verlassen. Wir waren nun abermals ohne Nacht und hatten Sonnenschein um Mitternacht.
Am 28sten Nachmittags kamen wir neben einen großen Bette gebroch- nen Eises vorbey. Die Boote wurden also ausgesetzt, und eine große Menge Eisschollen aufgedieht, um unsern Vorrath von Trinkwasser damit zu ergänzen. Um Mitternacht war das Thermometer nicht tiefer als 34 Grad, und am fol- genden Morgen hatten wir den angenehmsten Sonnenschein, den wir je in die- sen kalten Erdstrich angetroffen. Mein Vater wagte sich also nach vierwö- chentlicher Bettlägerigkeit zum erstenmale aufs Verdeck.
Wir machten uns jetzt Hoffnung eben so weit gegen Süden zu kommen, als andre Seefahrer gegen den Nordpol gewesen; am 30sten aber um 7 Uhr Morgens entdeckten wir ein festes Eisfeld von unabsehlicher Größe, das von Ost zu West vor uns lag, und verschiedne Fus über die See empor zu ragen schien. Auf der Fläche desselben lag, so weit das Auge nur reichen wollte, eine Menge ho- her Eismassen unregelmäßig aufgethürmt, und vor demselben her trieb eine Bank von Brucheis in der See herum. Unsre Breite war damals 71 Grad
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Januar.Unterofficier (Mate) zum Capitain kam und bitterlich klagte, daß er ſo wenig als ſeine Leute den Hunger ſtillen koͤnnten; wobey er zugleich ein Stuͤck von dem verfaulten und ſtinkenden Zwieback vorzeigte. Auf dieſe Klage bekamen die Leute endlich ihre volle Portion. Der Capitain beſſerte ſich, ſo wie wir ſuͤdlich giengen; die rhevmatiſchen Kranken aber blieben alle ſo ſchlecht als zuvor.
Am 20ſten dieſes, trafen wir auf dieſen Strich unterm 62ſten Grade 30 Mi- nuten ſuͤdlicher Breite die erſten Eis-Inſeln an, doch nahm ihre Anzahl nicht zu, als wir weiter nach Suͤden kamen. Wir giengen alſo immer weiter und gelangten am 26ſten abermals innerhalb des antarctiſchen Zirkels, wo wir nur einige wenige Eis- ſtuͤcken ſahen. An eben dieſem Tage glaubten wir in der Ferne, Berge zu entde- cken; nach Verlauf einiger Stunden aber fanden wir, daß es Wolken waren, die nach und nach verſchwanden. Am folgenden Tage um Mittag waren wir unter 67 Grad 52 Minuten ſuͤdlicher Breite; folglich dem Pole naͤher als wir je geweſen, und trafen gleichwohl noch kein Eis, das uns weiter zu gehen ge- hindert haͤtte. Die blauen und kleinen Sturmvoͤgel, imgleichen die Pintade begleiteten uns noch immer; die Albatroſſe aber hatten uns ſeit einiger Zeit verlaſſen. Wir waren nun abermals ohne Nacht und hatten Sonnenſchein um Mitternacht.
Am 28ſten Nachmittags kamen wir neben einen großen Bette gebroch- nen Eiſes vorbey. Die Boote wurden alſo ausgeſetzt, und eine große Menge Eisſchollen aufgedieht, um unſern Vorrath von Trinkwaſſer damit zu ergaͤnzen. Um Mitternacht war das Thermometer nicht tiefer als 34 Grad, und am fol- genden Morgen hatten wir den angenehmſten Sonnenſchein, den wir je in die- ſen kalten Erdſtrich angetroffen. Mein Vater wagte ſich alſo nach vierwoͤ- chentlicher Bettlaͤgerigkeit zum erſtenmale aufs Verdeck.
Wir machten uns jetzt Hoffnung eben ſo weit gegen Suͤden zu kommen, als andre Seefahrer gegen den Nordpol geweſen; am 30ſten aber um 7 Uhr Morgens entdeckten wir ein feſtes Eisfeld von unabſehlicher Groͤße, das von Oſt zu Weſt vor uns lag, und verſchiedne Fus uͤber die See empor zu ragen ſchien. Auf der Flaͤche deſſelben lag, ſo weit das Auge nur reichen wollte, eine Menge ho- her Eismaſſen unregelmaͤßig aufgethuͤrmt, und vor demſelben her trieb eine Bank von Brucheis in der See herum. Unſre Breite war damals 71 Grad
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Unterofficier (Mate) zum Capitain kam und bitterlich klagte, daß er ſo wenig
als ſeine Leute den Hunger ſtillen koͤnnten; wobey er zugleich ein Stuͤck von dem
verfaulten und ſtinkenden Zwieback vorzeigte. Auf dieſe Klage bekamen die Leute
endlich ihre volle Portion. Der Capitain beſſerte ſich, ſo wie wir ſuͤdlich giengen;
die rhevmatiſchen Kranken aber blieben alle ſo ſchlecht als zuvor.
1774.
Januar.
Am 20ſten dieſes, trafen wir auf dieſen Strich unterm 62ſten Grade 30 Mi-
nuten ſuͤdlicher Breite die erſten Eis-Inſeln an, doch nahm ihre Anzahl nicht zu, als
wir weiter nach Suͤden kamen. Wir giengen alſo immer weiter und gelangten am
26ſten abermals innerhalb des antarctiſchen Zirkels, wo wir nur einige wenige Eis-
ſtuͤcken ſahen. An eben dieſem Tage glaubten wir in der Ferne, Berge zu entde-
cken; nach Verlauf einiger Stunden aber fanden wir, daß es Wolken waren,
die nach und nach verſchwanden. Am folgenden Tage um Mittag waren wir
unter 67 Grad 52 Minuten ſuͤdlicher Breite; folglich dem Pole naͤher als wir
je geweſen, und trafen gleichwohl noch kein Eis, das uns weiter zu gehen ge-
hindert haͤtte. Die blauen und kleinen Sturmvoͤgel, imgleichen die Pintade
begleiteten uns noch immer; die Albatroſſe aber hatten uns ſeit einiger Zeit
verlaſſen. Wir waren nun abermals ohne Nacht und hatten Sonnenſchein
um Mitternacht.
Am 28ſten Nachmittags kamen wir neben einen großen Bette gebroch-
nen Eiſes vorbey. Die Boote wurden alſo ausgeſetzt, und eine große Menge
Eisſchollen aufgedieht, um unſern Vorrath von Trinkwaſſer damit zu ergaͤnzen.
Um Mitternacht war das Thermometer nicht tiefer als 34 Grad, und am fol-
genden Morgen hatten wir den angenehmſten Sonnenſchein, den wir je in die-
ſen kalten Erdſtrich angetroffen. Mein Vater wagte ſich alſo nach vierwoͤ-
chentlicher Bettlaͤgerigkeit zum erſtenmale aufs Verdeck.
Wir machten uns jetzt Hoffnung eben ſo weit gegen Suͤden zu kommen,
als andre Seefahrer gegen den Nordpol geweſen; am 30ſten aber um 7 Uhr
Morgens entdeckten wir ein feſtes Eisfeld von unabſehlicher Groͤße, das von Oſt
zu Weſt vor uns lag, und verſchiedne Fus uͤber die See empor zu ragen ſchien.
Auf der Flaͤche deſſelben lag, ſo weit das Auge nur reichen wollte, eine Menge ho-
her Eismaſſen unregelmaͤßig aufgethuͤrmt, und vor demſelben her trieb eine
Bank von Brucheis in der See herum. Unſre Breite war damals 71 Grad
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/469>, abgerufen am 26.06.2024.
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