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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
Dies Zeugnis von Capitain Cooks erstem Besuch auf der Insel Huaheine, hatte1773.
Septem-
ber.

letzterer dem Orih ehemals mit dem Bedeuten eingehändigt, daß ers nie aus
seiner Verwahrung kommen lassen müsse; und dieser ließ es jetzt vermuth-
lich deshalb wieder vorzeigen, damit man sehen sollte, daß jene Vorschrift
genau befolgt worden sey. So bald der Capitain alle diese Sachen in
Empfang genommen hatte, stieg er mit seinem ganzen Gefolge ans Land, und
umarmte den Orih, der ein alter, magerer, triefäugiger Mann, zwischen 50
und 60 Jahren war. Er nahm unsre Leute als gute Bekannte und Freunde auf,
schenkte auch dem Capitain noch überdies etliche große Ballen Zeug. Und nun
währete es nicht lange, so fanden sich die Einwohner haufenweise bey der Woh-
nung ihres Befehlshabers ein, und brachten Hühner, Schweine und Hunde in
Menge zum Verkauf, die wir auch gegen Nägel, Messer und kleine Beile sehr
bald einhandelten.

Immittelst daß dieses vorgieng, marschirte ich nebst Doct. Sparmann
vom Marktplatze aus, zu Lande, hieher nach Ori's Wohnhause. Unterwegens
sahen wir aller Orten viel Schweine, Hunde und Hühner. Letztere liefen frey
in den Wäldern umher, und saßen auf den Brodfrucht-Bäumen. Auch die
Schweine hatten Freyheit herum zu laufen, doch bekamen sie ihr abgemes-
senes Futter, welches ihnen gemeiniglich von alten Weibern gegeben ward.
Vorzüglich sahen wir die besondere Manier, wie eine alte Frau ein kleines Ferken
mit dem gesäuerten Brodfrucht-Teige (Mahei) fütterte. Sie hatte das Thier
in einer Hand, und mit der andern hielt sie ihm ein Stück Schweinefell vor.
So bald es nun das Maul öfnete, um darnach zu schnappen, fuhr sie ihm
mit einer Handvoll des sauren Teiges hinein, den es ohne diesen Kunstgriff
nicht mochte. Die Hunde waren ihrer außerordentlichen Dummheit ohnerachtet
bey dem hiesigen Frauenzimmer in hohen Gnaden. Keine europäische Dame
nach der Mode hätte die Sorgfalt für ihr Schoßhündchen weiter treiben und
sich lächerlicher dabey geberden können. Unter andern reichte eine Frau von
mittlerm Alter einem jungen Hunde ihre volle Brust hin. In der Meynung
daß dieses bloß aus übertriebener Zärtlichkeit für das Thier geschähe; konnten
wir uns nicht enthalten, ihr diesen Misbrauch zu verweisen, allein sie lachte
nur dazu, und sagte, daß sie sich zuweilen auch von kleinen Ferken saugen

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in den Jahren 1772 bis 1775.
Dies Zeugnis von Capitain Cooks erſtem Beſuch auf der Inſel Huaheine, hatte1773.
Septem-
ber.

letzterer dem Orih ehemals mit dem Bedeuten eingehaͤndigt, daß ers nie aus
ſeiner Verwahrung kommen laſſen muͤſſe; und dieſer ließ es jetzt vermuth-
lich deshalb wieder vorzeigen, damit man ſehen ſollte, daß jene Vorſchrift
genau befolgt worden ſey. So bald der Capitain alle dieſe Sachen in
Empfang genommen hatte, ſtieg er mit ſeinem ganzen Gefolge ans Land, und
umarmte den Orih, der ein alter, magerer, triefaͤugiger Mann, zwiſchen 50
und 60 Jahren war. Er nahm unſre Leute als gute Bekannte und Freunde auf,
ſchenkte auch dem Capitain noch uͤberdies etliche große Ballen Zeug. Und nun
waͤhrete es nicht lange, ſo fanden ſich die Einwohner haufenweiſe bey der Woh-
nung ihres Befehlshabers ein, und brachten Huͤhner, Schweine und Hunde in
Menge zum Verkauf, die wir auch gegen Naͤgel, Meſſer und kleine Beile ſehr
bald einhandelten.

