Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.Vorrede. mühet, die Ideen zu verbinden, welche durch verschiedne Vorfälle ver-anlaßt wurden. Meine Absicht dabey war die Natur des Menschen so viel möglich in mehreres Licht zu setzen und den Geist auf den Standpunct zu erheben, aus welchem er einer ausgebreitetern Aussicht genießt und die Wege der Vorsehung zu bewundern im Stande ist. Nun kommt es frey- lich darauf an, wie fern mir dieser Versuch gelungen sey oder nicht; doch habe ich das Zutrauen, man werde meine gute Absicht nicht verkennen. Zuweilen folgte ich dem Herzen und ließ meine Empfindungen reden; denn da ich von menschlichen Schwachheiten nicht frey bin, so mußten meine Leser doch wissen, wie das Glas gefärbt ist, durch welches ich gesehen habe. Wenigstens bin ich mir bewußt, daß es nicht finster und trübe vor meinen Augen gewesen ist. Alle Völker der Erde haben gleiche Ansprüche auf meinen guten Willen. So zu denken war ich im- mer gewohnt. Zugleich war ich mir bewußt, daß ich verschiedne Rechte mit jedem einzelnen Menschen gemein habe; und also sind meine Bemer- kungen mit beständiger Rücksicht aufs allgemeine Beste gemacht worden, und mein Lob und mein Tadel sind unabhängig von National-Vorur- theilen, wie sie auch Namen haben mögen. Nicht nur die Mannigfal- tigkeit der Gegenstände, sondern auch die Reinigkeit und Anmuth des Stils bestimmen unser Urtheil und unser Vergnügen über Werke der Lit- teratur; und wahrlich man müßte allem Anspruch auf Geschmack und Em- pfindung entsagen, wenn man nicht eine fließende Erzählung einer lahmen und langweiligen vorziehen wollte. Allein seit einiger Zeit ist die Achtung für einen zierlichen Stil so übertrieben und so sehr gemisbraucht worden, daß sich einige Schriftsteller lediglich auf die Leichtigkeit und Flüßigkeit ihrer Sprache verlassen und um die Sache, welche sie vortragen wollten, gar nicht bekümmert haben, wobey denn am Ende das Publikum mit trocknen seichten Werklein ohne Salbung, Geist und Unterricht betro- gen wurde. Solche Herrn mögen sich vielleicht den Beyfall einiger Vir- tuosen erwerben Who haunt Parnassus but to please their ear. Ich
Vorrede. muͤhet, die Ideen zu verbinden, welche durch verſchiedne Vorfaͤlle ver-anlaßt wurden. Meine Abſicht dabey war die Natur des Menſchen ſo viel moͤglich in mehreres Licht zu ſetzen und den Geiſt auf den Standpunct zu erheben, aus welchem er einer ausgebreitetern Ausſicht genießt und die Wege der Vorſehung zu bewundern im Stande iſt. Nun kommt es frey- lich darauf an, wie fern mir dieſer Verſuch gelungen ſey oder nicht; doch habe ich das Zutrauen, man werde meine gute Abſicht nicht verkennen. Zuweilen folgte ich dem Herzen und ließ meine Empfindungen reden; denn da ich von menſchlichen Schwachheiten nicht frey bin, ſo mußten meine Leſer doch wiſſen, wie das Glas gefaͤrbt iſt, durch welches ich geſehen habe. Wenigſtens bin ich mir bewußt, daß es nicht finſter und truͤbe vor meinen Augen geweſen iſt. Alle Voͤlker der Erde haben gleiche Anſpruͤche auf meinen guten Willen. So zu denken war ich im- mer gewohnt. Zugleich war ich mir bewußt, daß ich verſchiedne Rechte mit jedem einzelnen Menſchen gemein habe; und alſo ſind meine Bemer- kungen mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht aufs allgemeine Beſte