Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1773.
Septem-
ber.
geringsten geilen oder widrigen Geschmack, und die Haut, die an unsern
Schweine-Braten gemeiniglich steinhart zu seyn pflegt, war hier so zart als alles
übrige Fleisch. Beym Schluß der Mahlzeit kamen unsre Weinflaschen dran
und Freund Orea ließ sich sein Gläschen schmecken ohne ein Auge zu verdrehen,
worüber wir uns um so mehr wunderten, als die Einwohner dieser Inseln sonst
überall einen Widerwillen gegen unsre starken Getränke bezeigt hatten. Die Tu-
gend der Nüchternheit ist auch würklich fast allgemein unter ihnen, besonders un-
ter dem gemeinen Volk. Doch haben sie ein berauschendes Getränk, auf wel-
ches vorzüglich einige alte Oberhäupter sehr viel halten. Es wird aus dem
Saft einer Pfeffer-Baum-Wurzel, hier zu Lande Awa genannt, auf eine höchst
ekelhafte Weise verfertigt, wie ich an einem der ersten Tage nach unserer An-
kunft selbst mit angesehen habe. Nachdem die Wurzel in Stücken geschnitten ist,
wird sie von etlichen Leuten vollends klein gekauet und, die mit Speichel wohl
durchweichte Masse, in ein großes Gefäß voll Wasser oder Coco-Nuß-Milch
gespuckt. Dieser ungemein appetitliche Brey wird hierauf durch Coco-Nuß-Fa-
sern geseiget, und die gekaueten Klumpen sorgfältig ausgedruckt, damit der zu-
rückgebliebne Saft sich vollends mit der Coco-Nuß-Milch vermischen möge. Zu-
letzt wird der Trank in eine andre große Schaale abgeklärt, und ist alsdenn zum
Gebrauch fertig. Dies häßliche Gemängsel verschlucken sie mit ungemeiner Gie-
rigkeit: und einige alte Säuffer thun sich nicht wenig darauf zu gut, daß sie viel
Schaalen davon leer machen können. Unser Passagier Porea, der hier nicht
so zurückhaltend als auf Huaheine war, brachte eines Tages einen seiner neuen
Bekannten in die Cajütte des Capitains, und setzte sich sogleich mit ihm nieder,
um jene Schmiererey nachzumachen. Als sie damit zu Stande gekommen wa-
ren, trank er ohngefähr ein Nößel, ward aber, in weniger denn einer Vier-
telstunde, so berauscht davon, daß man ihn ohne Bewegung auf dem Boden lie-
gend fand. Sein Gesicht war feuerroth und die Augen standen ihm gleichsam
zum Kopf heraus. In diesem Zustande schlief er einige Stunden ohne von seinen
Sinnen zu wissen, als er aber wieder zu sich kam, schämte er sich dieser Aus-
schweifung. Die Völlerey bleibt indessen, gleich jeder andern Ausschweifung,
auch hier nicht ungestraft. Die Alten, welche diesem Laster nachhängen, sind
dürr und mager, haben eine schuppichte, schäbige Haut, rothe Augen, und rothe

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
geringſten geilen oder widrigen Geſchmack, und die Haut, die an unſern
Schweine-Braten gemeiniglich ſteinhart zu ſeyn pflegt, war hier ſo zart als alles
uͤbrige Fleiſch. Beym Schluß der Mahlzeit kamen unſre Weinflaſchen dran
und Freund Orea ließ ſich ſein Glaͤschen ſchmecken ohne ein Auge zu verdrehen,
