Wir fürchteten uns ein wenig vor diesem Gange, weil er nicht bloß ein Mann von sehr vornehmen Allüren, sondern auch von sehr praktisch nüchternem Verstande war, der als solcher sehr wahrscheinlich allerlei Bedenken, vielleicht sogar Mißbilligung äußern würde. Meine Braut, die er noch nicht kannte, machte aber ganz sichtlich einen überaus günstigen, beinah heitren und wie zur Schelmerei stimmenden Eindruck auf ihn, so daß er uns sofort in sein Herz schloß und statt uns herabzudrücken, uns erhob und ermutigte. Diese vom ersten Tag an uns erzeigte Liebe hat er uns bis an seinen Tod bewahrt, so daß wir, zwanzig Jahre später, den zur Notorität gelangten und seiner Zeit so viel besprochenen Fournier-Streitfall schmerzlich beklagten, eine Sache, die bestimmt war, diesem trotz mancher Eigenheiten - und zum Teil um derselben willen - sehr ausgezeichneten Mann, die letzten Lebensjahre zu vergällen. Er trat aus seinem Amte zurück. Ich gedenke noch seiner Abschiedspredigt, in der er, vor seiner ihn verehrenden Gemeinde, seinen Prozeß und seine Verurteilung leise berührte. Kein Ton von Bitterkeit drang durch. Das Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte nicht anders sprechen als es sprach; aber alles in der Sache war doch heraufgepufft und in den Motiven verzerrt. Er war strenggläubig, aber kein Zelot und
Wir fürchteten uns ein wenig vor diesem Gange, weil er nicht bloß ein Mann von sehr vornehmen Allüren, sondern auch von sehr praktisch nüchternem Verstande war, der als solcher sehr wahrscheinlich allerlei Bedenken, vielleicht sogar Mißbilligung äußern würde. Meine Braut, die er noch nicht kannte, machte aber ganz sichtlich einen überaus günstigen, beinah heitren und wie zur Schelmerei stimmenden Eindruck auf ihn, so daß er uns sofort in sein Herz schloß und statt uns herabzudrücken, uns erhob und ermutigte. Diese vom ersten Tag an uns erzeigte Liebe hat er uns bis an seinen Tod bewahrt, so daß wir, zwanzig Jahre später, den zur Notorität gelangten und seiner Zeit so viel besprochenen Fournier-Streitfall schmerzlich beklagten, eine Sache, die bestimmt war, diesem trotz mancher Eigenheiten – und zum Teil um derselben willen – sehr ausgezeichneten Mann, die letzten Lebensjahre zu vergällen. Er trat aus seinem Amte zurück. Ich gedenke noch seiner Abschiedspredigt, in der er, vor seiner ihn verehrenden Gemeinde, seinen Prozeß und seine Verurteilung leise berührte. Kein Ton von Bitterkeit drang durch. Das Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte nicht anders sprechen als es sprach; aber alles in der Sache war doch heraufgepufft und in den Motiven verzerrt. Er war strenggläubig, aber kein Zelot und
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Wir fürchteten uns ein wenig vor diesem Gange, weil er nicht bloß ein Mann von sehr vornehmen Allüren, sondern auch von sehr praktisch nüchternem Verstande war, der als solcher sehr wahrscheinlich allerlei Bedenken, vielleicht sogar Mißbilligung äußern würde. Meine Braut, die er noch nicht kannte, machte aber ganz sichtlich einen überaus günstigen, beinah heitren und wie zur Schelmerei stimmenden Eindruck auf ihn, so daß er uns sofort in sein Herz schloß und statt uns herabzudrücken, uns erhob und ermutigte. Diese vom ersten Tag an uns erzeigte Liebe hat er uns bis an seinen Tod bewahrt, so daß wir, zwanzig Jahre später, den zur Notorität gelangten und seiner Zeit so viel besprochenen Fournier-Streitfall schmerzlich beklagten, eine Sache, die bestimmt war, <choice><sic>diesen</sic><corr>diesem</corr></choice> trotz mancher Eigenheiten – und zum Teil um derselben willen – sehr ausgezeichneten Mann, die letzten Lebensjahre zu vergällen. Er trat aus seinem Amte zurück. Ich gedenke noch seiner Abschiedspredigt, in der er, vor seiner ihn verehrenden Gemeinde, seinen Prozeß und seine Verurteilung leise berührte. Kein Ton von Bitterkeit drang durch. Das Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte nicht anders sprechen als es sprach; aber alles in der Sache war doch heraufgepufft und in den Motiven verzerrt. Er war strenggläubig, aber kein Zelot und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Wir fürchteten uns ein wenig vor diesem Gange, weil er nicht bloß ein Mann von sehr vornehmen Allüren, sondern auch von sehr praktisch nüchternem Verstande war, der als solcher sehr wahrscheinlich allerlei Bedenken, vielleicht sogar Mißbilligung äußern würde. Meine Braut, die er noch nicht kannte, machte aber ganz sichtlich einen überaus günstigen, beinah heitren und wie zur Schelmerei stimmenden Eindruck auf ihn, so daß er uns sofort in sein Herz schloß und statt uns herabzudrücken, uns erhob und ermutigte. Diese vom ersten Tag an uns erzeigte Liebe hat er uns bis an seinen Tod bewahrt, so daß wir, zwanzig Jahre später, den zur Notorität gelangten und seiner Zeit so viel besprochenen Fournier-Streitfall schmerzlich beklagten, eine Sache, die bestimmt war, diesem trotz mancher Eigenheiten – und zum Teil um derselben willen – sehr ausgezeichneten Mann, die letzten Lebensjahre zu vergällen. Er trat aus seinem Amte zurück. Ich gedenke noch seiner Abschiedspredigt, in der er, vor seiner ihn verehrenden Gemeinde, seinen Prozeß und seine Verurteilung leise berührte. Kein Ton von Bitterkeit drang durch. Das Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte nicht anders sprechen als es sprach; aber alles in der Sache war doch heraufgepufft und in den Motiven verzerrt. Er war strenggläubig, aber kein Zelot und
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/682>, abgerufen am 23.07.2024.
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