Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1773.
October.
rere, ganz unschuldige Leute verwundet, und bey alledem war das Volk so gut-
herzig, daß sie weder Ufer noch Handelsplatz verließen, auch wegen dieses über-
eilten Betragens nicht das geringste Mistrauen schöpften; sondern vielmehr sich
die Kugeln getrost um die Ohren pfeifen ließen. Wenige Stunden nachher
machte es ein andrer am Bord unsers Schiffes eben so; er schlich sich in die
Cajüte des Piloten und entwandte daselbst verschiedne mathematische Bücher,
einen Degen, ein Lineal und andre Kleinigkeiten, wovon er in seinem Leben kei-
nen Gebrauch machen konnte. Indessen ward die Sache entdeckt, als er eben
in einem Canot entwischen wollte, man schickte ihm daher ein Boot nach, um
das gestohlne wieder habhaft zu werden. Sobald er sahe, worauf es angelegt
sey, warf er alles über Bord; man ließ also die Sachen durch ein andres Boot
auffischen, inmittelst das erste den Dieb zu verfolgen fortfuhr. Um ihn einzuho-
len, schossen unsre Leute eine Flintenkugel durch das Hintertheil seines Canots,
worauf er, nebst verschiednen andern ins Wasser sprang. Ob man nun gleich nicht
aufhörte ihm nachzusetzen, so schützte ihn doch seine bewundernswürdige Hurtig-
keit noch eine ganze Zeit lang; er tauchte zuweilen unter das Boot in welchem un-
sre Leute waren, und einmal hob er ihnen gar das Steuer-Ruder aus, ohne daß
sie ihn erwischen konnten. Endlich ward einer von den Matrosen des Spiels
überdrüßig, und warf den Boothaken nach ihm; unglücklicherweise drang das
Eisen ihm unter die Rippen in den Leib; es ward also dem Matrosen nicht schwer,
den Indianer vollends bis ans Boot heran zu ziehen und ihn an Bord zu heben.
Allein er sahe die Zeit ab, sprang ehe man sichs versahe wieder in die See, und
entkam auch, ohnerachtet er viel Blut verlohren hatte, glücklich, vermittelst eini-
ger Canots, die zu seiner Rettung vom Lande abgestoßen hatten, und ihn auf-
nahmen. Es ist gewiß sehr zu verwundern, daß die barbarische Verfolgung
und Mißhandlung dieses armen Schelmen, uns weder das Vertrauen noch die
Zuneigung der Einwohner raubten! Alles blieb so ruhig und friedlich als zuvor.
Die Capitains brachten Attagha und einen andern Befehlshaber zum Essen mit
an Bord, und der Handel gieng eben so gut von statten als ob nichts vorgefallen
wäre. Der Befehlshaber der mit Attagha kam, schien von höheren Range zu
seyn, weil dieser, der sonst mit uns am Tisch zu sitzen pflegte, sich jetzt ein
Paar Schritte hinter jenen auf den Fusboden niedersetzte, und durch nichts

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
rere, ganz unſchuldige Leute verwundet, und bey alledem war das Volk ſo gut-
herzig, daß ſie weder Ufer noch Handelsplatz verließen, auch wegen dieſes uͤber-
eilten Betragens nicht das geringſte Mistrauen ſchoͤpften; ſondern vielmehr ſich
die Kugeln getroſt um die Ohren pfeifen ließen. Wenige Stunden nachher
machte es ein andrer am Bord unſers Schiffes eben ſo; er ſchlich ſich in die
Cajuͤte des Piloten und entwandte daſelbſt verſchiedne mathematiſche Buͤcher,
einen Degen, ein Lineal und andre Kleinigkeiten, wovon er in ſeinem Leben kei-
nen Gebrauch machen konnte. Indeſſen ward die Sache entdeckt, als er eben
in einem Canot entwiſchen wollte, man ſchickte ihm daher ein Boot nach, um
das geſtohlne wieder habhaft zu werden. Sobald er ſahe, worauf es angelegt
ſey, warf er alles uͤber Bord; man ließ alſo die Sachen durch ein andres Boot
auffiſchen, inmittelſt das erſte den Dieb zu verfolgen fortfuhr. Um ihn einzuho-
len, ſchoſſen unſre Leute eine Flintenkugel durch das Hintertheil ſeines Canots,
worauf er, nebſt verſchiednen andern ins Waſſer ſprang. Ob man nun gleich nicht
aufhoͤrte ihm nachzuſetzen, ſo ſchuͤtzte ihn doch ſeine bewundernswuͤrdige Hurtig-
keit noch eine ganze Zeit lang; er tauchte zuweilen unter das Boot in welchem un-
ſre Leute waren, und einmal hob er ihnen gar das Steuer-Ruder aus, ohne daß
ſie ihn erwiſchen konnten. Endlich ward einer von den Matroſen des Spiels
uͤberdruͤßig, und warf den Boothaken nach ihm; ungluͤcklicherweiſe drang das
Eiſen ihm unter die Rippen in den Leib; es ward alſo dem Matroſen nicht ſchwer,
den Indianer vollends bis ans Boot heran zu ziehen und ihn an Bord zu heben.
