Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.in den Jahren 1772 bis 1775. Orea war ein dicker Mann von mittler Statur, mit einem dünnen röthlich-1773.Septem- ber. braunen Bart. Er hatte einen ungemeinen lebhaften verständigen Blick, und scherzte und lachte recht herzlich mit uns, ohne steife Ceremonie oder dergleichen geziertes Wesen anzunehmen. Seine Frau war eine ältliche Person; der Sohn und die Tochter aber erst zwölf bis vierzehn Jahr alt. Letztere hatte eine ungemein weiße Farbe, auch in ihren Gesichtszügen überhaupt nur wenig von dem National-Charakter dieses Volks; die Nase war vorzüglich schön gebildet, und den Augen nach hätte man sie für eine Chineserinn halten mögen. Sie war zwar nicht groß; allein von zierlichem und wohl proportionirten Glieder- bau; vornemlich waren die Hände unbeschreiblich schön, Füße und Beine hin- gegen etwas zu dick; auch stand es ihr nicht gut an, daß das Haar kurz abge- schnitten war. Sonst hatte sie etwas sehr Gefälliges in ihrem Wesen, und gleich den mehresten ihrer Landsmänninnen, eine sanfte angenehme Stimme. Es war nicht möglich ihr etwas abzuschlagen, wenn sie um Corallen oder andre dergleichen Kleinigkeiten bath. Weil wir indessen keinesweges ans Land gekom- men waren, um hier in einem Hause zu bleiben, so standen wir bald wieder auf und spazierten unter die Bäume hin, um Vögel zu schießen und Pflan- zen zu suchen. Zu unserer wahren Freude trafen wir hier unter dem gemei- nen Volk, was wir bey den Leuten in Huaheine vermißt hatten, jenes Zutrauen und die zudringliche Vertraulichkeit, der Tahitier, ohne das unerträgliche Betteln dieser letztern. Nach Tische machten wir abermals einen Spatziergang und schossen verschiedne Eisvögel. Bey der Rückkehr von der Jagd begegneten wir Orea nebst seiner Familie und Capitain Cook, die in der Ebene mit ein- ander spatzieren giengen. Orea bekümmerte sich nicht um den geschoßnen Vo- gel den wir in Händen hatten, seine schöne Tochter hingegen beklagte den Tod ihres Eatua und lief von uns weg, wenn wir ihr damit zu nahe kamen. Ihre Mutter und die übrigen Frauensleute schienen über diesen Zufall nicht min- der betrübt zu seyn; und als wir wieder nach dem Schiffe zurück fahren wollten, bat uns Orea in einem ganz ernstlichen Tone, keine Eisvögel und Reyher mehr auf seiner Insel zu tödten; andre Vögel mögten wir so viel schießen als uns beliebte. Zwar unterließen wir nicht auch bey dieser Gelegenheit nachzufragen, was die Ursach von der Verehrung dieser beyden Vogel-Gat- Forsters Reise u. d. W. erster Th. P p
in den Jahren 1772 bis 1775. Orea war ein dicker Mann von mittler Statur, mit einem duͤnnen roͤthlich-1773.Septem- ber. braunen Bart. Er hatte einen ungemeinen lebhaften verſtaͤndigen Blick, und ſcherzte und lachte recht herzlich mit uns, ohne ſteife Ceremonie oder dergleichen geziertes Weſen anzunehmen. Seine Frau war eine aͤltliche Perſon; der Sohn und die Tochter aber erſt zwoͤlf bis vierzehn Jahr alt. Letztere hatte eine ungemein weiße Farbe, auch in ihren Geſichtszuͤgen uͤberhaupt nur wenig von dem National-Charakter dieſes Volks; die Naſe war vorzuͤglich ſchoͤn gebildet, und den Augen nach haͤtte man ſie fuͤr eine Chineſerinn halten moͤgen. Sie war zwar nicht groß; allein von zierlichem und wohl proportionirten Glieder- bau; vornemlich waren die Haͤnde unbeſchreiblich ſchoͤn, Fuͤße und Beine hin- gegen etwas zu dick; auch ſtand es ihr nicht gut an, daß das Haar kurz abge- ſchnitten war. Sonſt hatte ſie etwas ſehr Gefaͤlliges in ihrem Weſen, und gleich den mehreſten ihrer Landsmaͤnninnen, eine ſanfte angenehme Stimme. Es war nicht moͤglich ihr etwas abzuſchlagen, wenn ſie um Corallen oder andre dergleichen Kleinigkeiten bath. Weil wir indeſſen keinesweges ans Land gekom- men waren, um hier in einem Hauſe zu bleiben, ſo ſtanden wir bald wieder auf