Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem "Botaniker" zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns - ich glaube sogar zum Auswendiglernen - unzählige Beiwörter auf "ig" und "ich" in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen "Schlößchen" hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0204" n="195"/> schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0204]
schwichtigen. Und in der Jugend natürlich erst recht. Ich redete mir also ein, es sei mein Beruf binnen kurzem „Botaniker“ zu werden und für einen solchen sei ein regelmäßiges Abpatrouillieren von Grunewald und Jungfernheide viel viel wichtiger, als eine Stunde bei dem Deutschgrammatiker Philipp Wackernagel, der uns – ich glaube sogar zum Auswendiglernen – unzählige Beiwörter auf „ig“ und „ich“ in unser Heft diktierte. Noch jetzt blick ich mit Schrecken darauf zurück. Was er, Wackernagel, ein ausgezeichneter Mann und Gelehrter von Ruf sich eigentlich dabei gedacht hat, weiß ich bis diese Stunde nicht. Also Grunewald und Jungfernheide nahmen mich auf, und wenn ich es an dem einen Tage mit den Rehbergen oder mit Schlachtensee versucht hatte, so war ich Tags darauf in Tegel und lugte nach dem Humboldtschen „Schlößchen“ hinüber, von dem ich wußte, daß es allerhand Schönes und Vornehmes beherberge. Nebenher war ich aber auch wirklich auf der Suche nach Moosen und Flechten und bildete mich auf die Weise zu einem kleinen Kryptogamisten aus. Nicht allzu sehr zu verwundern; Moose sind nämlich, wenn sie blühen, etwas thatsächlich ganz Wunderhübsches. Gegen ein Uhr war ich dann meist wieder zu Haus, aß mit beneidenswertem, durch Gewissensbisse nicht wesentlich gestörten Appetit und sah mich, wenn ich
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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