schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem "Botaniker" zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns - ich glaube sogar zum Auswendiglernen - unzählige Beiwörter auf "ig" und "ich" in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen "Schlößchen" hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich
schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0204"n="195"/>
schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[195/0204]
schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/204>, abgerufen am 02.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.