woruͤber wir uns um ſo mehr wunderten, als die Einwohner dieſer Inſeln ſonſt
uͤberall einen Widerwillen gegen unſre ſtarken Getraͤnke bezeigt hatten. Die Tu-
gend der Nuͤchternheit iſt auch wuͤrklich faſt allgemein unter ihnen, beſonders un-
ter dem gemeinen Volk. Doch haben ſie ein berauſchendes Getraͤnk, auf wel-
ches vorzuͤglich einige alte Oberhaͤupter ſehr viel halten. Es wird aus dem
Saft einer Pfeffer-Baum-Wurzel, hier zu Lande Awa genannt, auf eine hoͤchſt
ekelhafte Weiſe verfertigt, wie ich an einem der erſten Tage nach unſerer An-
kunft ſelbſt mit angeſehen habe. Nachdem die Wurzel in Stuͤcken geſchnitten iſt,
wird ſie von etlichen Leuten vollends klein gekauet und, die mit Speichel wohl
durchweichte Maſſe, in ein großes Gefaͤß voll Waſſer oder Coco-Nuß-Milch
geſpuckt. Dieſer ungemein appetitliche Brey wird hierauf durch Coco-Nuß-Fa-
ſern geſeiget, und die gekaueten Klumpen ſorgfaͤltig ausgedruckt, damit der zu-
ruͤckgebliebne Saft ſich vollends mit der Coco-Nuß-Milch vermiſchen moͤge. Zu-
letzt wird der Trank in eine andre große Schaale abgeklaͤrt, und iſt alsdenn zum
Gebrauch fertig. Dies haͤßliche Gemaͤngſel verſchlucken ſie mit ungemeiner Gie-
rigkeit: und einige alte Saͤuffer thun ſich nicht wenig darauf zu gut, daß ſie viel
Schaalen davon leer machen koͤnnen. Unſer Paſſagier Porea, der hier nicht
ſo zuruͤckhaltend als auf Huaheine war, brachte eines Tages einen ſeiner neuen
Bekannten in die Cajuͤtte des Capitains, und ſetzte ſich ſogleich mit ihm nieder,
um jene Schmiererey nachzumachen. Als ſie damit zu Stande gekommen wa-
ren, trank er ohngefaͤhr ein Noͤßel, ward aber, in weniger denn einer Vier-
telſtunde, ſo berauſcht davon, daß man ihn ohne Bewegung auf dem Boden lie-
gend fand. Sein Geſicht war feuerroth und die Augen ſtanden ihm gleichſam
zum Kopf heraus. In dieſem Zuſtande ſchlief er einige Stunden ohne von ſeinen
Sinnen zu wiſſen, als er aber wieder zu ſich kam, ſchaͤmte er ſich dieſer Aus-
ſchweifung. Die Voͤllerey bleibt indeſſen, gleich jeder andern Ausſchweifung,
auch hier nicht ungeſtraft. Die Alten, welche dieſem Laſter nachhaͤngen, ſind
duͤrr und mager, haben eine ſchuppichte, ſchaͤbige Haut, rothe Augen, und rothe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0361" n="306"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/>
Septem-<lb/>
ber.</note>gering&#x017F;ten geilen oder widrigen Ge&#x017F;chmack, und die Haut, die an un&#x017F;ern<lb/>
Schweine-Braten gemeiniglich &#x017F;teinhart zu &#x017F;eyn pflegt, war hier &#x017F;o zart als alles<lb/>
u&#x0364;brige Flei&#x017F;ch. Beym Schluß der Mahlzeit kamen un&#x017F;re Weinfla&#x017F;chen dran<lb/>
und Freund <hi rendition="#fr"><persName>Orea</persName></hi> ließ &#x017F;ich &#x017F;ein Gla&#x0364;schen &#x017F;chmecken ohne ein Auge zu verdrehen,<lb/>