Allein er ſahe die Zeit ab, ſprang ehe man ſichs verſahe wieder in die See, und
entkam auch, ohnerachtet er viel Blut verlohren hatte, gluͤcklich, vermittelſt eini-
ger Canots, die zu ſeiner Rettung vom Lande abgeſtoßen hatten, und ihn auf-
nahmen. Es iſt gewiß ſehr zu verwundern, daß die barbariſche Verfolgung
und Mißhandlung dieſes armen Schelmen, uns weder das Vertrauen noch die
Zuneigung der Einwohner raubten! Alles blieb ſo ruhig und friedlich als zuvor.
Die Capitains brachten Attagha und einen andern Befehlshaber zum Eſſen mit
an Bord, und der Handel gieng eben ſo gut von ſtatten als ob nichts vorgefallen
waͤre. Der Befehlshaber der mit Attagha kam, ſchien von hoͤheren Range zu
ſeyn, weil dieſer, der ſonſt mit uns am Tiſch zu ſitzen pflegte, ſich jetzt ein
Paar Schritte hinter jenen auf den Fusboden niederſetzte, und durch nichts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0409" n="350"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/>
October.</note>rere, ganz un&#x017F;chuldige Leute verwundet, und bey alledem war das Volk &#x017F;o gut-<lb/>
herzig, daß &#x017F;ie weder Ufer noch Handelsplatz verließen, auch wegen die&#x017F;es u&#x0364;ber-<lb/>
eilten Betragens nicht das gering&#x017F;te Mistrauen &#x017F;cho&#x0364;pften; &#x017F;ondern vielmehr &#x017F;ich<lb/>
die Kugeln getro&#x017F;t um die Ohren pfeifen ließen. Wenige Stunden nachher<lb/>
machte es ein andrer am Bord un&#x017F;ers Schiffes eben &#x017F;o; er &#x017F;chlich &#x017F;ich in die<lb/>
Caju&#x0364;te des Piloten und entwandte da&#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chiedne mathemati&#x017F;che Bu&#x0364;cher,<lb/>
einen Degen, ein Lineal und andre Kleinigkeiten, wovon er in &#x017F;einem Leben kei-<lb/>
nen Gebrauch machen konnte. Inde&#x017F;&#x017F;en ward die Sache entdeckt, als er eben<lb/>
in einem Canot entwi&#x017F;chen wollte, man &#x017F;chickte ihm daher ein Boot nach, um<lb/>
das ge&#x017F;tohlne wieder habhaft zu werden. Sobald er &#x017F;ahe, worauf es angelegt<lb/>
&#x017F;ey, warf er alles u&#x0364;ber Bord; man ließ al&#x017F;o die Sachen durch ein andres Boot<lb/>
auffi&#x017F;chen, inmittel&#x017F;t das er&#x017F;te den Dieb zu verfolgen fortfuhr. Um ihn einzuho-<lb/>
len, &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;re Leute eine Flintenkugel durch das Hintertheil &#x017F;eines Canots,<lb/>
worauf er, neb&#x017F;t ver&#x017F;chiednen andern ins Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;prang. Ob man nun gleich nicht<lb/>
aufho&#x0364;rte ihm nachzu&#x017F;etzen, &#x017F;o &#x017F;chu&#x0364;tzte ihn doch &#x017F;eine bewundernswu&#x0364;rdige Hurtig-<lb/>
keit noch eine ganze Zeit lang; er tauchte zuweilen unter das Boot in welchem un-<lb/>
&#x017F;re Leute waren, und einmal hob er ihnen gar das Steuer-Ruder aus, ohne daß<lb/>
&#x017F;ie ihn erwi&#x017F;chen konnten. Endlich ward einer von den Matro&#x017F;en des Spiels<lb/>
u&#x0364;berdru&#x0364;ßig, und warf den Boothaken nach ihm; unglu&#x0364;cklicherwei&#x017F;e drang das<lb/>
Ei&#x017F;en ihm unter die Rippen in den Leib; es ward al&#x017F;o dem Matro&#x017F;en nicht &#x017F;chwer,<lb/>
den Indianer vollends bis ans Boot heran zu ziehen und ihn an Bord zu heben.<lb/>
Allein er &#x017F;ahe die Zeit ab, &#x017F;prang ehe man &#x017F;ichs ver&#x017F;ahe wieder in die See, und<lb/>
entkam auch, ohnerachtet er viel Blut verlohren hatte, glu&#x0364;cklich, vermittel&#x017F;t eini-<lb/>
ger Canots, die zu &#x017F;einer Rettung vom Lande abge&#x017F;toßen hatten, und ihn auf-<lb/>
nahmen. Es i&#x017F;t gewiß &#x017F;ehr zu verwundern, daß die barbari&#x017F;che Verfolgung<lb/>