Immittelſt daß dieſes vorgieng, marſchirte ich nebſt Doct. Sparmann
vom Marktplatze aus, zu Lande, hieher nach Ori’s Wohnhauſe. Unterwegens
ſahen wir aller Orten viel Schweine, Hunde und Huͤhner. Letztere liefen frey
in den Waͤldern umher, und ſaßen auf den Brodfrucht-Baͤumen. Auch die
Schweine hatten Freyheit herum zu laufen, doch bekamen ſie ihr abgemeſ-
ſenes Futter, welches ihnen gemeiniglich von alten Weibern gegeben ward.
Vorzuͤglich ſahen wir die beſondere Manier, wie eine alte Frau ein kleines Ferken
mit dem geſaͤuerten Brodfrucht-Teige (Mahei) fuͤtterte. Sie hatte das Thier
in einer Hand, und mit der andern hielt ſie ihm ein Stuͤck Schweinefell vor.
So bald es nun das Maul oͤfnete, um darnach zu ſchnappen, fuhr ſie ihm
mit einer Handvoll des ſauren Teiges hinein, den es ohne dieſen Kunſtgriff
nicht mochte. Die Hunde waren ihrer außerordentlichen Dummheit ohnerachtet
bey dem hieſigen Frauenzimmer in hohen Gnaden. Keine europaͤiſche Dame
nach der Mode haͤtte die Sorgfalt fuͤr ihr Schoßhuͤndchen weiter treiben und
ſich laͤcherlicher dabey geberden koͤnnen. Unter andern reichte eine Frau von
mittlerm Alter einem jungen Hunde ihre volle Bruſt hin. In der Meynung
daß dieſes bloß aus uͤbertriebener Zaͤrtlichkeit fuͤr das Thier geſchaͤhe; konnten
wir uns nicht enthalten, ihr dieſen Misbrauch zu verweiſen, allein ſie lachte
nur dazu, und ſagte, daß ſie ſich zuweilen auch von kleinen Ferken ſaugen

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[285/0340] in den Jahren 1772 bis 1775. Dies Zeugnis von Capitain Cooks erſtem Beſuch auf der Inſel Huaheine, hatte letzterer dem Orih ehemals mit dem Bedeuten eingehaͤndigt, daß ers nie aus ſeiner Verwahrung kommen laſſen muͤſſe; und dieſer ließ es jetzt vermuth- lich deshalb wieder vorzeigen, damit man ſehen ſollte, daß jene Vorſchrift genau befolgt worden ſey. So bald der Capitain alle dieſe Sachen in Empfang genommen hatte, ſtieg er mit ſeinem ganzen Gefolge ans Land, und umarmte den Orih, der ein alter, magerer, triefaͤugiger Mann, zwiſchen 50 und 60 Jahren war. Er nahm unſre Leute als gute Bekannte und Freunde auf, ſchenkte auch dem Capitain noch uͤberdies etliche große Ballen Zeug. Und nun waͤhrete es nicht lange, ſo fanden ſich die Einwohner haufenweiſe bey der Woh- nung ihres Befehlshabers ein, und brachten Huͤhner, Schweine und Hunde in Menge zum Verkauf, die wir auch gegen Naͤgel, Meſſer und kleine Beile ſehr bald einhandelten. 1773. Septem- ber. Immittelſt daß dieſes vorgieng, marſchirte ich nebſt Doct. Sparmann vom Marktplatze aus, zu Lande, hieher nach Ori’s Wohnhauſe. Unterwegens ſahen wir aller Orten viel Schweine, Hunde und Huͤhner. Letztere liefen frey in den Waͤldern umher, und ſaßen auf den Brodfrucht-Baͤumen. Auch die Schweine hatten Freyheit herum zu laufen, doch bekamen ſie ihr abgemeſ- ſenes Futter, welches ihnen gemeiniglich von alten Weibern gegeben ward. Vorzuͤglich ſahen wir die beſondere Manier, wie eine alte Frau ein kleines Ferken mit dem geſaͤuerten Brodfrucht-Teige (Mahei) fuͤtterte. Sie hatte das Thier in einer Hand, und mit der andern hielt ſie ihm ein Stuͤck Schweinefell vor. So bald es nun das Maul oͤfnete, um darnach zu ſchnappen, fuhr ſie ihm mit einer Handvoll des ſauren Teiges hinein, den es ohne dieſen Kunſtgriff nicht mochte. Die Hunde waren ihrer außerordentlichen Dummheit ohnerachtet bey dem hieſigen Frauenzimmer in hohen Gnaden. Keine europaͤiſche Dame nach der Mode haͤtte die Sorgfalt fuͤr ihr Schoßhuͤndchen weiter treiben und ſich laͤcherlicher dabey geberden koͤnnen. Unter andern reichte eine Frau von mittlerm Alter einem jungen Hunde ihre volle Bruſt hin. In der Meynung daß dieſes bloß aus uͤbertriebener Zaͤrtlichkeit fuͤr das Thier geſchaͤhe; konnten wir uns nicht enthalten, ihr dieſen Misbrauch zu verweiſen, allein ſie lachte nur dazu, und ſagte, daß ſie ſich zuweilen auch von kleinen Ferken ſaugen N n 3

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/340>, abgerufen am 18.06.2024.