gemacht worden, und mein Lob und mein Tadel ſind unabhaͤngig von National-Vorur- theilen, wie ſie auch Namen haben moͤgen. Nicht nur die Mannigfal- tigkeit der Gegenſtaͤnde, ſondern auch die Reinigkeit und Anmuth des Stils beſtimmen unſer Urtheil und unſer Vergnuͤgen uͤber Werke der Lit- teratur; und wahrlich man muͤßte allem Anſpruch auf Geſchmack und Em- pfindung entſagen, wenn man nicht eine fließende Erzaͤhlung einer lahmen und langweiligen vorziehen wollte. Allein ſeit einiger Zeit iſt die Achtung fuͤr einen zierlichen Stil ſo uͤbertrieben und ſo ſehr gemisbraucht worden, daß ſich einige Schriftſteller lediglich auf die Leichtigkeit und Fluͤßigkeit ihrer Sprache verlaſſen und um die Sache, welche ſie vortragen wollten, gar nicht bekuͤmmert haben, wobey denn am Ende das Publikum mit trocknen ſeichten Werklein ohne Salbung, Geiſt und Unterricht betro- gen wurde. Solche Herrn moͤgen ſich vielleicht den Beyfall einiger Vir- tuoſen erwerben Who haunt Parnaſſus but to pleaſe their ear. Ich
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Vorrede.
muͤhet, die Ideen zu verbinden, welche durch verſchiedne Vorfaͤlle ver-
anlaßt wurden. Meine Abſicht dabey war die Natur des Menſchen ſo
viel moͤglich in mehreres Licht zu ſetzen und den Geiſt auf den Standpunct
zu erheben, aus welchem er einer ausgebreitetern Ausſicht genießt und die
Wege der Vorſehung zu bewundern im Stande iſt. Nun kommt es frey-
lich darauf an, wie fern mir dieſer Verſuch gelungen ſey oder nicht; doch
habe ich das Zutrauen, man werde meine gute Abſicht nicht verkennen.
Zuweilen folgte ich dem Herzen und ließ meine Empfindungen reden;
denn da ich von menſchlichen Schwachheiten nicht frey bin, ſo
mußten meine Leſer doch wiſſen, wie das Glas gefaͤrbt iſt, durch welches
ich geſehen habe. Wenigſtens bin ich mir bewußt, daß es nicht finſter
und truͤbe vor meinen Augen geweſen iſt. Alle Voͤlker der Erde haben
gleiche Anſpruͤche auf meinen guten Willen. So zu denken war ich im-
mer gewohnt. Zugleich war ich mir bewußt, daß ich verſchiedne Rechte
mit jedem einzelnen Menſchen gemein habe; und alſo ſind meine Bemer-
kungen mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht aufs allgemeine Beſte gemacht worden,
und mein Lob und mein Tadel ſind unabhaͤngig von National-Vorur-
theilen, wie ſie auch Namen haben moͤgen. Nicht nur die Mannigfal-
tigkeit der Gegenſtaͤnde, ſondern auch die Reinigkeit und Anmuth des
Stils beſtimmen unſer Urtheil und unſer Vergnuͤgen uͤber Werke der Lit-
teratur; und wahrlich man muͤßte allem Anſpruch auf Geſchmack und Em-
pfindung entſagen, wenn man nicht eine fließende Erzaͤhlung einer lahmen
und langweiligen vorziehen wollte. Allein ſeit einiger Zeit iſt die Achtung fuͤr
einen zierlichen Stil ſo uͤbertrieben und ſo ſehr gemisbraucht worden,
daß ſich einige Schriftſteller lediglich auf die Leichtigkeit und Fluͤßigkeit
ihrer Sprache verlaſſen und um die Sache, welche ſie vortragen wollten,
gar nicht bekuͤmmert haben, wobey denn am Ende das Publikum mit
trocknen ſeichten Werklein ohne Salbung, Geiſt und Unterricht betro-
gen wurde. Solche Herrn moͤgen ſich vielleicht den Beyfall einiger Vir-
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Zitationshilfe: | Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/25>, abgerufen am 16.02.2025. |