und ſpazierten unter die Baͤume hin, um Voͤgel zu ſchießen und Pflan- zen zu ſuchen. Zu unſerer wahren Freude trafen wir hier unter dem gemei- nen Volk, was wir bey den Leuten in Huaheine vermißt hatten, jenes Zutrauen und die zudringliche Vertraulichkeit, der Tahitier, ohne das unertraͤgliche Betteln dieſer letztern. Nach Tiſche machten wir abermals einen Spatziergang und ſchoſſen verſchiedne Eisvoͤgel. Bey der Ruͤckkehr von der Jagd begegneten wir Orea nebſt ſeiner Familie und Capitain Cook, die in der Ebene mit ein- ander ſpatzieren giengen. Orea bekuͤmmerte ſich nicht um den geſchoßnen Vo- gel den wir in Haͤnden hatten, ſeine ſchoͤne Tochter hingegen beklagte den Tod ihres Eatua und lief von uns weg, wenn wir ihr damit zu nahe kamen. Ihre Mutter und die uͤbrigen Frauensleute ſchienen uͤber dieſen Zufall nicht min- der betruͤbt zu ſeyn; und als wir wieder nach dem Schiffe zuruͤck fahren wollten, bat uns Orea in einem ganz ernſtlichen Tone, keine Eisvoͤgel und Reyher mehr auf ſeiner Inſel zu toͤdten; andre Voͤgel moͤgten wir ſo viel ſchießen als uns beliebte. Zwar unterließen wir nicht auch bey dieſer Gelegenheit nachzufragen, was die Urſach von der Verehrung dieſer beyden Vogel-Gat- Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. P p
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Orea war ein dicker Mann von mittler Statur, mit einem duͤnnen roͤthlich-
braunen Bart. Er hatte einen ungemeinen lebhaften verſtaͤndigen Blick, und
ſcherzte und lachte recht herzlich mit uns, ohne ſteife Ceremonie oder dergleichen
geziertes Weſen anzunehmen. Seine Frau war eine aͤltliche Perſon; der Sohn
und die Tochter aber erſt zwoͤlf bis vierzehn Jahr alt. Letztere hatte eine
ungemein weiße Farbe, auch in ihren Geſichtszuͤgen uͤberhaupt nur wenig von
dem National-Charakter dieſes Volks; die Naſe war vorzuͤglich ſchoͤn gebildet,
und den Augen nach haͤtte man ſie fuͤr eine Chineſerinn halten moͤgen. Sie
war zwar nicht groß; allein von zierlichem und wohl proportionirten Glieder-
bau; vornemlich waren die Haͤnde unbeſchreiblich ſchoͤn, Fuͤße und Beine hin-
gegen etwas zu dick; auch ſtand es ihr nicht gut an, daß das Haar kurz abge-
ſchnitten war. Sonſt hatte ſie etwas ſehr Gefaͤlliges in ihrem Weſen, und gleich
den mehreſten ihrer Landsmaͤnninnen, eine ſanfte angenehme Stimme. Es
war nicht moͤglich ihr etwas abzuſchlagen, wenn ſie um Corallen oder andre
dergleichen Kleinigkeiten bath. Weil wir indeſſen keinesweges ans Land gekom-
men waren, um hier in einem Hauſe zu bleiben, ſo ſtanden wir bald wieder
auf und ſpazierten unter die Baͤume hin, um Voͤgel zu ſchießen und Pflan-
zen zu ſuchen. Zu unſerer wahren Freude trafen wir hier unter dem gemei-
nen Volk, was wir bey den Leuten in Huaheine vermißt hatten, jenes Zutrauen
und die zudringliche Vertraulichkeit, der Tahitier, ohne das unertraͤgliche
Betteln dieſer letztern. Nach Tiſche machten wir abermals einen Spatziergang
und ſchoſſen verſchiedne Eisvoͤgel. Bey der Ruͤckkehr von der Jagd begegneten
wir Orea nebſt ſeiner Familie und Capitain Cook, die in der Ebene mit ein-
ander ſpatzieren giengen. Orea bekuͤmmerte ſich nicht um den geſchoßnen Vo-
gel den wir in Haͤnden hatten, ſeine ſchoͤne Tochter hingegen beklagte den Tod
ihres Eatua und lief von uns weg, wenn wir ihr damit zu nahe kamen.
Ihre Mutter und die uͤbrigen Frauensleute ſchienen uͤber dieſen Zufall nicht min-
der betruͤbt zu ſeyn; und als wir wieder nach dem Schiffe zuruͤck fahren wollten,
bat uns Orea in einem ganz ernſtlichen Tone, keine Eisvoͤgel und Reyher
mehr auf ſeiner Inſel zu toͤdten; andre Voͤgel moͤgten wir ſo viel ſchießen
als uns beliebte. Zwar unterließen wir nicht auch bey dieſer Gelegenheit
nachzufragen, was die Urſach von der Verehrung dieſer beyden Vogel-Gat-
1773.
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