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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
Wo Clima und Landes-Sitte es nicht schlechterdings erfordern, daß man sich1773.
Septem-
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von Kopf bis zu Fuß kleide; wo man auf dem Felde überall Materialien fin-
det, aus denen sich eine anständige und eingeführte Kleidung verfertigen läßt;
und wo endlich alle Bedürfnisse des Lebens einem Jeden fast ohne Mühe und
Handanlegung zuwachsen: Da müssen Ehrgeiz und Neid, natürlicherweise, bey-
nahe gänzlich unbekannt seyn. Zwar sind die Vornehmern hier fast ausschlies-
sungsweise im Besitz von Schweinen, Fischen, Hühnern und Kleidungs-Zeuge:
allein, der unbefriedigte Wunsch den Geschmack mit ein Paar Leckerbissen zu kitzeln,
kan höchstens nur einzelne Menschen, nicht aber ganze Nationen unglücklich machen.
Dies kann nur gänzlicher Mangel an den unentbehrlichsten Nothwendigkeiten und
gerade dieser pflegt in civilisirten Staaten das Loos des gemeinen Mannes, so
wie eine Folge von der Ueppigkeit der Großen zu seyn. Zu O-Tahiti hingegen,
ist zwischen dem Höchsten und Niedrigsten, im Ganzen genommen, nicht ein-
mal ein solcher Unterschied, als sich in England zwischen der Lebensart eines
Handwerksmannes und eines Tagelöhners findet. Das gemeine Volk in Ta-
hiti
,
ließ bey allen Gelegenheiten gegen die Vornehmern der Nation so viel Liebe
blicken, daß es schien, als sähen sie sich insgesammt nur für eine einzige Familie
und die Befehlshaber gleichsam nur als ihre älteren Brüder an, denen
nach dem Recht der Erstgeburt, Vorzug gebühre. Vielleicht war auch ihre
Regierungsverfassung ursprünglich ganz patriarchalisch, dergestalt, daß man den
allgemeinen Regenten nur "als den Vater des ganzen Volks" achtete, so
lange, bis diese einfache Regierungsform sich nach und nach in die jetzige
abänderte. Aber auch jetzt noch finden sich, in der Vertraulichkeit zwischen
dem König und seinen Unterthanen, Spuren jenes ehemaligen patriarchali-
schen Verhältnisses. Der geringste Mann kann so frey mit dem König
sprechen als mit seines gleichen; und ihn so oft sehen als er will. Dies
würde schon mehrern Schwierigkeiten unterworfen seyn, so bald der Despotis-
mus Grund fassen sollte. Auch beschäftigt sich der König zu Zeiten auf eben
die Art als seine Unterthanen; noch unverdorben von den falschen Begriffen eit-
ler Ehre und leerer Prärogative rechnet er sichs keinesweges zur Schande,
nach Maaßgabe der Umstände, in seinem Canot selbst Hand ans Ruder zu legen.
Wie lange aber diese glückliche Gleichheit noch dauern mögte? kann man wohl

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in den Jahren 1772 bis 1775.
Wo Clima und Landes-Sitte es nicht ſchlechterdings erfordern, daß man ſich1773.
Septem-
ber.

von Kopf bis zu Fuß kleide; wo man auf dem Felde uͤberall Materialien fin-
det, aus denen ſich eine anſtaͤndige und eingefuͤhrte Kleidung verfertigen laͤßt;
und wo endlich alle Beduͤrfniſſe des Lebens einem Jeden faſt ohne Muͤhe und
Handanlegung zuwachſen: Da muͤſſen Ehrgeiz und Neid, natuͤrlicherweiſe, bey-
nahe gaͤnzlich unbekannt ſeyn. Zwar ſind die Vornehmern hier faſt ausſchlieſ-
ſungsweiſe im Beſitz von Schweinen, Fiſchen, Huͤhnern und Kleidungs-Zeuge:
allein, der unbefriedigte Wunſch den Geſchmack mit ein Paar Leckerbiſſen zu kitzeln,
kan hoͤchſtens nur einzelne Menſchen, nicht aber ganze Nationen ungluͤcklich machen.
Dies kann nur gaͤnzlicher Mangel an den unentbehrlichſten Nothwendigkeiten und
gerade dieſer pflegt in civiliſirten Staaten das Loos des gemeinen Mannes, ſo
wie eine Folge von der Ueppigkeit der Großen zu ſeyn. Zu O-Tahiti hingegen,
iſt zwiſchen dem Hoͤchſten und Niedrigſten, im Ganzen genommen, nicht ein-
mal ein ſolcher Unterſchied, als ſich in England zwiſchen der Lebensart eines
Handwerksmannes und eines Tageloͤhners findet. Das gemeine Volk in Ta-
hiti
,
ließ bey allen Gelegenheiten gegen die Vornehmern der Nation ſo viel Liebe
blicken, daß es ſchien, als ſaͤhen ſie ſich insgeſammt nur fuͤr eine einzige Familie
und die Befehlshaber gleichſam nur als ihre aͤlteren Bruͤder an, denen
nach dem Recht der Erſtgeburt, Vorzug gebuͤhre. Vielleicht war auch ihre
Regierungsverfaſſung urſpruͤnglich ganz patriarchaliſch, dergeſtalt, daß man den
allgemeinen Regenten nur “als den Vater des ganzen Volks” achtete, ſo
lange, bis dieſe einfache Regierungsform ſich nach und nach in die jetzige
abaͤnderte. Aber auch jetzt noch finden ſich, in der Vertraulichkeit zwiſchen
dem Koͤnig und ſeinen Unterthanen, Spuren jenes ehemaligen patriarchali-
ſchen Verhaͤltniſſes. Der geringſte Mann kann ſo frey mit dem Koͤnig
ſprechen als mit ſeines gleichen; und ihn ſo oft ſehen als er will. Dies
wuͤrde ſchon mehrern Schwierigkeiten unterworfen ſeyn, ſo bald der Despotis-
mus Grund faſſen ſollte. Auch beſchaͤftigt ſich der Koͤnig zu Zeiten auf eben
die Art als ſeine Unterthanen; noch unverdorben von den falſchen Begriffen eit-
ler Ehre und leerer Praͤrogative rechnet er ſichs keinesweges zur Schande,
nach Maaßgabe der Umſtaͤnde, in ſeinem Canot ſelbſt Hand ans Ruder zu legen.
Wie lange aber dieſe gluͤckliche Gleichheit noch dauern moͤgte? kann man wohl