und Mißhandlung die&#x017F;es armen Schelmen, uns weder das <choice><sic>Vertranen</sic><corr>Vertrauen</corr></choice> noch die<lb/>
Zuneigung der Einwohner raubten! Alles blieb &#x017F;o ruhig und friedlich als zuvor.<lb/>
Die Capitains brachten <hi rendition="#fr"><persName>Attagha</persName></hi> und einen andern Befehlshaber zum E&#x017F;&#x017F;en mit<lb/>
an Bord, und der Handel gieng eben &#x017F;o gut von &#x017F;tatten als ob nichts vorgefallen<lb/>
wa&#x0364;re. Der Befehlshaber der mit <hi rendition="#fr"><persName>Attagha</persName></hi> kam, &#x017F;chien von ho&#x0364;heren Range zu<lb/>
&#x017F;eyn, weil die&#x017F;er, der &#x017F;on&#x017F;t mit uns am Ti&#x017F;ch zu &#x017F;itzen pflegte, &#x017F;ich jetzt ein<lb/>
Paar Schritte hinter jenen auf den Fusboden nieder&#x017F;etzte, und durch nichts<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0409] Forſter’s Reiſe um die Welt rere, ganz unſchuldige Leute verwundet, und bey alledem war das Volk ſo gut- herzig, daß ſie weder Ufer noch Handelsplatz verließen, auch wegen dieſes uͤber- eilten Betragens nicht das geringſte Mistrauen ſchoͤpften; ſondern vielmehr ſich die Kugeln getroſt um die Ohren pfeifen ließen. Wenige Stunden nachher machte es ein andrer am Bord unſers Schiffes eben ſo; er ſchlich ſich in die Cajuͤte des Piloten und entwandte daſelbſt verſchiedne mathematiſche Buͤcher, einen Degen, ein Lineal und andre Kleinigkeiten, wovon er in ſeinem Leben kei- nen Gebrauch machen konnte. Indeſſen ward die Sache entdeckt, als er eben in einem Canot entwiſchen wollte, man ſchickte ihm daher ein Boot nach, um das geſtohlne wieder habhaft zu werden. Sobald er ſahe, worauf es angelegt ſey, warf er alles uͤber Bord; man ließ alſo die Sachen durch ein andres Boot auffiſchen, inmittelſt das erſte den Dieb zu verfolgen fortfuhr. Um ihn einzuho- len, ſchoſſen unſre Leute eine Flintenkugel durch das Hintertheil ſeines Canots, worauf er, nebſt verſchiednen andern ins Waſſer ſprang. Ob man nun gleich nicht aufhoͤrte ihm nachzuſetzen, ſo ſchuͤtzte ihn doch ſeine bewundernswuͤrdige Hurtig- keit noch eine ganze Zeit lang; er tauchte zuweilen unter das Boot in welchem un- ſre Leute waren, und einmal hob er ihnen gar das Steuer-Ruder aus, ohne daß ſie ihn erwiſchen konnten. Endlich ward einer von den Matroſen des Spiels uͤberdruͤßig, und warf den Boothaken nach ihm; ungluͤcklicherweiſe drang das Eiſen ihm unter die Rippen in den Leib; es ward alſo dem Matroſen nicht ſchwer, den Indianer vollends bis ans Boot heran zu ziehen und ihn an Bord zu heben. Allein er ſahe die Zeit ab, ſprang ehe man ſichs verſahe wieder in die See, und entkam auch, ohnerachtet er viel Blut verlohren hatte, gluͤcklich, vermittelſt eini- ger Canots, die zu ſeiner Rettung vom Lande abgeſtoßen hatten, und ihn auf- nahmen. Es iſt gewiß ſehr zu verwundern, daß die barbariſche Verfolgung und Mißhandlung dieſes armen Schelmen, uns weder das Vertrauen noch die Zuneigung der Einwohner raubten! Alles blieb ſo ruhig und friedlich als zuvor. Die Capitains brachten Attagha und einen andern Befehlshaber zum Eſſen mit an Bord, und der Handel gieng eben ſo gut von ſtatten als ob nichts vorgefallen waͤre. Der Befehlshaber der mit Attagha kam, ſchien von hoͤheren Range zu ſeyn, weil dieſer, der ſonſt mit uns am Tiſch zu ſitzen pflegte, ſich jetzt ein Paar Schritte hinter jenen auf den Fusboden niederſetzte, und durch nichts 1773. October.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/409
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/409>, abgerufen am 22.11.2024.