woru&#x0364;ber wir uns um &#x017F;o mehr wunderten, als die Einwohner die&#x017F;er In&#x017F;eln &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;berall einen Widerwillen gegen un&#x017F;re &#x017F;tarken Getra&#x0364;nke bezeigt hatten. Die Tu-<lb/>
gend der Nu&#x0364;chternheit i&#x017F;t auch wu&#x0364;rklich fa&#x017F;t allgemein unter ihnen, be&#x017F;onders un-<lb/>
ter dem gemeinen Volk. Doch haben &#x017F;ie ein berau&#x017F;chendes Getra&#x0364;nk, auf wel-<lb/>
ches vorzu&#x0364;glich einige alte Oberha&#x0364;upter &#x017F;ehr viel halten. Es wird aus dem<lb/>
Saft einer Pfeffer-Baum-Wurzel, hier zu Lande <hi rendition="#fr">Awa</hi> genannt, auf eine ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
ekelhafte Wei&#x017F;e verfertigt, wie ich an einem der er&#x017F;ten Tage nach un&#x017F;erer An-<lb/>
kunft &#x017F;elb&#x017F;t mit ange&#x017F;ehen habe. Nachdem die Wurzel in Stu&#x0364;cken ge&#x017F;chnitten i&#x017F;t,<lb/>
wird &#x017F;ie von etlichen Leuten vollends klein gekauet und, die mit Speichel wohl<lb/>
durchweichte Ma&#x017F;&#x017F;e, in ein großes Gefa&#x0364;ß voll Wa&#x017F;&#x017F;er oder Coco-Nuß-Milch<lb/>
ge&#x017F;puckt. Die&#x017F;er ungemein appetitliche Brey wird hierauf durch Coco-Nuß-Fa-<lb/>
&#x017F;ern ge&#x017F;eiget, und die gekaueten Klumpen &#x017F;orgfa&#x0364;ltig ausgedruckt, damit der zu-<lb/>
ru&#x0364;ckgebliebne Saft &#x017F;ich vollends mit der Coco-Nuß-Milch vermi&#x017F;chen mo&#x0364;ge. Zu-<lb/>
letzt wird der Trank in eine andre große Schaale abgekla&#x0364;rt, und i&#x017F;t alsdenn zum<lb/>
Gebrauch fertig. Dies ha&#x0364;ßliche Gema&#x0364;ng&#x017F;el ver&#x017F;chlucken &#x017F;ie mit ungemeiner Gie-<lb/>
rigkeit: und einige alte Sa&#x0364;uffer thun &#x017F;ich nicht wenig darauf zu gut, daß &#x017F;ie viel<lb/>
Schaalen davon leer machen ko&#x0364;nnen. Un&#x017F;er Pa&#x017F;&#x017F;agier <hi rendition="#fr"><persName>Porea</persName>,</hi> der hier nicht<lb/>
&#x017F;o zuru&#x0364;ckhaltend als auf <hi rendition="#fr"><placeName>Huaheine</placeName></hi> war, brachte eines Tages einen &#x017F;einer neuen<lb/>
Bekannten in die Caju&#x0364;tte des Capitains, und &#x017F;etzte &#x017F;ich &#x017F;ogleich mit ihm nieder,<lb/>
um jene Schmiererey nachzumachen. Als &#x017F;ie damit zu Stande gekommen wa-<lb/>
ren, trank er ohngefa&#x0364;hr ein No&#x0364;ßel, ward aber, in weniger denn einer Vier-<lb/>
tel&#x017F;tunde, &#x017F;o berau&#x017F;cht davon, daß man ihn ohne Bewegung auf dem Boden lie-<lb/>
gend fand. Sein Ge&#x017F;icht war feuerroth und die Augen &#x017F;tanden ihm gleich&#x017F;am<lb/>
zum Kopf heraus. In die&#x017F;em Zu&#x017F;tande &#x017F;chlief er einige Stunden ohne von &#x017F;einen<lb/>
Sinnen zu wi&#x017F;&#x017F;en, als er aber wieder zu &#x017F;ich kam, &#x017F;cha&#x0364;mte er &#x017F;ich die&#x017F;er Aus-<lb/>
&#x017F;chweifung. Die Vo&#x0364;llerey bleibt inde&#x017F;&#x017F;en, gleich jeder andern Aus&#x017F;chweifung,<lb/>