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[277/0332] in den Jahren 1772 bis 1775. Wo Clima und Landes-Sitte es nicht ſchlechterdings erfordern, daß man ſich von Kopf bis zu Fuß kleide; wo man auf dem Felde uͤberall Materialien fin- det, aus denen ſich eine anſtaͤndige und eingefuͤhrte Kleidung verfertigen laͤßt; und wo endlich alle Beduͤrfniſſe des Lebens einem Jeden faſt ohne Muͤhe und Handanlegung zuwachſen: Da muͤſſen Ehrgeiz und Neid, natuͤrlicherweiſe, bey- nahe gaͤnzlich unbekannt ſeyn. Zwar ſind die Vornehmern hier faſt ausſchlieſ- ſungsweiſe im Beſitz von Schweinen, Fiſchen, Huͤhnern und Kleidungs-Zeuge: allein, der unbefriedigte Wunſch den Geſchmack mit ein Paar Leckerbiſſen zu kitzeln, kan hoͤchſtens nur einzelne Menſchen, nicht aber ganze Nationen ungluͤcklich machen. Dies kann nur gaͤnzlicher Mangel an den unentbehrlichſten Nothwendigkeiten und gerade dieſer pflegt in civiliſirten Staaten das Loos des gemeinen Mannes, ſo wie eine Folge von der Ueppigkeit der Großen zu ſeyn. Zu O-Tahiti hingegen, iſt zwiſchen dem Hoͤchſten und Niedrigſten, im Ganzen genommen, nicht ein- mal ein ſolcher Unterſchied, als ſich in England zwiſchen der Lebensart eines Handwerksmannes und eines Tageloͤhners findet. Das gemeine Volk in Ta- hiti, ließ bey allen Gelegenheiten gegen die Vornehmern der Nation ſo viel Liebe blicken, daß es ſchien, als ſaͤhen ſie ſich insgeſammt nur fuͤr eine einzige Familie und die Befehlshaber gleichſam nur als ihre aͤlteren Bruͤder an, denen nach dem Recht der Erſtgeburt, Vorzug gebuͤhre. Vielleicht war auch ihre Regierungsverfaſſung urſpruͤnglich ganz patriarchaliſch, dergeſtalt, daß man den allgemeinen Regenten nur “als den Vater des ganzen Volks” achtete, ſo lange, bis dieſe einfache Regierungsform ſich nach und nach in die jetzige abaͤnderte. Aber auch jetzt noch finden ſich, in der Vertraulichkeit zwiſchen dem Koͤnig und ſeinen Unterthanen, Spuren jenes ehemaligen patriarchali- ſchen Verhaͤltniſſes. Der geringſte Mann kann ſo frey mit dem Koͤnig ſprechen als mit ſeines gleichen; und ihn ſo oft ſehen als er will. Dies wuͤrde ſchon mehrern Schwierigkeiten unterworfen ſeyn, ſo bald der Despotis- mus Grund faſſen ſollte. Auch beſchaͤftigt ſich der Koͤnig zu Zeiten auf eben die Art als ſeine Unterthanen; noch unverdorben von den falſchen Begriffen eit- ler Ehre und leerer Praͤrogative rechnet er ſichs keinesweges zur Schande, nach Maaßgabe der Umſtaͤnde, in ſeinem Canot ſelbſt Hand ans Ruder zu legen. Wie lange aber dieſe gluͤckliche Gleichheit noch dauern moͤgte? kann man wohl 1773. Septem- ber. M m 3

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/332>, abgerufen am 22.11.2024.