Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Einmal war er in eine große Ministerial-Gesellschaft geladen, und unter den Geladenen befand sich auch ein hannoverscher Graf, reich, klug, hoch angesehen, der, im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Landes- und Standesgenossen, allen Welfismus abgethan und sich zu Preußen und König Wilhelm bekehrt, ja sogar bald nach der Einverleibung Hannovers ein hohes Staatsamt übernommen hatte. Der Graf saß Lucae gegenüber, die Komtesse-Tochter neben ihm. Er plauderte lebhaft und unterhaltlich mit seiner liebenswürdigen Nachbarin, und als der Zufall es fügte, daß man auf Napoleon I. und den General Moreau zu sprechen kam, sagte Lucae: "Ja, dieser Moreau; die Kanonenkugel riß ihm beide Beine weg, und so schrecklich dies ist, so muß ich doch sagen, ich habe darin immer 'was von göttlicher Gerechtigkeit gefunden; - ich hasse jeden Rigorismus, aber sein Land aufgeben und in den Dienst einer anderen Sache treten, dagegen lehnt sich mein Gefühl auf." Die Komtesse schwieg, der alte Graf, der Alles gehört hatte, lächelte; Lucae selbst aber, Politik war nie seine Sache, kam erst um vieles später zum Bewußtsein dessen, was er da 'mal wieder angerichtet hatte. Alle die bekannten, oft bis zum Schrecknis sich steigernden Verlegenheitssituationen, die durch unvorsichtiges Fragen in fremder Gesellschaft so leicht ge- Einmal war er in eine große Ministerial-Gesellschaft geladen, und unter den Geladenen befand sich auch ein hannoverscher Graf, reich, klug, hoch angesehen, der, im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Landes- und Standesgenossen, allen Welfismus abgethan und sich zu Preußen und König Wilhelm bekehrt, ja sogar bald nach der Einverleibung Hannovers ein hohes Staatsamt übernommen hatte. Der Graf saß Lucae gegenüber, die Komtesse-Tochter neben ihm. Er plauderte lebhaft und unterhaltlich mit seiner liebenswürdigen Nachbarin, und als der Zufall es fügte, daß man auf Napoleon I. und den General Moreau zu sprechen kam, sagte Lucae: „Ja, dieser Moreau; die Kanonenkugel riß ihm beide Beine weg, und so schrecklich dies ist, so muß ich doch sagen, ich habe darin immer ’was von göttlicher Gerechtigkeit gefunden; – ich hasse jeden Rigorismus, aber sein Land aufgeben und in den Dienst einer anderen Sache treten, dagegen lehnt sich mein Gefühl auf.“ Die Komtesse schwieg, der alte Graf, der Alles gehört hatte, lächelte; Lucae selbst aber, Politik war nie seine Sache, kam erst um vieles später zum Bewußtsein dessen, was er da ’mal wieder angerichtet hatte. Alle die bekannten, oft bis zum Schrecknis sich steigernden Verlegenheitssituationen, die durch unvorsichtiges Fragen in fremder Gesellschaft so leicht ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0332" n="323"/> <p>Einmal war er in eine große Ministerial-Gesellschaft geladen, und unter den Geladenen befand sich auch ein hannoverscher Graf, reich, klug, hoch angesehen, der, im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Landes- und Standesgenossen, allen Welfismus abgethan und sich zu Preußen und König Wilhelm bekehrt, ja sogar bald nach der Einverleibung Hannovers ein hohes Staatsamt übernommen hatte. Der Graf saß Lucae gegenüber, die Komtesse-Tochter neben ihm. Er plauderte lebhaft und unterhaltlich mit seiner liebenswürdigen Nachbarin, und als der Zufall es fügte, daß man auf Napoleon I. und den General Moreau zu sprechen kam, sagte Lucae: „Ja, dieser Moreau; die Kanonenkugel riß ihm beide Beine weg, und so schrecklich dies ist, so muß ich doch sagen, ich habe darin immer ’was von göttlicher Gerechtigkeit gefunden; – ich hasse jeden Rigorismus, aber sein Land aufgeben und in den Dienst einer anderen Sache treten, dagegen lehnt sich mein Gefühl auf.“ Die Komtesse schwieg, der alte Graf, der Alles gehört hatte, lächelte; Lucae selbst aber, Politik war nie seine Sache, kam erst um vieles später zum Bewußtsein dessen, was er da ’mal wieder angerichtet hatte.</p><lb/> <p>Alle die bekannten, oft bis zum Schrecknis sich steigernden Verlegenheitssituationen, die durch unvorsichtiges Fragen in fremder Gesellschaft so leicht ge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [323/0332]
Einmal war er in eine große Ministerial-Gesellschaft geladen, und unter den Geladenen befand sich auch ein hannoverscher Graf, reich, klug, hoch angesehen, der, im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Landes- und Standesgenossen, allen Welfismus abgethan und sich zu Preußen und König Wilhelm bekehrt, ja sogar bald nach der Einverleibung Hannovers ein hohes Staatsamt übernommen hatte. Der Graf saß Lucae gegenüber, die Komtesse-Tochter neben ihm. Er plauderte lebhaft und unterhaltlich mit seiner liebenswürdigen Nachbarin, und als der Zufall es fügte, daß man auf Napoleon I. und den General Moreau zu sprechen kam, sagte Lucae: „Ja, dieser Moreau; die Kanonenkugel riß ihm beide Beine weg, und so schrecklich dies ist, so muß ich doch sagen, ich habe darin immer ’was von göttlicher Gerechtigkeit gefunden; – ich hasse jeden Rigorismus, aber sein Land aufgeben und in den Dienst einer anderen Sache treten, dagegen lehnt sich mein Gefühl auf.“ Die Komtesse schwieg, der alte Graf, der Alles gehört hatte, lächelte; Lucae selbst aber, Politik war nie seine Sache, kam erst um vieles später zum Bewußtsein dessen, was er da ’mal wieder angerichtet hatte.
Alle die bekannten, oft bis zum Schrecknis sich steigernden Verlegenheitssituationen, die durch unvorsichtiges Fragen in fremder Gesellschaft so leicht ge-
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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