auch hier nicht unge&#x017F;traft. Die Alten, welche die&#x017F;em La&#x017F;ter nachha&#x0364;ngen, &#x017F;ind<lb/>
du&#x0364;rr und mager, haben eine &#x017F;chuppichte, &#x017F;cha&#x0364;bige Haut, rothe Augen, und rothe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0361] Forſter’s Reiſe um die Welt geringſten geilen oder widrigen Geſchmack, und die Haut, die an unſern Schweine-Braten gemeiniglich ſteinhart zu ſeyn pflegt, war hier ſo zart als alles uͤbrige Fleiſch. Beym Schluß der Mahlzeit kamen unſre Weinflaſchen dran und Freund Orea ließ ſich ſein Glaͤschen ſchmecken ohne ein Auge zu verdrehen, woruͤber wir uns um ſo mehr wunderten, als die Einwohner dieſer Inſeln ſonſt uͤberall einen Widerwillen gegen unſre ſtarken Getraͤnke bezeigt hatten. Die Tu- gend der Nuͤchternheit iſt auch wuͤrklich faſt allgemein unter ihnen, beſonders un- ter dem gemeinen Volk. Doch haben ſie ein berauſchendes Getraͤnk, auf wel- ches vorzuͤglich einige alte Oberhaͤupter ſehr viel halten. Es wird aus dem Saft einer Pfeffer-Baum-Wurzel, hier zu Lande Awa genannt, auf eine hoͤchſt ekelhafte Weiſe verfertigt, wie ich an einem der erſten Tage nach unſerer An- kunft ſelbſt mit angeſehen habe. Nachdem die Wurzel in Stuͤcken geſchnitten iſt, wird ſie von etlichen Leuten vollends klein gekauet und, die mit Speichel wohl durchweichte Maſſe, in ein großes Gefaͤß voll Waſſer oder Coco-Nuß-Milch geſpuckt. Dieſer ungemein appetitliche Brey wird hierauf durch Coco-Nuß-Fa- ſern geſeiget, und die gekaueten Klumpen ſorgfaͤltig ausgedruckt, damit der zu- ruͤckgebliebne Saft ſich vollends mit der Coco-Nuß-Milch vermiſchen moͤge. Zu- letzt wird der Trank in eine andre große Schaale abgeklaͤrt, und iſt alsdenn zum Gebrauch fertig. Dies haͤßliche Gemaͤngſel verſchlucken ſie mit ungemeiner Gie- rigkeit: und einige alte Saͤuffer thun ſich nicht wenig darauf zu gut, daß ſie viel Schaalen davon leer machen koͤnnen. Unſer Paſſagier Porea, der hier nicht ſo zuruͤckhaltend als auf Huaheine war, brachte eines Tages einen ſeiner neuen Bekannten in die Cajuͤtte des Capitains, und ſetzte ſich ſogleich mit ihm nieder, um jene Schmiererey nachzumachen. Als ſie damit zu Stande gekommen wa- ren, trank er ohngefaͤhr ein Noͤßel, ward aber, in weniger denn einer Vier- telſtunde, ſo berauſcht davon, daß man ihn ohne Bewegung auf dem Boden lie- gend fand. Sein Geſicht war feuerroth und die Augen ſtanden ihm gleichſam zum Kopf heraus. In dieſem Zuſtande ſchlief er einige Stunden ohne von ſeinen Sinnen zu wiſſen, als er aber wieder zu ſich kam, ſchaͤmte er ſich dieſer Aus- ſchweifung. Die Voͤllerey bleibt indeſſen, gleich jeder andern Ausſchweifung, auch hier nicht ungeſtraft. Die Alten, welche dieſem Laſter nachhaͤngen, ſind duͤrr und mager, haben eine ſchuppichte, ſchaͤbige Haut, rothe Augen, und rothe 1773. Septem- ber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/361
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/361>, abgerufen am 18.06.2024.